Auch im letzten Jahr gab es wieder einen Workshop zum Thema "Die Zukunft des studium generale". Anders als 1998 gab diesmal jedoch der Senat den Anstoß dazu. Angesichts der sinkenden Akzeptanz des studium generale fand die Senatskommission "Lehre, Studium und Studienentwicklung" den Zeitpunkt für eine Neuregelung gekommen. Schon vor geraumer Zeit entwickelte sie den ersten Entwurf; in den endgültigen Senatsbeschluss wollte man jedoch auch die studentischen Erfahrungen einbeziehen. Darum bat die Kommission das Institut Integrale zunächst um eine Stellungnahme der Studentenschaft. In der für alle Interessierten offenen Zukunftswerkstatt sollte ein studentisches Positionspapier erarbeitet werden.
Schnell stellte sich jedoch heraus, dass es nicht bei einem Positionspapier bleiben würde. Der Entwurf der Senatskommission ist sehr allgemein und überlässt das meiste weiterhin der Hoheit der Fakultäten. Auch wenn einige Aufgabenbereiche des studium generale genannt werden, bleibt eine endgültige Definition aus. Einigkeit herrschte lediglich bei der Bestandsaufnahme: Beide Parteien sahen den größten Mangel der bisherigen Regelung im Fehlen einer einheitlichen Bestimmung über die Form der Durchführung und die inhaltliche Struktur des studium generale. Auch war man sich darin einig, dass das Konzept des Studium generale transparent sein müsse, um eine hohe Akzeptanz zu erreichen. Im Gegensatz zur Senatskommission waren die Studenten in der Zukunftswerkstatt jedoch davon überzeugt, dass dies nur durch eine universitätsweite Regelung erreicht werden kann. Diese müsse einen einheitlichen Rahmen schaffen, der Unsicherheiten zuvorkommt, ohne die Freiheit akademischer Bildung einzuschränken - weder auf studentischer Seite noch auf der der Fakultäten. So entschloss man sich zu einem völlig neuen Konzeptvorschlag.
Das Kernstück des neuen Konzepts bildet die längst überfällige Definition des studium generale:
»Mit dem studium generale an der Technischen Universität Dresden sollen inhaltlich die folgenden drei Bereiche abgedeckt werden:
- Das studium generale dient der Erweiterung des eigenen Horizontes um Erfahrungen in anderen Wissenschaftsbereichen, d. h. der eigenverantwortlichen Selbstbildung jenseits der eigenen Disziplin, um mit seinem Fachwissen souverän und in kritischer Distanz umzugehen.
- Das studium generale soll die Studierenden befähigen, mit Fachleuten anderer Disziplinen während ihrer Ausbildung und später in der beruflichen Praxis effizient zu kommunizieren. Voraussetzung dafür ist ein Einblick in die Methoden des wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens in fachfremden Gebieten.
- Darüber hinaus bietet das studium generale die Möglichkeit, in der universitären Lehre Interdisziplinarität zu praktizieren. Auf diese Weise erarbeiten Studierende verschiedener Disziplinen gemeinsam Lösungen zu einer Problemstellung.
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Damit sind die Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens der eigenen Fachdisziplin, das Erlernen von Fremdsprachen sowie fachergänzende Veranstaltungen, z.B. die Geschichte der eigenen Disziplin, nicht länger Gegenstand des studium generale. Vielmehr wird die Erweiterung des Bildungshorizonts über den eigenen Fachbereich hinaus anstrebt, wie dies schon an den meisten Fakultäten üblich ist. Es gibt allerdings einen wichtigen Unterschied: Die bisherige Praxis schloss der Einfachheit halber oft alle Veranstaltungen aus, die an der eigenen Fakultät angeboten wurden. An großen Fakultäten, wie z.B. der philosophischen Fakultät, kann dies schnell zu Ungerechtigkeiten führen. - Warum sollte ein Student der Musikwissenschaft im Rahmen des studium generale keine Vorlesung zur Soziologie hören dürfen? Daher wurde der Begriff der Disziplin eingeführt. Deren Grenzen sind individuell von den jeweiligen Studienkommissionen festzulegen.
Weitere wichtige Punkte des Konzepts sind die Wahlfreiheit und die Gleichstellung aller Studierenden bezüglich des studium generale. Nach dem neuen Modell dürfen die Studienkommissionen keine Veranstaltungen mehr als Teil des studium generale vorschreiben. Als Umfang wurden 4 SWS vorgeschlagen, die als Zulassungsvoraussetzung für die letzte Teilleistung der Abschlussprüfung in Form eines Leistungsnachweises einzubringen sind. Diese sollten nach Vorstellung der Studenten auf dem Studienabschlusszeugnis zusammen mit einer Beschreibung der Studium-generale-Politik vermerkt werden.
Damit dieses Konzept auch wirklich gelingt, müssen noch kleinere Details geregelt werden: Selbstverständlich wurde die Umsetzung in den Studien- und Prüfungsordnungen gefordert. Außerdem sollten die Fakultäten sich verpflichten, die in der Definition genannten Angebotsbereiche abzudecken; bei den angebotenen Veranstaltungen sollten keine speziellen Voraussetzungen verlangt werden. Als organisatorischer und inhaltlicher Koordinator wurde der Prorektor für Bildung benannt. Die Studium-generale-Veranstaltungen sollten bei der Lehrevaluation und in den Lehrberichten gesondert berücksichtigt werden. Um die Wiedererkennbarkeit des studium generale zu gewährleisten, solle ein corporate design entworfen und konsequent angewendet werden.
Leider konnte sich der Prorektor nicht dazu entschließen, der Senatskommission das studentische Konzept vollständig vorzustellen. Die wichtigsten studentischen Forderungen wurden dem Entwurf der Senatskommission aber hinzugefügt. Einige scheiterten schon bei der Einbringung in die Kommission, andere im Senat. Insbesondere konnte man sich auf keine einheitliche Definition einigen, nannte aber einige Problemfelder des studium generale und verpflichtete die Fakultäten, »definitiv zu der von ihnen gewünschten Ausgestaltung des Studium generale« Stellung zu nehmen. Zudem schloss man die wissenschaftlichen Grundlagen der eigenen Fachdisziplin (z.B. die Methodenlehre oder die Geschichte des Faches) sowie das Erlernen von Fremdsprachen vom studium generale aus und forderte, die Beschreibung der Studium-generale-Politik dem Studienabschlusszeugnis als Anlage beizugeben. Die Festschreibung von Leistungsnachweisen wurde aus Kostengründen abgelehnt.
Bei nüchterner Betrachtung muss man feststellen, dass der Beschluss das angestrebte Ziel nicht erreicht. Weder die Form der Durchführung noch die inhaltliche Struktur des studium generale konnten festgeschrieben werden. Damit bleibt der Studium-generale-Dschungel noch einige Zeit erhalten. Der Senatsbeschluss weist aber in die richtige Richtung und sorgt dafür, dass das studium generale weiterhin Gesprächsthema bleibt. Man darf nun darauf gespannt sein, wie sich die Fakultäten zum studium generale positionieren werden.
Langfristig bleibt zu hoffen, dass man sich im Tauziehen zwischen unendlicher Freiheit und fesselndem Reglement auf einen universitätsweit einheitlichen Rahmen einigen kann. Eine Abgrenzung des studium generale von anderen Formen akademischer Bildung ist dringend notwendig, sonst wird es schnell zu einem Sammelsurium all dessen, was im regulären Stundenplan keinen Platz findet. Ausschließlich dazu sind Restriktionen notwendig und sinnvoll. Selbstverständlich darf man die wertvolle akademische Freiheit weder bezüglich der Bildungshoheit der Fakultäten noch bezüglich der Wahlfreiheit der Studenten beschneiden. Ziel einer einheitlichen Regelung muss es vielmehr sein, ausdrücklich den großen Bewegungsspielraum aufzuzeigen - ja sogar zu dessen kreativer Ausfüllung aufzufordern - und ihn gegen eventuelle Einschränkungen auf unterer Ebene zu schützen.