Manchmal scheint das studium generale in der curricularen Diskussion in eine paradoxe Lage zu geraten. Auf der einen Seite zweifelt niemand an seiner Wichtigkeit; ja sie wird ausdrücklich betont. Bildung und Schlüsselqualifikationen scheinen der Königsweg auch zu beruflichem Erfolg zu sein. Auch an den universitären Anspruch und Rang der Ausbildung wird bei solchen Gelegenheiten gerne erinnert. Auf der anderen Seite darf man, ohne ungerecht zu sein, feststellen, dass die Mühe, die auf die grundständigen, in der jeweiligen fakultären Verantwortung stehenden Ausbildungsgänge gerichtet wird, doch diejenige die man für die Strukturierung, Planung und Betreuung des studium generale aufwendet, meist weit übertrifft. Das Paradox hat freilich strukturelle Gründe; denn all jene erwünschten segensreichen Wirkungen können Schlüsselqualifikationen und Allgemeinbildung eben erst dann entfalten, wenn sie auf einer gründlichen Fachbildung aufbauen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Die Zeiten, in denen die Universität sich als Stätte allgemeiner Bildung gerade in Deutschland neu etabliert hatte, sind längst vorbei. Spezialisierung und Professionalisierung haben die Universitäten schon im 19. Jahrhundert erreicht, und die Einrichtung von Studium-generale-Anteilen reagierte auf eben diese Situation.
So verwandelt sich jenes scheinbare Paradox in eine dauernde Aufgabe. Das Verhältnis von Fachausbildung und studium generale muss in der modernen Universität immer wieder neu bestimmt werden, und das studium generale muss immer wieder als eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung zum Erfolg akademischen Lernens ernst genommen werden.
Inzwischen hat an der TU Dresden diese Weiterarbeit an den Curricula mit der Sitzung des Senats vom 12. Januar 2000 eine neue Stufe erreicht. Noch einmal wurden die verschiedenen Varianten eines studium generale diskutiert und gegeneinander abgewogen. Von der Persönlichkeitsbildung über die Bildungsgrundversorgung für Mitglieder einer Demokratie- und Wissensgesellschaft bis hin zur Arrondierung der Fachausbildung lassen sich alle diese Varianten argumentativ gut stützen; doch macht es gerade die Eigenart des studium generale aus, dass eine strikte Reglementierung weder anzustreben noch zu erreichen ist. So wurde denn auch die besondere Verantwortung der Fakultäten in dieser Frage wieder herausgestellt. Die Fakultäten werden künftig zu der von ihnen gewünschten Ausgestaltung des studium generale Stellung nehmen, und diese Beschreibung ihrer Studium-generale-Politik wird jedem Studienabschlusszeugnis als Anlage beigegeben.
Für eine kontinuierliche Diskussion des Angebotes für Verbesserungen und Ergänzungen bieten in Zukunft die Studienkommissionen das Forum, so dass auch eine Vernetzung der verschiedenen Fakultäten unserer Universität sichergestellt ist und die Partner der Kommunikation benannt sind. Dabei ergibt sich die Rolle der Studienkommissionen auch aus der längst geübten Praxis der Evaluation. Hier wird das studium generale ebenso mit den grundständigen Studienangeboten gleichgestellt.
Insgesamt ist damit ein ehrgeiziges Programm formuliert, das allen Beteiligten weite Gestaltungsspielräume öffnet. Es wird nun darum gehen, in der nächsten Zeit die so eröffneten Möglichkeiten mit Leben zu erfüllen. Dabei wird vor allem auch den Fakultäten empfohlen, die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit dem studentischen Projektteam Integrale zu prüfen; denn die hier skizzierten Fortschritte wie auch die künftig erhofften wären ohne Mitwirkung der Studenten nicht möglich. Vielleicht belegen solche Initiativen, wie die Gründung des Projektteams Integrale besonders eindrucksvoll, wie in der universitären Ausbildung Studierende ihre Bildung und ihre Schlüsselqualifikationen auch zu ihrer eigenen Sache machen können. Die Universität soll und wird dies auch weiterhin unterstützen.
Dresden, am 1. März 2000
Prof. Dr. Walter Schmitz
Prorektor Bildung