Das gilt auch und ganz besonders für unsere Ringvorlesung »Von Mythen, Theorien und Technik. Die Allgegenwart von Interdisziplinarität«. Lang gewährt hat es tatsächlich, bis wir endlich mit der Organisation einer eigenen Lehrveranstaltung angefangen haben, obwohl das schon im 1998 entstandenen Gründungskonzept von Integrale steht. Zeit hat gefehlt, Geld und der Mut, die Arbeit anzupacken. Heute wissen wir, dass es sich allemal gelohnt hat, loszulegen.
Nachdem sich abzeichnete, dass es mit der Finanzierung klappen könnte, mussten Ideen gesammelt, Themen gesucht und Referenten gefunden werden. Klar, dass das nicht aalglatt über die Bühne geht. Man verbringt endlose Stunden im Internet, am Telefon und grübelnd am Schreibtisch. Manchmal geht gar nichts voran und der Glaube schwindet, dass man überhaupt noch mal eine Zusage bekommt. Dazu kommt das Wissen um die reichhaltige Erfahrung, die man eben gerade nicht hat, so eine Veranstaltung einfach aus dem Ärmel zu schütteln. Ja und dann läuft der Karren auf einmal. Es kommen immer mehr Zusagen und es zeichnet sich ab, dass nahezu jede Semesterwoche ein interessanter Vortrag auf dem Programm steht, was natürlich gerade in Bezug auf unseren letzten Referenten Prof.Gunther von Hagens besonders aufregend war.
Die Idee zu diesem Vortrag kam mir in der Körperwelten-Ausstellung in Berlin. Die Plastination passte genau in unser Vorlesungskonzept, denn um Plastinate herstellen zu können, braucht es Kenntnisse aus Bereichen der Medizin, Chemie und Kunststofftechnik, aber auch der bildenden Künste usw.
Es folgte ein Fax und ein kurzer Anruf im Institut für Plastination in Heidelberg. Dort musste es ja schließlich jemanden geben, der sich damit auskennt. Von Herrn Knuth, dem persönlichen Referenten des Professors, erfuhr ich, dass sich da eigentlich nur einer umfassend auskennt: der Professor der Erfinder der Plastinationstechnik selbst. Damit war der Traum von diesem Vortrag für mich »ausgeträumt«. Soviel ich wusste, war der Mann beruflich fast nur in China und Kirgisien unterwegs. Seine knappe Zeit hier in Deutschland verbringt er sicherlich nicht tingelnd durch die Lande, um Gastvorträge zu halten. Als Herr Knuth anbot, Herrn Hagens zu fragen, dachte ich mir nur: Na wenigstens versucht er noch, nett zu sein. Und dann das Unglaubliche: Ein paar Tage später sitze ich beim Frühstück, kaue gemütlich mein Brötchen und rufe meine E-Mails ab. Und was lese ich da?
»... ich habe Ihre Anfrage mit Herrn von Hagens besprochen. Er wäre bereit, am 04.07.01 einen Vortrag im Rahmen Ihrer Ringvorlesung zu halten.«
Nachdem sich Herzschlag und Adrenalinspiegel wieder normalisiert hatten, ging es gleich ab ins Büro wichtige bürokratische Dinge waren zu klären, und das alles auszuhandeln, würde ein paar Wochen dauern.
Das Semester fing an, die Ringvorlesung fing an. Leute kamen jede Woche, horchten, schrieben mit und stellten Fragen. Alles lief überraschend gut und man konnte sehr zufrieden sein. Trotzdem blieb immer eine leichte Aufregung im Hinterkopf: Kommt der Mann auch wirklich? Werden viele Zuhörer kommen? ...
Und dann war auf einmal der Tag da und alles verlief wie im Film. Die Aufregung dauerte jedoch nur bis zu dem Zeitpunkt, als das Taxi mit unserem Referenten an Bord vor dem Hörsaalzentrum hielt. Den Professor begrüßt, ein paar nette Worte gewechselt und seine extrem schweren nach Aussage des Taxifahrers mit Steinen beladenen Koffer zum Lift gebuckelt, und schon war die ganze Aufregung weg und eine angenehm lockere Stimmung machte sich breit. Gunther von Hagens ist nämlich so umstritten er und seine Arbeit auch sind ein überraschend liebenswerter Mensch.
Schon zwanzig Minuten vor Beginn der Veranstaltung war der kleine Hörsaal mit seinen knapp hundert Plätzen voll besetzt und wir mussten in den Hörsaal 2 des HSZ (600 Plätze) umziehen. Unsere kleine Werbeaktion mit Postern und Flyern in mehreren Mensen hatte Erfolg gezeigt.
Der zweite Saal war auch schnell gefüllt (Siehe oben sowie Titelbild dieses Vorlesungsverzeichnisses!). Es war 18:30 Uhr und der Vortrag begann. Mit ein paar einführenden Dias und ein paar kleinen Scherzen hatte der Professor die Hörer schnell auf seiner Seite. Der Vortragsinhalt war prima auf das fachlich sehr gemischte Publikum zugeschnitten und für jeden verständlich. Nach zirka 45 Minuten Vortrag fing die übliche Fragerunde an, in der nicht nur fachliche sondern auch ethische Probleme der Plastination erläutert wurden. Die Flut der Fragen riss gar nicht mehr ab und nach 2 1/2 Stunden mussten wir der Veranstaltung dann ein gewaltsames Ende setzen. Es folgte langer, tosender Applaus! Nicht nur der Professor war davon gerührt. Wir waren genauso begeistert. Aber damit noch nicht genug. Nach dem Vortrag stürmten viele Leute zum Pult, hatten noch mehr Fragen und Autogrammwünsche. Fragen beantwortend und Autogramme schreibend packte Gunther von Hagens seine Koffer übrigens nicht mit Steinen, sondern mit allerlei Lehrmaterialien beladen wieder ein. 21:30 Uhr konnten wir ihm endlich ein Taxi Richtung TU-Gästehaus rufen.
Alles war bestens gelaufen viel besser, als wir es uns vorgestellt hatten und vor allem: Die Hörer waren begeistert! Und auf einmal wussten wir wieder, warum wir uns die ganze Arbeit und den Stress mit der Ringvorlesung gemacht hatten.
Genau darum folgt in diesem Semester der zweite Teil von »Mythen, Theorien und Technik ...« mit neuen interessanten Vorträgen aus den verschiedensten Fachgebieten. Reinschauen lohnt sich also.
Daniela