Sen.Prof. Achim Hahn
Bis 30.09.2018 leitete Herr Prof. Dr. rer. pol. habil. Dipl.-Ing. Achim Hahn an unserem Institut die Professur für Architekturtheorie und Architekturkritik. Seine Forschungstätigkeiten führt er seit 01.10.2018 als Seniorprofessor weiter.

Architekturtheorie - ihre lebensweltliche Fundierung in der Praxis
„Nicht das Leben möglich, sondern es glücklich zu machen, sollte seit der Antike der Ertrag der Theorie sein.“1 Dabei können wir es offen lassen, ob das menschliche Theoriestreben dem Naturbedürfnis der puren Lebenserhaltung oder dem ungenötigten Impuls frei gewählter Neugierde folgt. Theorie bezieht ihre Beweggründe und Fragehaltung nicht aus dem akademischen Lehr- und Forschungsbetrieb, sondern empfängt sie von außerwissenschaftlichen Anregungen. Deshalb ist eine problematische Situation von Theoriebildung und ihrer gesellschaftlichen bzw. lebenspraktischen Relevanz erreicht, so Hans Blumenberg, „wenn die motorischen Impulse der Theorie nicht mehr unmittelbar aus der ‚Lebenswelt’ kommen, nicht mehr aus dem menschlichen Interesse der Orientierung in der Welt, nicht mehr aus dem Willen zur Erweiterung der Wirklichkeit oder dem Bedürfnis nach Integration des Unbekannten.“ 2 Inwiefern kann die Architekturtheorie in ihrer gegenwärtigen Ausrichtung dieser Maxime, Theorie habe sich lebensweltlich zu verorten, gerecht werden?
Bei einer, wie ich es empfinde, „unsicheren“ Disziplin wie der Architekturtheorie darf man getrost danach fragen, auf welchem Weg sie zu einem Einverständnis über ihre kanonischen Begriffe, Texte und Themen kommen will. In ihren eigenen Reihen führt sie keine autoritativen Wissenschaftler, die in beispielgebender Virtuosität die Themen, Aufgaben, zentralen Unterscheidungen und Grundbegriffe der Disziplin festlegen konnten. Von konsistenter Methodologie und Methode ganz zu schweigen! Wie kann unter diesen Voraussetzungen Architekturtheorie grundlegend gesichert werden? Sie muss mit ihren Möglichkeiten in dem außerwissenschaftlichen Umkreis verankert sein, aus dem ihre zentralen oder prinzipiellen Fragestellungen und Bedeutungen erst zu gewinnen sind. Damit bleibt sie zum einen gebunden an das menschliche Erfahrungsleben, zum anderen an die Wissenschaften, die kompetent dieses lebensweltliche Feld bereits bearbeiten. Ein auch methodologisch anspruchsvolles Verständnis vom bauenden und wohnenden Menschen und seiner Welt lässt sich weder intern aus einer (Selbst-)Beobachtung der herstellenden Tätigkeit des „Bauens“ durch den „hobby-philosophierenden“ Architekten noch extern im Horizont einer als Ästhetik missverstandenen Architekturbetrachtung erzielen, die sich das Ereignis vom Leibe hält.
1 Hans Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde, Teil 3., 4. Aufl., Frankfurt/Main 1988, S. 266
2 A.a.O., S. 265