08.04.2019
Nachhaltig bauen mit Carbonbeton – ein intensiver Fachaustausch an der TU Dresden
Am 27. März tagte die Sitzung der Arbeitsgruppe „Faserverbundarmierter Beton“ (CC BAU) im Festsaal der Fakultät Wirtschaftswissenschaften. Eingeladen hatte der Carbon Composites e.V. und die Professur für Nachhaltigkeitsmanagement und Betriebliche Umweltökonomie der TU Dresden. Die Organisation lag bei Frau Dr. Ingelore Gaitzsch (CC BAU) und Herrn Dipl.-Vw. Christoph Scope. Obwohl in aller Munde, war das Thema „Nachhaltig bauen mit Carbonbeton“ durchaus ein Wagnis, besonders durch den Zusatz „Von der Vision zum Unternehmenserfolg“. Rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten einen ganzen Tag in den Räumen des Hülße-Baus.
Nachhaltigkeit entsteht im Umgang mit Werkstoffen, aber nicht per se durch das Material allein. Nachhaltiges Bauen erfordert zunächst einmal die Analyse von werkstoffgerechten Konstruktionen und Prozessen über den gesamten Lebenszyklus. Nur unter Beachtung dieser Zusammenhänge können Wertschöpfungsketten nachhaltig gestaltet werden. Lebenszyklus- und werkstoffgerechte Konstruktionen und Verfahren sind zwingende Voraussetzungen für ein nachhaltiges Ressourcenmanagement und die Organisation von Stoffkreisläufen.
Wie schwer diese selbstverständlich klingenden Prinzipien umsetzbar sind, wissen oder erahnen wir alle. Für jeden Unternehmer kommen weitere, spezifische operative Eckpunkte hinzu: Bauherrenforderungen, Kostenbudgets, Zeitvorgaben, technische Regelwerke, Rechtsvorschriften. Schließlich sind Unternehmen nicht Visionen verpflichtet, sondern müssen in erster Linie Einnahmen/Liquidität erwirtschaften und wettbewerbsfähig sein. Visionen sind insofern wichtig, weil sie langfristigen Erfolg sichern.
In der Veranstaltung wurde an signifikanten Stellen der Wertschöpfungskette sondiert, wie sich diese komplexen Zusammenhänge technisch und unternehmerisch auswirken. Anhand erster Praxisprojekte konnten gezeigt werden, dass die Anwendung von Textil- bzw. Carbonbeton nachhaltige Lösungen im Neubau und im Bestand ermöglichen bzw. überhaupt erst realisierbar machen.
Herr Dipl.-Vw. Scope der Professur für Nachhaltigkeitsmanagement und Betriebliche Umweltökonomie (TU Dresden) eröffnete die Arbeitsgruppensitzung mit einer Einführung in die Nachhaltigkeitsbewertung im Bauwesen und dessen Integration in Steuerungssysteme der Unternehmen. Sein Vortrag unterstrich die Notwendigkeit einer Hinwendung zu Nachhaltigkeit aus Sicht der aktuellen Umweltbelastung (globales CO2 Budget für 1.5 Grad-Ziel), politischer Zielvorgaben (z.B. Pariser Klimaabkommen, Nachhaltigkeitsstrategien der EU), Normen (z.B. DIN EN 15643 Serie zu „Nachhaltigkeit von Bauwerken“). Es fehle noch an quantifizierten, umfassenden Nachhaltigkeitsbewertungen von Carbonbeton entlang der drei Nachhaltigkeitsdimensionen, Ökologie, Ökonomie und Soziales. Das wird derzeit im Forschungsprojekt C³-V2.10 bis März 2020 durch Herrn Scope berechnet und evaluiert.
In der Session „Betrachtungen zur Wertschöpfungskette“ starteten Frau Dipl.-Ing. Hollmann-Schröter und Herr Dipl.-Ing. Lowin der Juniorprofessur Ressourceneffizientes Bauen (TU Dortmund) mit einem umfassenden Vortrag zur Rolle einer integralen Planung. Gepaart mit einer optimierten Vorfertigung modularer Komponenten wurde am Beispiel einer Fassadengestaltung (Tour Total, Berlin) deren technoökonomische Nachhaltigkeit präsentiert. Ferner wurde das komplexe Beziehungsgefüge der beteiligten Personenkreise während der Planungsphase (z.B. Bauherr, Nutzer, Architekt, Fachplaner usw.) unter dem Gesichtspunkt der Innovationshemmnisse seziert: Informationsasymmetrien und die Kostenbeeinflussbarkeit müssten eher dazu führen, dass in den ersten vier Leistungsphasen der HOAI eine „intensive, belastbare Entwurfsplanung“ stattfinden müsse. Dies sei auch empirisch zu beobachten mit dem Nachteil einer konventionellen Bauausführung ohne Haftungsrisiko. Innovationsfähigkeit würde durch die Organisationsstruktur und das gewählte Vergabemodell bestimmt wie das vorgestellte Projektbeispiel Umweltbildungszentrum Augsburg zeigte.
Herr Dr. Jesse (Hentschke Bau) diskutierte die Bedeutung der Vorfertigung im Rahmen einer Nachhaltigkeitsbewertung. Zu Beginn zeigte er Beispiele, wo Carbonbeton eine Rolle spielen könnte und wo bisherige Konstruktionen aus Stahlbeton auch zukünftig dominieren würden. Laut seiner Analyse sei der interessanteste Anwendungsbereich für Carbonbeton der Brückenbau: Brücken erlitten deutlich frühzeitiger erhebliche Schäden durch den Anstieg der Verkehrslast und verstärkter chloridinduzierter Korrosion in den letzten Jahren. Brücken aus Carbonbeton seien ökonomisch und technisch so interessant, dass Hentschke Bau aktuell einen Demonstrator von 21m Länge fertigstellt, der ab 2020 für erste Brückenprojekte geplant ist.
Herr Dipl.-Ing. Kortmann vom Institut für Baubetrieb (TU Dresden) stellte Ergebnisse des Forschungsprojekts C³-V.15 „Abbruch, Rückbau und Recycling von C³-Bauteilen“ vor. Mit dem Ziel Markteintrittsbarrieren zu adressieren, zeigten Untersuchungen an einzelnen Bauteilen als auch kompletten Garagen aus Carbonbeton, dass Bedenken bezüglich des Gesundheitsschutzes nicht berechtigt sind. Umfangreiche Messreihen entlang der Bauteilherstellung (z.B. Bewehrung), der Bearbeitung (z.B. Bohren, Sägen) und des Abbruchs/Recyclings fanden durchweg keine Anzeichen einer Faserfreisetzung nach WHO-Definition (sog. „lungengängig“). Ferner wies das Forschungsvorhaben nach, dass Carbonbeton mit gängigen, marktüblichen Technologien getrennt und wiederaufbereitet werden kann. Zum Teil geschieht dies mit geringerem Aufwand als bei Stahlbewehrungsstrukturen. Eine kamerabasierte Separation kann mit Leistungen von 10t pro Stunde derzeit umgesetzt werden: Betonfraktion als Betonrezyklat für stoffliche Wiederverwertung, Carbonfaserfraktion als rCF-Vliese, -Spritzguss oder –Hybridgarne.
In der Session „Praxisbeispiele“ präsentierte Herr Dipl.-Vw. Wappler von der Forschungsgruppe Nachhaltiges Bauen (HTWK Leipzig) Ziele und Zwischenergebnisse des C³-CUBE Projekts. Das erste „voll funktionstüchtige Carbonbetongebäude“ soll demnach auf ca. 200 m² bisherige C³-Ergebnisse integrieren. Herr Wappler stellte klar, dass nach wie vor, eine solche Planung mit verschiedensten Herausforderungen wie z.B. einer geeigneten Bemessung betraut ist. Bezogen auf Nachhaltigkeitskriterien des BNB soll das entstehende Gebäude die spezifischen Eigenschaften von Carbonbeton und deren einen Einfluss auf eine Gesamtbewertung analysieren. Derzeit scheinen die Lebensdauer, das Treibhauspotential, der Energiebedarf und die dem Demonstrationsprojektcharakter geschuldeten hohen Investitionskosten die wichtigsten Kenngrößen zu sein.
Herr Wirtgen (Fischer Architekten GmbH) stellte seine Erfahrungen zur Planung und Umsetzung verschiedener Gebäude im Quartier Eastside in Mannheim seit 1999 vor. Das Besondere: Für jedes Gebäude wurde im Sinne einer ganzheitlichen, integralen Planung verschiedenste Ausführungen von faserbewehrten Betonfassaden real getestet. Unter anderem zeigte ein Vergleich des Primärenergieverbrauchs (ökologische Nachhaltigkeit) über den Lebenszyklus: Textilbeton spart demnach ca. 2/3 der Energie gegenüber Fassadenkonstruktionen aus konventionellen Stahlbeton. Auch hier stellt sich eine Vorfertigung und modulare Bauweise als funktional überlegen.
Herr Dipl.-Ing. Dankesreiter (Züblin AG) gab einen faszinierenden Einblick in die Sanierung des Mariendoms in Neviges mit carbonbewehrtem Spritzmörtel. Das Besondere der von ihm geleiteten Baustelle ist, dass sie am „lebenden“ Objekt von statten geht. D.h. Pilger besuchen auch weiterhin mit weiterhin hoher Frequenz das Gebäude während die Bauabschnitt auf dem Dach „wandern“. Ebenso ist ein Mischzelt, Silo und Sortiercontainer für textile Formteile vor Ort. Technisch ansprechend sei die Lösung mit Reinigung der Oberflächen, dem Anbringen sog. Enthaftungsstreifen Herr Dankesreiter betonte seine guten Erfahrungen mit einer offenen Kommunikation gegenüber den unmittelbaren Anwohnern der Baustelle: die stetige Veröffentlichung geplanter Arbeitsschritte und potentieller Lärmquellen resultiert in einem sehr harmonischen Umgang.
Herr Dipl.-Ing. Kuse (Clean Carbon Technology) schloss die Reihe der Vorträge mit Ausführungen zu einer sog. „Carbon Negativität“ ab. Dementsprechend sei die Trennung und das Recycling eines Carbonfaser verstärkten hybriden Granitstein technisch machbar und ökonomisch attraktiv.
Es war den Veranstaltern wichtig, diese Botschaften auch an den Freistaat Sachsen weiterzugeben. Wir danken Frau Architektin Behrens vom Sächsischen Staatsministerium der Finanzen für ihre Anwesenheit und ihre Ausführungen.
Autoren: Dr. Ingelore Gaitzsch, Christoph Scope
Datum: 4.4.2019