Interessante Miszellen
Follow Me on Twitter @nonergodicMark
06. Juni 2014 -- Ökonomik für den Menschen !? Motivationen für die Auseinandersetzung mit Ökonomie über Generationen
Lange Zeit war der Hauptantrieb, warum junge Ökonomen sich für ihr Fachgebiet entschieden, weil sie etwas an den realökonomischen Zuständen in ihren Heimatländern verändern wollten. Unter diesen Zuständen der Hungersnöte, leeren Geschäfte, Vertreibungen, etc. sie oftmals selbst oder sofern sie noch zu jung waren zumindest ihre Familien, Mitmenschen und Mitbürger gelitten hatten, die Erfahrung aber hat sie geprägt und treibt sie an. In verschiedenen Interviews, die in dem Buch Samuelson, Barnett -- Große Ökonomen im persönlichen Gespräch: Wie Volkswirtschaftslehre Geschichte schreibt (2009) (Inside the Economists Mind im englischen Original) zusammengefasst und übersetzt wurden, geben János Kornai, Franco Modigliani, Robert Aumann u. a., eben diese Erfahrung preis und bekunden ihre tiefe Motivation für das Fach Ökonomik stamme aus dem Bedürfnis heraus, zu einer Verbesserung in der Welt beizutragen.
Nun ist bekanntlich der Weg zur Hölle mit guten Absichten gepflastert, jedoch konnten einige Zustände nach dem zweiten Weltkrieg tatsächlich verbessert werden. Dies nicht zuletzt deshalb, weil in weiten Teilen Europas marktwirtschaftliche Systeme zentralplanerische ablösten. Gleichwohl traten mit diesem Systemwechsel neue Probleme auf den Plan. Es ist aber interessant die Motivation dieser Generation mit der heutigen zu vergleichen. In diversen Filmen wie Inside Job und Blogbeiträgen wie We need a new way to teach economics oder Das INET von George Soros – Instrument zur Weltverbesserung oder trojanisches Pferd der Finanzoligarchie? (bzw. eine englische Übersetzung imreal world economics review vol 67 oder unter George Soros‘ INET: An institute to improve the world or a Trojan horse of the financial oligarchy?) wird eine Geisteshaltung der ökonomischen Zunft angeprangert, die eine neue bemerkenswerte Qualität aufweist. Diese Quellen vereint die These, dass einige Ökonomen mittlerweile weniger an der Verbesserung aktueller realweltlicher Probleme interessiert sind -- deren es noch genügend gibt z. B. anhaltende Armut der dritten Welt, Bottom of the Pyramide, zunehmende Ungleichheit, staatliche Abhängigkeit von einzelnen (Finanz-)Unternehmen, etc. -- als vielmehr als Erfüllungsgehilfe auftreten für privatwirtschaftliche vorallem finanzwirtschaftliche Interessen einer globalen Elite. Es sei hervorgehoben, dass diese These keineswegs für alle Ökonomen überall auf der Welt zutrifft. Wie so oft z. B. beim Doping im Leistungssport, reicht aber bereits ein kleiner Teil schwarzer Schafe aus, um ein ganzes Fach und deren Vertreter in der öffentlichen Wahrnehmung zu diskreditieren und unter Generalverdacht zu stellen. Es mehren sich jedoch die Anzeichen und Einzelfälle bedenklich (vgl. in Inside Job Mishkin, Hubbard, und andere Interessensverflechtungen und Auftragsarbeiten).
Als erweiterte These ergibt sich: es kam in den letzten Dekaden vermehrt zu einer Prostitution einflussreicher Ökonomen für die Interessen vorallem von Finanzeliten. Oder wurden nur die Ökonomen einflussreich, die sich einmal in ihrer Funktion angekommen schließlich verführen ließen? Über die Richtung der Kausalität lässt sich diskutieren, fest steht jedoch, dass schlussendlich in vielen Fällen eine Prostitution stattfand, ob sie initial schon vorhanden war oder nicht, ist nicht von besonderer Bedeutung, wenn am Ende ein Interessenskonflikt besteht.
Wie werden die Ökonomengemeinde, die Ökonomenverbände und die Universitäten auf diese Vorwürfe reagieren?
11. April 2014 -- Nobelpreisträger ruft zum Boykott von Nature, Science und Cell auf -- Ökonomie der Aufmerksamkeit
Der Nobelpreisträger für Physiologie 2013 Randy Schekman ruft in einem einen Tag vor der Verleihung seines Nobelpreises im Guardian erschienenen Artikel zum Boykott von Luxus-Journalen auf, wie er diejenigen wissenschaftlichen Fachzeitschriften tauft, deren Abo mit teils extrem hohen Kosten verbunden ist. Zugleich genießen viele dieser Luxus-Journale höchstes Ansehen in der Fachwelt, u. a. Nature, Science und Cell, weshalb sich Wissenschaftler darum reissen, in diesen Zeitschriften zu publizieren. Damit sind Wissenschaftler bereit sich einer Politik der Herausgeber zu unterwerfen, die es ausnutzt, dass provozierende, trendige, plakative Themen eher und sicherer zu zukünftigen Zitationen führen, die nicht immer auch mit der Qualität einer Publikation verknüpft sein müssen.
Speziell in Nature und Science erscheinen ab und an auch wirtschaftswissenschaftliche Aufsätze, weshalb auch ich diese prestigeträchtigen Zeitschriften verfolge. Schekman kritisiert die falschen Anreize, die mit einer Überbetonung von szientometrischen Größen wie der Anzahl der Zitate oder des Impact Faktors einhergehen. Wissenschaftler (und in der Vergangenheit auch er selbst) handeln "entirely rational [...], but we do not always best serve our profession's interests, let alone those of humanity and society." Interessanter Weise vergleicht er die Anreizstruktur mit dem Boni-System der Investmentbanken. Beim Boni-System hat die Gesellschaft bereits verstanden, zu welch unerwünschten Exzessen es kommen kann. Auch im wissenschaftlichen Publikationsverfahren kann es zu Verzerrungen kommen, wenn nur noch auf eindimensionale Proxies (Impact Faktor, Anzahl der Zitationen) des hochdimensionalen Merkmals Qualität einer wissenschaftlichen Arbeit geachtet wird. Besonders in Berufungskommissionen und Evaluationen, also an für die Laufbahnen von Wissenschaftlern entscheidenden Punkten, ist der Hang, Abkürzungen wie den Impact Faktor des Journals, in dem eine Publikationen des Bewerbers erschienen ist, als Proxy für die Qualität der Publikationen zu benutzen.
Alternativ begrüßt Schekman die Entwicklung der Open Access Journale, die ebenso das Peer-Review Verfahren nutzen, für alle aber frei zugänglich sind. Diese Entwicklung wird vorallem durch die Möglichkeit der elektronischen Publikation über das Web ünterstützt. Nature, Science, Cell u. a. Luxusjournale gehören zu gewinnorientierten Verlagshäusern, die die Prinzipien einer Ökonomie der Aufmerksamkeit verstanden haben und diesen Anreizen vollkommen rational folgen. Dabei haben sie verstanden, das rationale Verhalten von Wissenschaftlern auszunutzen, wenn sich deren Anreize wiederum an bestimmte Proxies knüpfen.
Während der jüngsten DPG Tagung in Dresden gab es auch einen Vortrag zur Stabilität des Hirsch-Index, einer weiteren szientometrischen Größe. Nach ausführlich dargelegter und fundierter Kritik an der Prognosekraft des Hirsch-Index antwortete der Referent auf die Frage aus dem Publikum, was denn ein geeignetes alternatives Maß wäre, nur lakonisch: "Es gibt kein Maß außer dem Lesen der Arbeiten!" Um die Qualität zu beurteilen gibt es also keine Abkürzung.
01. Mai 2013: Blicklog Zitation
Der bekannte und bereits mehrfach ausgezeichnete Wirtschafts- und Finanz-Blog BlickLog von Dirk Elsner zitiert in dem Artikel Finanzmärkte in Emergenzen denken (II): Agenten-basierte Simulation u. a. eine erweiterte Zusammenfassung meiner Diplomarbeit. Vielen Dank an Dirk Elsner für die Anerkennung!
Der Artikel bildet zusammen mit Finanzmärkte in Emergenzen denken (I): Eine Annäherung und Finanzmärkte in Emergenzen denken (III): Anwendung agenten-basierter Simulation den zweiten Teil einer Serie über das Potenzial einer neuen und ganz anderen Denkweise über Finanzmärkte und Ökonomien -- die Perspektive komplexer adaptiver Systeme. Im ersten Teil stellt Elsner diese Denkweise vor und bespricht, was Emergenz bedeutet und was emergente Eigenschaften auf Märkten sind. Emergente Eigenschaften entstehen erst durch die Interaktion der Akteure. Eine Methode, die diese Eigenschaften einfängt und Akteure überhaupt interagieren lässt, ist die agenten-basierte Simulation (ABS). Im zweiten Teil stellt er dann knapp die ABS-Methode vor und traf bei der Recherche anscheinend auf meine Zusammenfassung der Diplomarbeit, woraus er dann einige Stellen zitiert. Im dritten Teil stellt Elsner dann einige konkrete Anwendungsfelder ABS vor.
18. Feb 2013 : Mirowski über Intransparenz und Theorie-Alternativen
Der Ökonom und Wissenschaftshistoriker Philip Mirowski legt in der FAZ dar, welche Lehren aus der aktuellen Krise gezogen werden können, wenn man eine wissenschaftshistorische Perspektive einnimmt. Zu seinen Argumenten lassen sich Verbindungen zu dem Film Inside Job ziehen, denn beide thematisieren die weitgehend unkommentierten Interessenverquickungen von Teilen der ökonomischen Zunft und bedeutenden Unternehmen, insbesondere aus der Finanzbranche. Weiterhin geht er auf durch die Krise gewonnene Erkenntnisse über die vorherrschende ökonomische Theorie ein, welche Alternativen es gibt und wie weit diese tragen.
Mirowski nimmt einen Punkt auf, der bereits von Marco Wehr in die Komplexitätsfalle weiter unten bemerkt wurde. Es gibt Profiteure und Förderer von gestiegender Komplexität und Intransparenz, in Mirowskis Augen die Schattenbanken.
Die letzten 50 Jahre wurden stark von marktliberalen Strömungen geprägt, so durch Gedankengut, für welches die Mont Pelerin Gesellschaft einmal exemplarisch Pate stehen soll. Ein linkes Äquivalent zu einem solchen offenen Diskussionsclub sieht er nicht: "Mont Pelerin war eine Zeitlang eine „debating society“, ein Diskussionsclub am Rande der Gesellschaft. Heute sehe ich nirgendwo auf der Linken einen solchen Club."
Eine echte Alternative konnte demnach aus freier Assoziation selten hörbarer Gedanken entstehen, wie der folgenden: Mont Pelerin "fragte[n] sich in den vierziger Jahren [...]: Was, wenn wir mit dem Laisser-faire aufhören? Könnte die Linke jetzt nicht sagen: Was, wenn wir mit der Fetischisierung des Staats aufhören?"
Ein interessantes Interview jenseits aller einfältigen Extreme!
12. Feb 2013 : Ökonomen als Gestalter von Märkten
In der FAZ vom 18. Jan 2013 diskutieren die Kölner Ökonomen Steffen J. Roth und Achim Wambach die Rolle derÖkonomen als Gestalter von Märkten ein. Dabei vergleichen sie die Ordnungsökonomen mit sog. Marktdesignern und stellen deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus. Beiden gemein ist, dass sie sich mit Situationen beschäftigen in denen die das Spiel auf den Märkten nicht von sich aus zu einem gesellschaftlich gewünschten Ergebnis à la Adam Smiths unsichtbarer Hand führt. Aus beider Perspektive ist ein regulierender Eingriff in das ansonsten völlig freie Spiel der Marktkräfte notwendig. Die Differenzen zwischen den beiden Gruppen treten in eben dieser Umsetzung einer Regulierung zutage.
Ordnungsökonomen argumentieren vorallem mit "Resultaten aus der Rechtswissenschaft und Demokratietheorie." Charakteristisch ist ihnen ein grundlegender Skeptizismus gegenüber der Möglichkeit ein optimales regelsetzendes Rahmenwerk zu definieren, weshalb sie sich den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren erhalten wollen. Im Zentrum stehen daher Haftungs- und Eigentumsrechte. Verkürzend lassen sich diese Vorschläge als Regulation von außen begreifen.
Marktdesigner zielen dahingegen eher darauf ab, die Interaktionsregeln so zu verändern, dass nur noch bestimmte gewünschte Ergebnisse erreichbar werden. Dafür werden z. B. Empfehlungen für konkrete Ausgestaltung der Institutionen gegeben, damit das Manipulationspotenzial bestimmter Strategien minimiert wird. Die Marktdesigner nutzen dafür Konzepte vorallem aus der Spiel- und Auktionstheorie, sowie der Verhaltensökonomie und Psychologie, wobei neuere Forschungsmethoden wie Computersimulationen und Laborexperimente genutzt werden.
Unterschiede zwischen den beiden Ansätzen bestehen in der normativen Dimension ihrer Resultate. Es wird argumentiert Ordnungsökonomen sind sich der ökonomischen Theorie immanenten Normativität und damit des normativen Charakters ihrer Empfehlungen bewusster. Marktdesigner betrachten das Problem also vermehrt aus einer mikroökonomischen Perspektive mit konkreter Konzentration auf ein bestimmtes Phänomen, Ordnungsökonomen nehmen eine mehr gesamtgesellschaftliche Beobachtungsfunktion ein. Schon an dieser Stelle sollte auffallen, dass es sich notwendiger Weise um komplementäre Forschungsrichtungen handelt. Dass beide voneinander lernen können steht für die Autoren und für mich außer Frage.
11. Feb 2013 : Profiteure der Komplexitätsfalle
Marco Wehr stellt in der FAZ vom 17. Nov 2012 (S. 40) die These auf, dass die Komplexität unserer Welt gezielt erhöht wird, um davon still und leise auf Kosten der Allgemeinheit zu profitieren. Die Menschheit hat sich demnach auf vielen Gebieten in eine Komplexitätsfalle manövriert aus der kein leichtes Entkommen ist. Dieses Verschattungsprinzip findet man in der Finanzwelt, wo Produkte nur mit dem Zweck der Unverstehbarkeit kreiert werden, in der Gesetzgebung, bei Regelwerken deren Komplexität das zu regelnde Objekt übersteigt usw. Mathematische und informationstheoretische Arbeiten von Gödel, Turing und Rice lehren uns, dass die Grenzen der Entscheidbarkeit bei algorithmischen Systemen (wie es unsere Finanzmärkte in zunehmendem Maße sind und werden) schnell erreicht sind. All diesen Phänomenen ist eine Gruppe von Personen und Institutionen gemeinsam, "die von Komplexität und Unübersichtlichkeit profitieren. [...] In diesem selbstreferentiellen System zementieren" Spezialisten in Bürokratien, Ministerien, Kanzleien und Investmenthäusern ihre Notwendigkeit. Die Parkinsonschen Gesetze der Bürokratie kommen einem da nicht unpassend in den Sinn.
Nach Wehr "irren wir alle ohne Kompass durch ein selbsterschaffenes Informationsuniversum, das mit seiner chaotischen Dynamik gefährliche Konsequenzen für uns haben kann." Seine Vorschläge beinhalten die Erhaltung von Einfachheit und Klarheit überall dort, wo möglich. "Gute Gedanken [...] reduzieren Komplexität."
11. Feb 2013 : FAZ Der volkswirt über verhaltensökonomik
In der heutigen FAZ findet sich auf S. 18 in der Rubrik Der Volkswirt ein Artikel von Hanno Beck mit dem Titel Der Mensch ist kein kognitiver Versager (Link folgt sobald verfügbar). Darin setzt sich Beck kritisch mit den scheinbar beliebigen Ergebnissen und der fehlenden theoretischen Geschlossenheit der Verhaltensökonomik auseinander.
Dieser Artikel passt gut in eine ganze Reihe von früheren Artikeln aus der Rubrik Der Volkswirt und generell aus dem Wirtschaftsteil der FAZ. So stellte Johannes Pennekamp am 26. Okt 2012 fest, dass Der Homo oeconomicus [immer noch, MK] lebt, trotz alternativer Ansätze der Modelle des ökonomischen Menschenbildes. Vom gleichen Autor erschien am 05. Nov 2012 Abschied von der Weltformel. In diesem Beitrag befasst er sich mit den Erkenntnissen der experimentellen Wirtschaftsforschung. Beide Strömungen fordern das traditionelle ökonomische Menschenbild zwar heraus, sind aber (bisher) noch nicht zu einem kohärenten Theoriegebäude zusammengeführt worden.
21. Jan 2013 : VWL in der Krise!? Was tut sich in der VWL?
Ein Thema, dass alle Ökonomen etwas angeht und mindestens seit der Finanzkrise 2008 wieder verstärkt auf dem Schirm ist, wird in diesem Videobeitrag von zdfInfo im Gegensatz zu leider vielen anderen derartigen Beiträgen mal einigermaßen differenziert analysiert.
21. Jan 2013 : Theaterstück Das Himbeerreich
Basierend auf seinen Interviews mit (größtenteils) Aussteigern aus der Finanzszene hat Andres Veiel ein Theaterstück geschrieben, welches nun erstmals und das gleich an zwei Standorten im Schauspiel Stuttgart und im Deutsches Theater Berlin uraufgeführt wird. Interessanter Weise war das Projekt zunächst als ein Dokumentarfilm geplant, Veiel war jedochgezwungen umzuplanen, nachdem die Interviewten ihr Einverständnis zurückgezogen hatten, die Mitschnitte zu veröffentlichen.
21. Jan 2013 : Der blinde FLeck im Auge der Banken -- Physikalische Erklärungen der Finanzkrise
In der interessanten Reihe zum Themenkomplex Der blinde Fleck im Auge der Banken spricht der theoretische Physiker Prof. Stefan Bornholdt im Gespräch mit Alexander Kluge über den Nutzen physikalischer Modelle und Analogien zur Beschreibung ökonomischer Prozesse.