SFB 1285
Sonderforschungsbereich 1285 "Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung"
Invektivität in Arenen ritualisierter Kommunikation während der römischen Republik und Kaiserzeit
Teilprojektleiter: Prof. Dr. Martin Jehne
Das Teilprojekt untersucht das Invektivgeschehen in den Arenen des politisch-öffentlichen Raums während der römischen Republik und Kaiserzeit unter der Fragestellung, wieviel an Kränkung in dem tendenziell rauen Kommunikationsklima Roms ausgehalten werden musste bzw. kompensiert werden konnte und in welchen Situationen dann doch der point of no return erreicht wurde – wie besonders dramatisch im Januar 49 v. Chr., als Caesar die Eröffnung eines Bürgerkriegs wesentlich mit der Verletzung seiner Ehre und seines Rangs (dignitas) und mit der Beleidigung (contumelia) durch seine Feinde begründete (Caesar, De bello civili 1,22,5). Der politisch-öffentliche Raum in Rom lässt sich in Arenen aufgliedern, d. h. in stabilisierte und ritualisierte Kommunikationsräume, die teilweise an feste Örtlichkeiten gebunden waren (wie z. B. den Circus, in dem die konkurrierenden und sich gegenseitig beleidigenden Fangruppen ihre Gespanne bei den Wagenrennen anfeuerten), teilweise aber auch gar nicht (wie der Kampfplatz, der durch Flugschriften [libelli] eröffnet wurde) oder nur in einer variablen Weise (so konnten Senatssitzungen in der Curia, aber auch in verschiedenen Tempeln anberaumt werden). Die Arenen unterschieden sich in den Regeln und Grenzziehungen voneinander, waren aber normalerweise für alle Beteiligten wiedererkennbar und einschätzbar, so dass man sie mit spezifischen Verhaltenserwartungen auch hinsichtlich des Invektivhandelns betrat.
Mit der römischen Republik und der frühen Kaiserzeit werden zwei politische Ordnungen verglichen, die hinsichtlich der Arenen weitgehend identisch, hinsichtlich der Machtlagerung aber grundlegend verschieden waren. Die Konsequenz war, dass sich die Grenzen und Schwellen des Invektiven massiv verschoben. Dabei ist die Annahme zu prüfen, dass die in der Kaiserzeit stets im Hintergrund präsente kaiserliche Erzwingungsmacht dazu führte, dass öffentliche Arenen kalmiert wurden. Es wurden nicht nur naheliegender Weise die Lizenzen des Invektiven in Bezug auf den Kaiser eingeschränkt, sondern auch die zur Schmähung von Senatoren; denn da die Regelungsmacht des Kaisers erheblich angewachsen war, weil er sie selbst suggerierte und sie ihm von den Bürgern zugeschrieben wurde, musste er den deshalb ebenfalls gestiegenen Anforderungen an die Ordnung genügen, indem er den Schutz der sozialen Hierarchie und der Ehre des höchsten Standes verstärkte. Allerdings steht keineswegs fest, dass diese Reduzierung oder eher Abdrängung des Invektiven die Ordnung stabilisierte.
Es ist eine Ausgangsvermutung des Projektes, dass es in Rom eine ausgeprägte Invektivkultur gab, war doch der ätzende Witz auf Kosten anderer geradezu ein Markenzeichen des weltläufigen Stadtbürgers (urbanitas). Nun tritt das Invektive, das als Transgression des Normalen und Unanstößigen wahrgenommen wird und zugleich Normalitätsvorstellungen einschärfen kann, als Differenzmarkierung und Statuskampf unvermeidbar auf, muss aber in seiner Verletzungsgewalt auch gesellschaftlich bewältigt werden. Wenn sich die Römer, wie es scheint, recht häufig im invektiven Modus bewegten, dann erzeugte das in einer Gesellschaft, in der Ehre eine zentrale Größe der Statuskonstitution jedenfalls in den Oberschichten darstellte, erhebliche Kränkungen. Damit die gesellschaftlichen Spannungsbalancen nicht überdehnt wurden, unterlagen Einzelne und Gruppen hohen Anforderungen, Kränkungen auszuhalten und Racheverpflichtungen nicht eskalieren zu lassen. Nur wenn das meistens funktionierte, war es möglich, systemgefährdende Katastrophen weitgehend zu vermeiden, ja sogar eine gewisse Robustheit im Umgang mit Invektiven auszubilden. Diese gesellschaftliche Abhärtung, die sich vielleicht beschreiben lässt als Präferenz von Anschlusskommunikationen, die es nicht bis zum point of no return kommen ließen, ist – so die Arbeitshypothese – eine potentiell produktive Invektivitätsfolge, ebenso wie das Aufbrechen gesellschaftlicher Hierarchien, das durch die Einbindung in Arenen entlastend wirken konnte und gerade dadurch die soziale Ordnung stabilisierte.
Zentrale Forschungsfragen des Projektes sind daher: Wie sieht die Invektivkultur in den römischen Arenen aus? Wie verschieben sich Grenzen und Schwellen in den Feedback-Schleifen der Praxis? Wie steht es um die Invektivitätssensibilität, die Invektivitätstoleranz und die Einhegungsbereitschaft in Rom im Vergleich mit den anderen Invektivitätskulturen, die in den Projekten des geplanten SFB bearbeitet werden sollen? Verschafft das regelmäßige Eindämmen und Aushalten von Invektivität einer Gesellschaft Stabilität durch Elastizität?
Laufzeit: 2017 bis 2021
Finanzierung:
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Grundausstattung:
Franziska Luppa
Julia Müller
Bastian Schenk
Mitarbeiter des Teilprojekts in Ergänzungsausstattung:
Horneff, Jan Lukas
Hanna Maria Degener
Ehemalige Mitarbeiter:
Dr. Cristoph Lundgreen
Imgraben, Georg