Lehrportraits
In unserer Interview-Reihe "Lehrportraits" sprechen wir mit engagierten Lehrenden tiefergehend über ihre Vorstellung von Lehre und E-Learning sowie ihre persönlichen Lessons-Learned der vergangenen Semester.
Im aktuellen Lehrportrait sprechen wir mit Frau Dr. Christine Andrä aus der Professur für Politikwissenschaft. Sie konnte mit ihrer Lehre den Lehrpreis der Gesellschaft von Freunden und Förderern der TU Dresden e.V. gewinnen. Das Interview ist neben der schriftlichen Form (s.u.) auch als Podcast zugänglich.
Weitere Lehrportraits finden Sie am Ende dieser Seite.
„Ein hohes Maß an Kreativität, Interaktivität sowie eine offene und partizipative Atmosphäre“. So beschreibt das Institut für Politikwissenschaft das Seminar der jüngst gekürten Preisträgerin des Lehrpreises der Gesellschaft von Freunden und Förderern der TU Dresden e.V. Weiterhin lautet es auf der Website des Instituts für Politikwissenschaft: „Sie schafft es trotz Corona-bedingter Online-Lehre durch ihre verbindliche und aufgeschlossene Art den Zoom-Raum mit Leben und anregender Diskussion zu füllen“. Wie genau Frau Dr. Andrä dies geschafft hat und welche Besonderheiten die digitale Lehre mit sich bringt, erfahren Sie im folgenden Interview zwischen Frau Dr. Christine Andrä und Herr Dr. Ingo Blaich vom Team digitale Lehre im Bereich GSW. Viel Spaß dabei!
IB: Liebe Frau Andrä, Sie haben im Wintersemester 21/22 den Lehrpreis der Gesellschaft der Freunde und Förderer der TU Dresden erhalten und wir freuen uns sehr, dass Sie dem Team digitale Lehre für ein Interview zu Verfügung stehen. Und als erstes möchten wir natürlich wissen: Für welche Lehrveranstaltung wurde Ihnen dieser Preis zugesprochen und worin bestand die didaktische Besonderheit dieser Lehrveranstaltung?
CÄ: Vielen Dank für die Einladung zu diesem Gespräch. Ich habe mich über diesen Lehrpreis wahnsinnig gefreut. Das ist eine tolle Auszeichnung, auch für das ganze Team, das hinter der Veranstaltung steht. Dazu werde ich gleich noch etwas sagen. Die Lehrveranstaltung war hauptsächlich ein Proseminar mit dem Titel „Einführung in das Studium der internationalen Beziehungen“ für Studierende im 2. Fachsemester Bachelor. Da waren vereinzelt einige dabei, die das Proseminar aus anderen Studiengängen kommend in den höheren Fachsemestern belegt haben. Aber das gros der Studierenden war aus dem 2. Fachsemester Politikwissenschaft in den unterschiedlichen Studiengängen, die wir da haben, z.B. Bachelor Lehramt oder Bachelor internationale Beziehungen. Das war ein großes Seminar. Ich habe nochmal nachgeschaut. Da waren 100 Studierende eingeschrieben. Die waren natürlich nicht immer in jeder Zoom Sitzung dabei. Wir hatten wöchentliche Zoom Sitzungen, die jedes Mal voll waren. Das Proseminar fand im Rahmen eines sogenannten Basismoduls statt, das wir in den Politikwissenschaften haben, nämlich das Basismodul internationale Beziehungen. Da gehören noch eine Vorlesung und ein Tutorium dazu. Es gibt mehrere Proseminare, die parallel laufen, von denen ich eines gegeben habe. Die Inhalte dieses Basismoduls und vor allem auch des Proseminars sind insbesondere theoretische Grundlagen der internationalen Beziehungen. Im Proseminar machen wir sehr viel Textarbeit, um die Studierenden an wissenschaftliche Fachtexte in unserem Gebiet erstmals heranzuführen.
Die Besonderheit in der didaktischen Umsetzung war, dass in meinem Proseminar und auch in den anderen Proseminaren feste Kleingruppen von jeweils 5-7 Studierenden waren, die sich jede Woche immer wieder für einen Teil der Seminarzeit getroffen haben. Das Seminar ging damit los, dass wir uns gegenseitig begrüßt haben und dann habe ich gefragt, ob es irgendwelche Fragen, Anmerkungen oder Sorgen zum Einstieg gibt. Dann ging es direkt in die Kleingruppen, in denen die Studierenden hoffentlich über das Semester immer vertrauter werdende Gesichter getroffen haben. Die Studierenden haben vorab zu den Texten, die sie gelesen haben sollten, auch immer Leitfragen bekommen. Diese wurden zuerst in den Kleingruppen besprochen und anschließend im Plenum zusammengetragen und diskutiert. Ich bin während der Kleingruppenarbeit natürlich durch die Break-out-Sessions gegangen und habe geschaut, wie es läuft und woran es hakt. Das sollte einerseits der inhaltlichen Auseinandersetzung dienen und das hat ganz gut funktioniert. Ich nehme an, dass viele von uns Lehrenden in den Zeiten der Pandemie teils sprachlose, nicht besonders diskussionsfreudige Veranstaltungen erlebt haben. Es berichten mir viele Studierende, dass sie gehemmter sind, vor den Bildschirmen zu sitzen und man weiß nicht, wer die anderen hinter diesen Kacheln sind - selbst wenn sie ein Bild an haben, was viele ja auch oft nicht tun. Und in der Kleingruppenarbeit war klar, dass sich alle regelmäßig einbringen müssen. Es wurde als der Diskussion zuträglichere Raum empfunden. Und dementsprechend liefen die Diskussionen hinterher viel besser. Andererseits glaube ich, dass es für die Studierenden in den frühen Fachsemestern für den sozialen Aspekt sehr wichtig war, sich gegenseitig kennenzulernen. Was in den Zoom-Zeiten leider sehr häufig zu kurz kommt. Viele Studierende sind gar nicht nach Dresden gezogen. Das ist ja eine Studierendengeneration, die erst nach Beginn der Pandemie mit dem Studium begonnen hat. Ich glaube das hat vielen gut gefallen. Und ich fand es auch schön, in den Kleingruppen nach und nach die Dynamik mitzuerleben. Wir hatten außerdem in jeder Sitzung einen kurzen Begrüßungsmoment, mit einer Break-Out-Funktion bei Zoom, in dem ich willkürlich zwei Studierende zusammen für zwei bis drei Minuten in eine Break-Out-Session geschickt habe. Hier haben sich zwei Studierende immer hallo gesagt, wie man es letztlich auch machen würde, wenn man in den Seminarraum geht.
Flankiert war dieses Seminar im Modul durch die Vorlesungs- und Tutoriumsinhalte. Und deshalb ist der Lehrpreis auch eine Auszeichnung für das ganz große Team dieses Basismoduls. Da waren wir insgesamt mit den Tutor:innen zu zehnt, die das gestemmt haben. Das ist also auch ein Koordinierungsaufwand, der auch über Zoom vorgenommen worden ist. Die Absprachen sind im Sommersemester ja auch virtuell gewesen.
IB: Das heißt, Ihr Seminar war thematisch mit der Vorlesung und mit Tutorien verzahnt, sodass darüber eine gemeinsame thematische Klammer hergestellt war?
CÄ: Genau. Sodass ich in dem Seminar, und in den Tutorien fand das sicherlich ebenfalls statt, auch Fragen zu den Vorlesungsinhalten mit aufgegriffen habe, wenn sie kamen. Es war gedacht, dass die Vorlesung einen inhaltlichen Grundstein legt. Dann haben die Studierenden in Vorbereitung auf das Seminar Texte gelesen, die wir dann besprochen haben. Und in den Tutorien wurden einerseits Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens geübt und andererseits auch empirische Fallbeispiele durchgespielt. Das war die Verzahnung.
IB: Welche Unterschiede sehen Sie zwischen der digitalen Lehre und Präsenzlehre nach mehreren Semestern überwiegend digitaler Lehre in der Vorbereitung und Konzeption von Lehrveranstaltungen? Ist das inzwischen noch deutlich sichtbar? Gibt es inzwischen Gewöhnungseffekte oder bleiben selbst nach zwei Jahren noch deutliche Unterschiede?
CÄ: Ich glaube beides. Ich denke, dass viele meiner Grundsätze in der Lehre, die mir ganz grundsätzlich wichtig sind, in der digitalen Lehre genauso gelten wie in der Präsenzlehre. Die Unterschiede betreffend: Ich erinnere mich an mein erstes digitales Semester, das war zugleich mein allererstes Semester an der TU Dresden. Ich saß mit vielen Studierenden in einem Boot. Ich habe erst während der Pandemie angefangen in Dresden zu arbeiten. Vor meinem allerersten Semester war ich in Experimentier-Laune und habe mir alles Mögliche ins Blaue hinein ausgedacht, weil ich garkeine Erfahrungswerte hatte. Das ging ja den meisten von uns so. Inzwischen ist es etwas routinierter, wie Sie es genannt haben.
Und es gibt ein paar Punkte, bei denen ich inzwischen weiß, dass ich sie insbesondere bedenken muss. Das ist erstens, was schon in der Beschreibung dieses Seminars angeklungen ist, dass ich mehr Zeit für Soziales und Interaktion einplanen muss und hierzu explizite Methoden und Tools. Diese muss ich mir als Element, das zu einer Lehrveranstaltung oder einem Seminar dazugehört, explizit vornehmen. Das passiert nicht einfach nebenbei, so wie man das in der Präsenzlehre, speziell in Seminaren, in Vorlesungen vielleicht weniger, hat. Zweitens glaube ich, ist Online-Lehre anders anstrengend. Das berichten mir Studierende sehr oft. Natürlich wegen der enormen Bildschirmzeit, vor allen Dingen aber, weil sie von den Studierenden sehr viel Selbstorganisation und Selbstmotivation verlangt. Das unterschätzen wir manchmal, weil es im Prinzip für uns unsichtbar ist. Bis wir danach fragen oder es uns jemand berichtet. Ich glaube, dieser Zusatzanstrengung muss ich irgendwie in der Planung und in den Konzeptionen Rechnung tragen. Insbesondere darin, welche Inhalte ich wie strukturiere und mit welchen Methoden ich da ran gehe. Und drittens, da weiß ich aber nicht, ob das nur meine Erfahrung ist oder ob die breiter geteilt wird: Ich habe beobachtet, dass in der Online-Lehre inhaltliche Tiefe einfacher zu erreichen oder umzusetzen ist als inhaltliche Breite. Das beißt sich natürlich manchmal mit Seminarzielen. Wenn ich eine Einführungsveranstaltung habe, will ich gerade in die Breite gehen. Das ist manchmal nicht so einfach. Ich denke, dass das einfach Vor- und Nachteile sind, mit denen wir gerade in der Pandemiesituation leben mussten und das Beste daraus machen müssen. Stattdessen Tiefe zu erreichen ist ja auch nicht schlecht. Es ist deshalb aber auch gut, wenn wir in Zukunft wieder etwas mehr mischen können zwischen Online- und Präsenzformaten.
IB: Woran kann es liegen, dass die Tiefe leichter erreicht werden kann und die Breite schwieriger? In der herkömmlichen Präsenzlehre ist das ja eher andersherum: Dass man es leichter schafft, mal hier und da einen Blick reinzuwerfen und die vertiefte Auseinandersetzung schwieriger ist.
CÄ: Das weiß ich auch nicht. Ich glaube, dass es unter anderem an der anderen sozialen Dynamik liegen könnte. Man ist, egal was wir uns an Methoden ausdenken, etwas weniger spontan und unweigerlich gezielter im Austausch. Die tiefe, in einen Punkt fokussierte Auseinandersetzung kann ich mit virtuellen Methoden einfach besser einfordern und besser fördern. Und ich glaube, es könnte auch wieder an dem Punkt der Selbstorganisation liegen: Studierende können gerade am Anfang ihres Studiums die Breite des Fachs und der Inhalte weniger gut überblicken. Und umso mehr die Lehre auf Selbstorganisation setzen muss, desto schwieriger wird es deshalb, diese inhaltliche Breite zu erreichen. Aber es würde mich tatsächlich interessieren, ob es dazu Studien gibt. Damit wird sich sicherlich schon jemand wissenschaftlich auseinandergesetzt haben. Erstens ob das allgemein zu beobachten ist und woran das liegt.
IB: Genau das wird sicherlich in Zukunft Gegenstand der Aufarbeitung und Weiterentwicklung der Lehre vor dem Hintergrund der Pandemieerfahrung sein, um davon für die weitere Hochschullehre profitieren zu können. Zum Abschluss noch eine Frage. Generell in den Blick genommen: Was macht Ihnen Spaß in der Online-Lehre und wo würden Sie für sich selbst zukünftige Herausforderungen, gerade auch in der weiteren Verwendung von digitalen Lehrelementen, sehen?
KÄ: Ich lehre sehr gerne, weil ich meine Studierenden ein kleines Stück auf Ihrem Weg begleiten kann und weil ich immer wieder ganz begeistert bin, wenn Momente des gemeinsamen Lernens gelingen, z.B. in Projektarbeit, wenn die Kreativität der Studierenden so richtig herauskommt. Da hatte ich in der Online-Lehre in den vergangenen Semestern viele tolle Momente. Nicht in dem Seminar, über das wir gerade gesprochen haben, sondern in fortgeschritteneren Seminaren. Studierende haben selber Podcasts aufgenommen, zu unseren Seminarthemen Instagram-Kanäle bestückt, Padlets und Blogs gestaltet und sich enorm selbst eingebracht. Und dabei haben sie die Inhalte ganz toll mit verschiedenen Formen verzahnt, die sie sich selbst ausgedacht haben. So etwas anzuleiten und zu begleiten macht mir unheimlich viel Spaß.
Zu den Herausforderungen: Ich würde sehr gerne das Gute aus der Online-Lehre mitnehmen, wenn wir wieder vermehrt in die Präsenz gehen oder wir in Zukunft Präsenz- und Online-Lehre mehr und flexibler mischen können. Wir hatten vor der Pandemie wahrscheinlich alle, auch aus unseren eigenen Studienerfahrungen, sehr festgefahrene Vorstellungen davon, was ein Seminar und was eine Seminarsitzung ist. Das hat sich zwangsweise etwas flexibilisiert. Und es haben sich Spielräume eröffnet. Durchaus nicht unbedingt erbetene Spielräume, nach denen wir gefragt hätten, aber es war sehr viel Raum, auszuprobieren und zu experimentieren. Das würde ich gerne weiterhin tun und auch die Freude daran behalten. Was ich generell als Herausforderung in der Online-Lehre, noch mehr als in der Präsenzlehre empfunden habe, war, Studierende nicht zu verlieren. Das ist leider trotz aller Bemühungen immer wieder passiert und passiert auch weiter immer wieder. Und da muss man möglichst am Ball bleiben. Wenn ich mitbekomme, jemand kommt gar nicht mehr oder scheint sich abgemeldet zu haben, dann auch mal nachzufragen. Das klappt natürlich gerade in ganz großen Lehrveranstaltungen nicht immer, weil ich nicht immer alle gleichermaßen im Blick haben kann. Ich hoffe, das wird jetzt in der Präsenz oder in der teilweisen Präsenz etwas einfacher. Weil es schon etwas anderes und allen möglichen Dingen zuträglich ist, wenn man sich auch mal in 3D sieht - so toll es jetzt ist, dass wir Zoom oder BigBlueButton oder diese ganzen anderen Tools haben – es ist dennoch etwas anderes. Deshalb bin ich angesichts dieser Herausforderung ganz guter Hoffnung, dass wir jetzt alle gemeinsam hoffentlich in ein etwas einfacheres Sommersemester gehen.
IB: Das ist richtig, die Hoffnung haben wir, glaube ich, alle. Ich bin gespannt, wie es dann wird.
CÄ: Wir hätten es auch alle sehr verdient. Die Lehrenden, aber vor allem die Studierenden. Denen hat es viel abverlangt.
IB: Wir wünschen Ihnen für das Sommersemester und alle weiteren Semester alles Gute sowie weitere schöne Lehrerfolge. Noch einmal Herzlichen Glückwunsch vom Team digitale Lehre für Ihren Lehrpreis und herzlichen Dank für dieses Interview.
Weitere Lehrportraits
Prof. Dipl.-Ing. Melanie Humann, Inhaberin der Professur für Urbanismus und Entwerfen, gewann mit ihrer digitalen Umsetzung der Vorlesung "Städtebau 1" einen Preis für das "E-Learning-Schmuckstück 2021" in der Kategorie "Vorlesungen mit mehr als hundert Studierenden".
- Wie lange dozieren Sie an der TU Dresden und was bedeutet für Sie Lehre?
Ich bin seit 2018 an der TU am Institut für Städtebau. Ich lehre schon seit über acht Jahren als Professorin und davor als wissenschaftliche Mitarbeiterin an verschiedenen Hochschulen in Deutschland.
Wir haben an der Fakultät aufgrund der städtebaulichen, architektonischen Entwurfslehre eine stark individuelle Betreuung der Studierenden. Daher versuchen wir, unsere Studierenden besonders dabei zu fördern, sehr eigenständig, kreativ und konzeptionell zu denken und zu arbeiten. Natürlich pflegen wir auch die Wissensvermittlung. Aber mein Anliegen ist es, das eigenständige Denken und Konzipieren sehr stark in den Vordergrund zu stellen.
Durch die dynamischen Entwicklungen unserer Zeit können wir schon jetzt nicht mehr nur auf bestehendes Wissen zurückgreifen, sondern müssen permanent nach neuen Wegen suchen, beispielsweise um mit den Auswirkungen von Klimakrise oder Digitalisierung umzugehen. Da ist es natürlich hilfreich, wenn man nicht nur Wissen wiedergeben kann, sondern auch eigenständig Lösungen entwickelt und konzipiert.
Mir ist genug Freiraum in der Lehre – zum Ausprobieren und Scheitern – wichtig. Ich sage den Studierenden oft, ‘wenn Ihr scheitert, dann macht das besser jetzt und nicht im Berufsleben.‘ Es ist wichtig, dass man diese Erfahrung schon im Studium machen kann, um sich Strategien für den Job anzueignen.
Was bedeutet für mich Lehre insgesamt? Ich glaube, Lehre besteht darin, einen Kompass bereitzustellen, mit dem die Studierenden sich – trotz der sich vermutlich stark verändernden Rahmenbedingungen der nächsten Jahrzehnte – gut in ihrem Berufsfeld orientieren können.
- Wie ist Ihnen die Umstellung von Präsenz auf Onlinelehre gelungen?
Das war zunächst eine große Herausforderung. Ich musste mich darauf verlassen, dass die Studierenden die Unterlagen, die ich ihnen mitschicke, bearbeiten. Daher haben wir sehr vielfältige Lehrmaterialien zusammengestellt, zum Beispiel Auszüge aus Literatur, Links zu Videos und Blogs oder zu Planungsbüros – also alles, was zum Selbststudium motiviert. Die Lehrmaterialien waren vielfältiger als in meiner Präsenzvorlesung.
Durch die Online-Lehre waren wir stärker dazu gezwungen, uns zu überlegen, welche Materialien für ein Selbststudium wirklich geeignet sind, welche Open-Source-Medien es inzwischen gibt und welche Kommunikations-Formate den Studierenden auch Spaß machen. Welche neuen Projekte und Plattformen gibt es? Was gibt es für Filme, die das Thema aufnehmen? So haben wir die sogenannten „Coronapakete“ gestrickt – also Selbststudiumspakete, die in einer bestimmten Zeit zu „konsumieren“ waren. Wenn es einige ein bisschen mehr interessiert hat, konnte man auch noch zusätzliche Materialien ansehen und dazu nachforschen.
Insgesamt war die Umstellung ein großes Learning für uns und die Resonanz der Studierenden war positiv. Die Erkenntnisse aus der reinen Online- Lehre werden wir jetzt in die Hybrid- oder Präsenzlehre mitnehmen und auch weiterhin überlegen, welche Formate und Tools post-Corona sinnvoll eingesetzt werden können.
- Welche positiven Aspekte oder auch Einschränkungen ergeben sich aus der Online-Lehre für Ihre Lehrveranstaltungen?
Wir haben positive wie negative Erfahrungen gemacht. Wir haben nach vier Semestern einen ganz guten Überblick gewonnen, welche unserer Lehrbausteine gut digital funktionieren und wo sich sogar durch die digitalen Tools neue Möglichkeiten auftun. Wir haben beispielsweise sehr gute Erfahrungen mit den digitalen Whiteboards gemacht, die eine Kollaboration und den Wissenstransfer innerhalb der Studierenden stark fördern. Für alle Seminare haben wir ein digitales Whiteboard aufgesetzt, an dem die Studierenden über das ganze Semester aktiv mitgearbeitet haben. Da konnten sie ihre Arbeiten und Recherchen reinlegen und die anderen Studierenden hatten Zugriff auf die Wissensdatenbank, die dadurch entstanden ist. Die Studierenden präsentierten dann auch auf den Boards und als Betreuerin kannte man immer den laufenden Entwicklungsstand der Arbeit.
Ein schöner Nebeneffekt der adhoc-Umstellung war auch, dass uns die Studierenden stärker von sich aus Feedback gegeben haben – beispielsweise zur Qualität und der Bereitstellung von Videos, zu ihren eigenen digitalen Möglichkeiten oder zu anderen Themen, die wir aus Perspektive der Lehrenden oft gar nicht so mitbekommen. Gerade jetzt während der Mischung aus Präsenz- und Online-Lehre haben uns beispielsweise viele Studierende berichtet, dass sie es gar nicht rechtzeitig in die jeweiligen Kurse schaffen, da sie z. B. den Tag im Home-Office starten und dann eine Präsenzveranstaltung haben etc. Durch diese Feedback-Kultur wurde Lehre wieder gemeinsam von Lehrenden und Lernenden ganz aktiv gestaltet.
In den letzten drei Semestern haben wir außerdem zweiwöchentlich einen digitalen Teatime-Talk veranstaltet, zu dem Externe eingeladen waren, um den Studierenden kurze Inputvorträge zum Thema zu geben. Durch die Videokonferenz-Tools ist es sehr viel einfacher geworden, das große Netzwerk an Expertinnen und Experten einzuladen und deren Fachexpertise direkt, günstig und unkompliziert für die Lehre verfügbar zu machen.
Um auf die negativen Aspekte zu kommen… Entwurfslehre können wir nicht online machen. Wir haben alles probiert: mit i-Pad, Stiften und 3-D-Modellen. Dieses schnelle „Ich schieb in den Modellen ein bisschen was hin und her“ oder „Ich zeichne eine Skizze, schmeiße sie weg und zeichne eine neue“, das funktioniert einfach digital nicht und der persönliche Kontakt ist an der Stelle unheimlich wichtig. Deshalb haben wir auch – wenn es nach Corona-Leitlinien gerade mal möglich war – möglichst viel Präsenzlehre gemacht, tatsächlich auch mehrtägige Workshops hintereinander. Wir haben dafür extra größere Hallen in der Stadt angemietet.
- Was schätzen Sie, motiviert die Studierenden am meisten?
Vor allem der Austausch untereinander. Ich habe den Eindruck, die jetzige Studierendengeneration ist nicht mehr so kompetitiv orientiert. Es geht nicht mehr darum, die oder der Beste zu sein, sondern vielmehr um Kollaboration und Wissensaustausch, um gemeinsame Lösungen zu finden für zukünftige Probleme, es geht um die Sache an sich.
In den letzten Jahren zeigte sich der Wunsch der Studierenden, schon im Studium intensiv an gesellschaftlichen Themen wie Klimawandel oder Kreislaufwirtschaft zu arbeiten und zu engagieren – entweder über Forschung oder über reale Anfragen. Vor allem in unserem Bereich, weil wir mit dem Bauwesen und der Stadtentwicklung sehr nah an den Themen der Lebensumwelt dran sind. Mit der Lehre schaffen wir die Rahmenbedingungen, damit sich die Studierenden mit diesen Zukunftsthemen frühzeitig auseinandersetzen können.
- Und gibt´s da etwas, dass Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen in Bezug auf die digitale Lehre empfehlen würden?
Einfach mal Ausprobieren und die Studierenden dabei mitprobieren und -gestalten lassen. Wie gesagt, wir haben auf diese Weise die digitalen Whiteboards für uns entdeckt und möchten diese nicht mehr missen. Ich könnte mir vorstellen, dass das für viele Fachgebiete eine gute Option darstellt und dauerhaft interessant sein kann. Die digitale Lehre sollte im besten Fall darüber hinaus gehen, „analoge“ Lehre mit digitalen Tools umzusetzen.
Für uns war es ein großes Anliegen, den Rahmen für das Selbststudium so attraktiv zu gestalten, dass die Studierenden sich ihr Wissen auch im Online -Modus gut aneignen können. Aber auch das Nachdenken über die Prüfungsformen gehört dazu und damit verbunden die Feststellung, dass manche Prüfungsformen veraltet sind; dass sie nicht mehr zu unserer Lehre oder Lehrauffassung passt.
Und was mir ganz persönlich wichtiger geworden – oder bewusster – geworden ist: der persönliche Kontakt zu den Studierenden. Das ist einfach nicht zu ersetzen, durch kein digitales Tool.
Wir danken Frau Prof. Humann vielmals für das Gespräch und sind gespannt auf die Weiterentwicklung der (digitalen) Lehre an der Professur.
Dr. John Martinovic, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Numerische Mathematik, gewann mit seiner Vorlesung "Optimierung - Grundlegende Konzepte" einen Preis für das "E-Learning-Schmuckstück 2021" in der Kategorie "Lehrveranstaltungen mit 31 bis 100 Studierenden".
Lieber Herr Dr. Martinovic - wie lange dozieren Sie an der TU Dresden und was bedeutet für Sie Lehre?
Wenn man mal von kleineren Episoden als SHK während des eigenen Studiums absieht, unterrichte ich im klassischen Sinne seit dem Jahr 2015 an der TU Dresden. Ich befand mich damals in der Frühphase meiner Promotion innerhalb eines Drittmittelprojekts, dessen Weiterführung noch nicht wirklich gesichert war. Glücklicherweise benötigte ein anderes Institut mitten im Semester spontan einen Ersatz zur Aufrechterhaltung gewisser Lehraufgaben, sodass ich über diesen "Umweg" nicht nur erste Erfahrungen in der Leitung von Übungsgruppen sammeln, sondern auch meine Promotion auf ein (in finanzieller und planerischer Hinsicht) solideres Fundament stellen konnte. Seither war ich durchgängig in der Lehre tätig und habe dort als Übungsleiter, Kursassistent oder Vorlesender insbesondere in der Mathematik-Ausbildung der Studiengänge Maschinenbau, Verkehrsingenieurswesen, Chemie und Informatik mitgewirkt sowie einige Optimierungsvorlesungen für die Mathematik und das Lehramt verantwortet.
Die Lehre stellt für mich die bedeutendste Komponente innerhalb des akademischen Aufgabenkanons dar. Gute Lehre ist mittelbarer Ausgangspunkt aller universitären Handlungsmöglichkeiten, da sie den Studierenden zunächst hilft, den mitunter schwierigen Übergang von der Schule zur Universität zu meistern, und sie zugleich ermutigt, sich selbst mit den behandelten Themen zu befassen, sich ggf. sogar dafür zu begeistern, diese später im gesellschaftlichen Kontext anzuwenden oder im Rahmen eigener Forschungsarbeiten einen Beitrag zur zweiten elementaren Säule eines jeden Universitätsbetriebs zu leisten. Gleichwohl habe ich das Gefühl, dass bei Einstellungs- oder Berufungsverfahren zuvorderst die Forschungsaktivitäten Beachtung finden, während Lehrerfahrungen und -erfolge mit deutlichem Nachrang behandelt werden. Ich mache mir keine Illusionen, dass sich diese Gewichtung zeitnah ändert, würde mir aber insgesamt eine ausgewogenere Wertschätzung beider Arbeitsbereiche wünschen, da dies eine wichtige Grundlage zur langfristigen Qualitätssicherung im Bereich Lehre darstellt.
Wie ist Ihnen die Umstellung von Präsenz auf Onlinelehre gelungen?
Um ehrlich zu sein: Überhaupt nicht gut. Gerade zu Beginn, als die Universität für nicht absehbare Zeit ihre Pforten schloss, war man in der Bewältigung der damit einhergehenden Herausforderungen weitgehend auf sich allein gestellt. Das soll ausdrücklich nicht als Vorwurf verstanden werden, denn wir alle wussten nicht so recht, was da auf uns zukommt und wie lange es unser Leben letztlich begleiten wird. Niemand war wirklich vorbereitet, weder technisch noch methodisch. Meine ersten, aus heutiger Sicht unbedarften Schritte in der Online-Lehre (für Mathematik-Übungen) beschränkten sich folglich auf das Bereitstellen ausführlicher Lösungen und das "Zur-Verfügung-Stehen" für Fragen in Chatrooms oder Videokonferenzen. Erwartungsgemäß wurde das nicht sonderlich gut angenommen!
Erst als in den darauffolgenden Monaten der persönliche Austausch im Kollegenkreis, aber auch die Unterstützungsangebote der Universität, z.B. im Bereich von Tutorials und Softwarelizenzen, beständig zunahmen, gelang es mir allmählich, eine anständige Alternative zur Präsenzlehre anbieten zu können. Hilfreich war dabei sicherlich auch, dass ich für die Dauer eines Semesters zum Vertretungsprofessor ernannt wurde und somit bedeutendere Aufgaben in der Lehre eigenständig verantworten musste. Das war einerseits persönlicher Ansporn, andererseits bot es ausreichend Möglichkeiten um sich getreu der Idee "Learning by Doing" in die richtige Richtung weiterentwickeln zu können.
Welche positiven Aspekte oder auch Einschränkungen ergeben sich aus der Online-Lehre für Ihre Lehrveranstaltungen?
Ich denke, dass man diese Frage zwingend aus Sicht der Studierenden beantworten sollte, da diese im universitären Kontext die Hauptlast der Corona-Pandemie tragen mussten. Wir Lehrende hatten zwar mit der Umstellung auf digitalen Unterricht auch allerlei Unannehmlichkeiten zu meistern, sahen uns jedoch in den allermeisten Fällen keinen existenziellen Herausforderungen ausgesetzt. Im Gegenteil: Das asynchrone Bereitstellen von Vorlesungen oder das nicht-ortsgebundene Halten von Lehrveranstaltungen hat die sonst sehr regelmäßige, präsenz- und terminorientierte Arbeit während des klassischen Semesterbetriebs an vielen Stellen flexibilisiert, und das gewiss nicht zum persönlichen Nachteil.
Ich selbst unterrichte jedoch in einem Fachgebiet, das zwingend von der Interaktion im Hörsaal lebt. Mathematik funktioniert auch heute noch weitgehend mit Tafel und Kreide sowie Frage und Antwort. Lösungsideen und Herleitungen sollten idealerweise gemeinsam und schrittweise diskutiert und entwickelt werden - aus der Ferne ist das schwer. Insofern denke ich, dass die Online-Lehre in der Mathematik für viele Studierende, gerade im Lehrexport, eine immense Herausforderung darstellte. Ich habe daher großen Respekt vor allen, die in dieser Phase Verständnis- und Motivationsschwierigkeiten größtenteils eigenständig überwinden mussten und trotz ungewohnter Rahmenbedingungen Fortschritte in ihrem Studium erzielen konnten.
Wenn ich, zu guter Letzt, doch noch eine Herausforderung für meine persönliche Arbeit benennen müsste, so würde ich hier das sinnvolle Konzipieren alternativer Prüfungsformen anführen. Mathematik-Klausuren bestehen zu nicht unwesentlichen Teilen aus klassischen Rechenaufgaben, das Durchführen mündlicher Prüfungen ist eher unüblich und gerade bei größeren Kursen keine Option. Möchte man also den Grundcharakter einer Klausur nicht fundamental verändern, so muss man das Risiko eingehen, dass technische Hilfsmittel relativ leicht zur Lösungsfindung oder -überprüfung genutzt werden können, auch wenn ich letzteres natürlich niemandem unterstellen möchte. Für dieses Problem habe ich bis heute keine sachgerechte und überzeugende Lösung gefunden.
Was schätzen Sie, motiviert die Studierenden am meisten?
Ich pflege da einen eher rationalen und pragmatischen Ansatz, dem zufolge viele Studierende bereits gewisse Interessen, Erwartungen und Erfahrungen an die Universität mitbringen, die sie u.a. durch die Wahl ihres Studienfaches dokumentieren. Eine Lehrperson kann in gewissen Fällen vielleicht ein bisher verborgenes Feuer entfachen - in der Mathematik, die ja gemeinhin (und das auch nicht völlig zu Unrecht) als trocken und theoretisch empfunden wird, ist es jedoch schwierig, jemanden anhand anschaulicher Experimente oder spektakulärer Erkenntnisse entgegen der inneren Überzeugung oder persönlichen Empfindung zu motivieren. Ich höre beispielsweise oft den Leitsatz "Hauptsache bestehen!", eine vielleicht verständliche Reaktion auf "selbsterfüllende Prophezeiungen" früherer Jahrgänge, einen gesellschaftlich mehrheitsfähigen Konsens in der Beurteilung von MINT-Disziplinen sowie den tatsächlichen Anspruch des von mir vertretenen Fachgebiets. Man sollte jedoch nicht den Fehler machen, dies als faktisches Desinteresse zu deuten. Ein Studium verlangt in vielen Fällen schlichtweg eine Prioritätensetzung; die Motive für deren konkrete Ausgestaltung können ganz verschieden sein. Ich denke, wenn man es schafft, den Studierenden das Gefühl zu geben, dass man alles dafür tut, sie auf diesem mitunter beschwerlichen Weg zu begleiten und zu unterstützen, honorieren diese es gern auch durch eigene Motivation und Mitarbeit, selbst wenn die Mathematik als solche nicht zu ihrem engsten Freundeskreis gehören sollte.
Und gibt´s da etwas, dass Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen in Bezug auf die digitale Lehre empfehlen würden?
Ich habe da zugegebenermaßen kein Patentrezept und denke auch nicht, dass ich mit meiner Art zu lehren das Rad sprichwörtlich neu erfunden habe. Es kommt, wie so oft im Leben, auf eine gute Chemie zwischen "Sender" und "Empfänger" an. Diese kann sich aus ganz verschiedenen Gründen entwickeln oder auch ausbleiben - in jedem Falle entscheidet das Publikum selbst. Das Wichtigste ist letztlich wohl, dass man authentisch bleibt, versucht sich nicht zu verstellen und bestenfalls humorvoll zu seinen Schwächen steht. Dazu gehört auch, dass man sich seiner Rolle als Übersetzer "Fachsprache -> Deutsch" jederzeit bewusst ist, Erklärungen somit adressatengerecht kommuniziert und, in einigen Fällen, zum Zwecke einer besseren Verständlichkeit hinter den eigenen Exaktheitsansprüchen zurücktritt. Vermutlich war es dabei hilfreich, dass mein eigenes Studium noch nicht allzu lang zurückliegt und ich folglich recht gut rekonstruieren konnte, auf welche konkrete Art und Weise ich einst selbst einen Zugang zu schwierigen Themenkomplexen gefunden habe.
Wir danken Herrn Dr. Martinovic vielmals für das Interview und sind gespannt auf die Weiterentwicklung seiner (digitalen) Lehre.