IHI-Vorlesung in mongolischer Jurte
Ein Reise- und Forschungsbnericht von Dr. habil. Stefan Fränzle, Professur für Umweltbiotechnologie am IHI Zittau
Das Görlitzer Museum für Naturkunde, seit 2009 Niederlassung der Frankfurter Senckenberg-Gesellschaft (Leibniz-Verbund), pflegt seit den 1980ern intensive Kontakte zu mongolischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, um die fragile Biodiversität der dortigen Steppenlandschaft zu untersuchen. Senckenberg-Sektionsleiter Dr. Hermann Ansorge führt hierzu seit vielen Jahren Sommerschulen mit mongolischen Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftlern in den mongolischen Weiten durch. Als Ansorge und zwei seiner Görlitzer Senckenberg-Kollegen am IHI Zittau (Zentrale Wissenschaftliche Einrichtung der TU Dresden) berufen wurden, wurden diese Kontakte in Form einer Strategischen Hochschulpartnerschaft im Rahmen des TUD-Zukunftskonzepts verstetigt. Für die Zittauer Professur für Umweltbiotechnologie übernahm ich die Rolle des wissenschaftlichen Partnerschafts-Koordinators, da sich rasch zeigte, dass mein Fachgebiet, die Analyse von Schwermetallbelastungen in Gewässern und Moosen, auf starkes Interesse der mongolischen Seite stieß, da man hier eine Kombination aus sensiblen Biosystemen und intensivem Tagebau vorfindet.
Zweimal waren mongolische Nachwuchs-Gastwissenschaftlerinnen seitdem am IHI Zittau zu Gast und haben gemeinsam mit meinem Forschungsteam auch Untersuchungen im gleichfalls tagebaugeprägten Zittauer Umland sowie auf den Hochmooren des Riesengebirges durchgeführt.
Meine zweite Forschungsreise im Rahmen dieser Partnerschaft führte mich nun (neben einem Vortrag und einer Reihe von Gesprächen in Ulaan Baatar) im Mai/Juni gemeinsam mit Prof. Ansorge nach Khatgal, Hauptort eines Landkreises mit ca. 3000 Ew., knapp 900 km nordwestlich unserer Partneruniversität, direkt an der Südspitze des großen subarktischen Bergsees KhovsGöl am Rande der Taiga.
Der KhovsGöl ist heute das größte im Rohzustand nutzbare Süßwasserreservoir in ganz Asien; für den NO benachbarten und mit dem KhovsGöl über dessen Auslauf Ejgin Göl und die Selenge(-a) verbundenen Baikal gilt dies leider wegen Einträgen in die Selenga - auch durch Bergbau - nicht mehr. Seine Biodiversität ist allerdings wesentlich geringer als die des Baikal.
Wie kommt man/frau (also das Zittau/Görlitzer TUD-Team, ein in Sachsen promovierter associate professor der mongolischen Partneruniversität, sowie sechs mongolische Studierende nach Khatgal? In unserem Falle mit zwei ziemlich typischen russischen Kleinbussen, die neben bemerkenswerten Mengen verschiedenster Ausrüstung einschließlich derer, die ich für Messungen mit Chitinoberflächen als Sorbens (Umweltanalytik) benötige, auch insgesamt sechs Zelte, zwei Kocher etc. mitführten.
Warum fährt man/frau überhaupt nach Khatgal? Es ist der Haupt-, Zugangs- und beinahe einzige leicht erreichbare Ort in Richtung zum KhovsGöl-Nationalpark, der sich ringsum um diesen See von der Größe Luxemburgs und 262 m Tiefe bis hinauf zur russischen Grenze erstreckt. Die Region ist, bzw. war, gekennzeichnet durch ausgedehnten Permafrost, der bereits wenige cm unter der Vegetationsdecke beginnt (Abb.1):
Abb.1: Permafrost unter Gras-/Moosdecke nahe (NO von) Khatgal
Da die Jahresmitteltemperatur trotz rund 1.700 m Höhe, nicht weit unter 0°C liegt, wirkt sich der Klimawandel bereits seit den 1990er Jahren deutlich aus, ähnlich wie auf Spitzbergen oder in der Kammlage des Riesengebirges, wo wir im vorigen Jahr mit den mongolischen Kolleginnen und Partnern aus Polen die Chitin basierte Methodik, die im Labor des Autors an der TUD in Zittau entwickelt worden ist, und anderes in Vorbereitung der hier beschriebenen Expedition getestet hatten. Das Abschmelzen des Permafrosts ändert nicht nur das Grundwasserregime sondern auch die Stabilität von Hängen, Flächen und Bäumen (ganz überwiegend sibirische Lärchen): Sobald der Permafrost schmilzt, kippen die Bäume relativ zueinander (stehen nicht länger senkrecht und parallel), Hänge beginnen zu rutschen, Gebäude, soweit nicht aufgeständert, versinken teilweise, meist ebenfalls unter Verkippen, im Untergrund etc.. Nun könnte man sagen: das ist ein einmaliger Prozess (aus Permafrost wird Matsch), und die sich bildenden Schlammflächen werden relativ bald durch Torfmooswachstum, Vermoorung und schließlich Verlanden wieder stabilisiert. Zu guter Letzt werden die Rentiere der Tsaaten, einer indigenen Gruppe, die recht zurückgezogen in der Gegend des KhovsGöl leben, auch noch davon profitieren (mehr Moos und anderes Futter). Leider zu kurz gedacht: Die Neubildung und Entwicklungsdynamik von Mooren koppelt mit dem globalen Kohlenstoffkreislauf rück, Klimagase können frei werden.
Kann man nun vorhersagen, ob in einem anoxischen Feuchtgebiet bzw. dessen Untergrund und Permafrost typischen wie Palsas Methan (CH4) als potentes Klimagas freigesetzt wird und so den Prozess des Aufschmelzens von Permafrost im wahrsten Sinne des Wortes zusätzlich anheizt (Abb.2, 3)?
Abb.2: hypothetische Dynamik hochalpiner und periarktischer Moore als Folge und in möglicher Selbstverstärkung der Methanbildung und des Klimawandels; sinnvolle Platzierung von Chitin belegten Objektträgern zur Untersuchung des Transports und der biochemischen Nutzung von Nickel. Ob der rechts dargestellte Zustand bereits erreicht sind, soll(t)en die am KhovsGöl und in dessen Nähe durchgeführten Messungen zeigen; aktuell gab es keine Hinweise auf Methanogenese.
Abb.3: dreidimensionale Charakterisierung des Stoffflusses um einen Palsa (oder ebenso für ein archäologisches Objekt wie einen Kurgan [Skythen in der Mongolei!] oder ein Großsteingrab) mithilfe von Chitin (Prinzipskizze)
Man kann, wir können es, und das war auch Leitthema meines Vortrags an der NUM (Di, 30.5.; Fakultät für Biologie): Die Methanogenese benötigt Nickel in erheblich größeren Mengen/Konzentrationen, als in der Biomasse selbst vorhanden ist, so dass sich ein Zusammenhang zwischen Methanogenese und Verfügbarkeit von Nickel herstellen lässt: Im Mangelfall wird, wie wir voriges Jahr an der Schneekoppe feststellten, das Nickel lokal begrenzt aus dem Oberboden durch die Bakterien ent- und abgezogen. Daher können anhand des Ausmaßes der Sorption von Ni2+, dessen Komplexen und ggf. Ni-haltigen partikulär verteilten Mineralien Abweichungen vom Gleichgewicht zwischen dem Wasser von Moortümpeln, -schlenken usw. und dem darunter liegenden Sediment oder Torf, innerhalb dessen ggf. die Methanogenese erfolgt, erkannt werden – Voraussetzung einer Vorhersage langfristiger Methanogenese und damit weitergehenden Klimawandels in der periarktischen Region (wo er weltweit am ausgeprägtesten ist). In diesem Falle – und bei verwandten Systemen wo andere Metalle entscheidend sind – zeigen ins Sediment eingeführte mit Chitin belegte Objektträger höhere Werte (von Ni, Fe, etc.) als solche, die wie in Abb.2 dem Wasser selbst ausgesetzt waren (10 min. Expositionsdauer reichen bis zum Sorptionsgleichgewicht).
Die Methode ist komplementär zum etablierten Umweltmonitoring mit Moosen, in das neuerdings auch unsere mongolischen Partner eingebunden sind, und ermöglicht es, direkt in den Untergrund und dessen Aktivität hinein zu schauen, was u.a. auch für Archäologen und in der Bergbauprospektion von Nutzen sein dürfte. Daher also die Suche nach Nickel in Schlenkenwasser, Torf und Schlamm ringsum um den KhovsGöl (direkt unter dem See gibt es keinen Permafrost, am Westufer hingegen eine Reihe kleiner, flacher und recht warmer Strandseen, die typischer Weise durch eine wenige m breite Kiesbarre vom KhovsGöl getrennt sind).
Bereits bei dem ersten Vortrag in der „normalen“ Umgebung eines Seminarraums zeigten sich die Studierenden und Kollegen sehr interessiert von der Methode und ihren Anwendungsmöglichkeiten. Nachdem wir dann am KhovsGöl – in Khatgal eben – in einem Ger-Camp untergekommen waren, reisten die Kollegen entlang der Verbindungsstrecke – den Begriff Straße würde hier(für) bei uns nicht jedeR akzeptieren – zur russischen Grenze (Übergang Khankh/Mondy) weiter, um unbeeindruckt von nächtlichen Schneefällen und Temperaturen bis – 5°C (tagsüber dagegen fast +20°C) erste Felduntersuchungen zu Kleinsäugern zu machen, während ich an derselben Strecke mit Chitin arbeitete. Tags darauf dann die im Titel angedeutete Vorlesung im Ger (Abb. 4-6) über Methodik sowie die tags zuvor gemachten Funde, kombiniert mit praktischen Übungen zur Chitinanwendung.
Dann reisten die Kollegen und Studierenden weiter in ein Tal, das bei Wikipedia als „rather remote and inaccessible even by Mongolian standards“ beschrieben wird, und ich setzte meine Arbeiten am sowie teils im KhovsGöl fort. Die freundliche, ein wenig Englisch sprechende Junior-Chefin des Ger-Camps überließ uns an zwei Tagen ihr Familienauto für wenig Leihgebühr, einen koreanischen Geländewagen mit Allradantrieb. Solch ein Fahrzeug ist auf den ausgefahrenen Sandpisten vor allen des Ostens aber auch weiter anderer Gebiete der Mongolei fast alternativlos.
Die Ergebnisse der Beprobung stehen natürlich noch aus, wobei die Chitinproben bei uns im Labor Zittau, mit Verfahren, die in meiner Arbeitsgruppe in den letzten Jahren entwickelt wurden, bereits analysiert werden während die parallel gesammelten Wasser-, Boden-, und Biomasse (Holz-, Dung-)Proben erst einmal auf dem Flughafen von UB beanstandet wurden und daher ihren Postweg nach hier finden müssen. Die seit Anfang 2015 bestehende strategische Partnerschaft wurde auf eine bedeutend breitere Basis gestellt, schließt nunmehr auch weitere Institutionen auf deutscher (Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, deren Repräsentantin ich in UB traf) wie mongolischer Seite (Geochemisches Zentrallabor der Mongolei) mit ein. Beide Seiten und Partner sehen der Fortführung mit großen wissenschaftlichen wie menschlichen Erwartungen entgegen. Es geht bei dieser Kooperation nicht einfach um Entwicklungshilfe, die dort auch notwendig ist und stattfindet – sondern eine produktive wissenschaftliche Zusammenarbeit, die Einblicke auch in die faszinierende Kultur der Steppennomaden als eine spezifischen Antwort auf extreme klimatische Gegebenheiten beinhaltet, findet statt. Wir alle freuen uns auf mehr davon, und rechnen mit weiteren relevanten, auch für die TUD weiterführenden wissenschaftlichen Ergebnissen.