04.10.2023
SPACE + BODY = PLACE
SPACE + BODY = PLACE
Intuitive körperliche Raumerfahrung
Wintersemester 2023/24
Lernen von der gebauten Umwelt
Heutzutage könnte man sagen, dass wir uns in der RE-Ära befinden, d.h. die Ära der renovating, repurposing, reusing, recycling, refurbishing, resizing, remodelling, etc.
Unsere physische Welt ist ein Patchwork aus Elementen und Prinzipien, und im Gegensatz zu Zeit und Geschichte ist ihre Lebensdauer alles andere als linear. Unsere gebaute Umwelt ist eine komplexe Collage von sich ständig verändernden Räumen, die wir durch unsere Interaktionen definieren und umdefinieren.
Da Architekten immer weniger neue Gebäude bauen und mehr und mehr im Bereich des RE-Sektors arbeiten, muss unsere Ausbildung uns dementsprechend ausstatten, und zwar nicht nur in Bezug auf die formale Ausbildung, sondern auch auf unsere persönlichen Forschungsansätze zur Selbstentwicklung.
Eine Änderung unserer Herangehensweise zu einer archäologischen Untersuchung der Architektur könnte von Vorteil und sogar zwingend notwendig sein. Die Archäologie konzentriert sich in erster Linie auf das Objekt selbst. Ihr wichtigster Protagonist ist die Materialität. Sie untersucht die vor Ort gefundenen physischen Objekte, um ihre Beziehung zu uns - den Menschen und unserem Verhalten - zu verstehen. Durch die Beobachtung ihrer Eigenschaften versucht die Archäologie, Objekte in der Zeit und damit in Beziehung zu anderen physischen Objekten zu setzen. Nachdem sie das Was und das Wie herausgefunden hat, fragt die Archäologie schließlich nach dem Warum, d.h. sie sucht nach einem breiteren Kontext als nur einem Zeitrahmen.
Dieses Prinzip des Rückwerkslernens vermittelt uns nicht nur ein Verständnis für das, was ist und was war, sondern ermöglicht es uns auch, Wissen zu sammeln, mit dem wir Veränderungen und Entwicklungen projizieren und antizipieren können.
Intuition vor Analyse
Beginnen wir mit einer völlig unreflektierten Auseinandersetzung mit bestehenden Räumen, zunächst mit unserem Körper. Wir werden intuitiv Atmosphären erleben, die durch ein Spiel von räumlichen Parametern entstehen, bevor wir über sie nachdenken.
Diese Übung macht uns zu Nutzern, bevor wir zu Gestaltern werden. Am Anfang, bevor wir unseren architektonischen Verstand einschalten, sollen wir durch den Raum fließen und ihn auf uns wirken lassen. Wir sollen uns von der Intuition unseres Körpers und von den räumlichen Manipulationen anderer leiten lassen.
Wurde unser Blick in eine bestimmte Richtung gelenkt?
Hat uns eine Fläche zum Sitzen eingeladen?
Haben wir Lust, schnell hindurchzugehen oder vielleicht die Schuhe auszuziehen und barfuß zu gehen?
Die intuitive Erfahrung bereits gebauter Räume ist für die Entwicklung des Architekten von wesentlicher Bedeutung, denn sie lehrt uns die möglichen Ergebnisse unserer Arbeit, ohne dabei alle menschlichen Sinne zu vergessen, die in der heutigen Welt der visuellen Dominanz leicht in Vernachlässigung fallen.
Das allgemeine Ziel dieser Übungen ist es, räumliche Parameter als Werkzeuge zur Schaffung von Atmosphären zu verstehen, die dann durch die Intuition ihrer Nutzer die Entwicklung von Orten ermöglichen. Das Verständnis der räumlichen Parameter, ihrer Eigenschaften, ihres Charakters und ihrer Manipulation ist das Handwerk des Architekten.
Außerdem ist diese Übung nicht nur für Architekten gedacht. Architektur beruht auf Vorstellungskraft, sowohl auf Seiten der Nutzer als auch auf Seiten der Planer. Da Architektur oft zu abstrakt ist, um sie zu beschreiben, suchen Architekten oft nach bestehenden Beispielen in der gebauten Umwelt, um ihren Kunden zu vermitteln, in welche zukünftigen Raumerfahrungen sie investieren und ihnen zu helfen, sich das Ergebnis vorzustellen. Wir lernen jedoch sehr schnell, dass räumliche Qualität in
diesem Dialog kaum das Argument ist, das es sein sollte.
Alle Menschen haben eine sehr enge Beziehung zum Raum, daher sollte das Verständnis unserer gebauten Umwelt Teil unserer Grundausbildung sein. Wir lernen die Grundlagen in Mathematik, Biologie, Chemie usw., aber unser räumliches Vorstellungsvermögen ist leider nicht etwas, das jeder lernt. Jeder potentielle Nutzer von Architektur sollte ein gewisses Maß an analytischem Denken über den Raum und seine Parameter entwickeln, um den Dialog über die Schaffung von Raum zu vertiefen und die Bedeutung der räumlichen Qualität nicht in Frage zu stellen.
Dieses Seminar ist in zwei Teile gegliedert.
In der ersten Hälfte des Semesters werden wir uns darauf konzentrieren, diesen Ansatz des Lernens von der gebauten Umwelt umzusetzen und unsere Intuition als Architekten und Raumgestalter zu entwickeln. Wir werden versuchen, unsere Architektenhüte abzunehmen und uns der Architektur in umgekehrter Weise zu nähern. Zunächst werden wir Orte intuitiv besuchen, einfach als Nutzer, ohne sie zu analysieren, und versuchen, ihre Atmosphäre aufzunehmen. Im Nachhinein werden wir versuchen zu verstehen, wie unsere Erfahrungen zustande gekommen sind und welche architektonischen Mittel verwendet wurden, um die von uns besuchten Räume zu schaffen.
Im zweiten Teil des Semesters werden wir dann versuchen, denselben Ansatz des Lernens von der gebauten Umwelt als eine grundlegende Ausbildung in räumlichen Qualitäten für Nicht-Architekten umzusetzen.
Das ultimative Ziel dieses Seminars ist es, einen Schritt zur Überbrückung der Kommunikationslücke zwischen Architekt und Nutzer zu machen