WiSe 2020/21 I Strukturwandel Weißwasser
Studentischer Wettbewerb: Strukturwandel Weißwasser Innovative Lebens- und Arbeitswelten
Die Stadt Weißwasser in der Oberlausitz, im nordöstlichsten Teil Sachsens gelegen, besaß mit der Glas- und später der Kohleindustrie über Jahrzehnte die wichtigsten Arbeitgeber der Region. Durch den wirtschaftlichen Strukturwandel im Zuge der Wiedervereinigung ging ein Großteil der Arbeitsplätze verloren, und die Einwohnerzahl sank von über 38.000 Einwohner (1990) auf ca.16.000 im Jahr 2020. Der gesellschaftlich und politisch gewünschte sowie ökologisch notwendige Kohleausstieg, in dessen Folge alle Kohlereviere in der Lausitz bis 2038 geschlossen werden, stellt die Region vor große Herausforderungen. Zwar wurden den betroffenen Gebieten durch das „Strukturstärkungsgesetz“ erhebliche Finanzhilfen des Bundes zugesagt, doch müssen diese auch in Maßnahmen fließen, die langfristig Wachstum und Beschäftigung zur Folge haben.
Initiative ergriff das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), welches als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) wichtige administrative Aufgaben des Bundes wahrnimmt. Die Entscheidung des BAFA, in Weißwasser eine neue Außenstelle zu eröffnen, kann als Katalysator für den erfolgreichen Strukturwandel in der Stadt genutzt werden. Einerseits werden durch diese Maßnahme ca. 300 Arbeitsplätze geschaffen, andererseits kann das BAFA damit als Magnet zur Ansiedlung weiterer wirtschaftlicher und institutioneller Einrichtungen wirken.
Derzeit sind die Mitarbeiter noch auf mehrere Bestandsgebäude im Stadtraum verteilt, aber das soll sich ändern. Auf dem Gelände der ehemaligen Gelsdorfhütte, dem ältesten Standort der Glasproduktion in Weißwasser, sollen nun mit einem Neubau beste Arbeitsbedingungen entstehen und gleichzeitig ein neuer räumlicher und funktionaler Schwerpunkt in innerstädtischer Lage geschaffen werden. Ziel ist es, die örtlichen Brachflächen langfristig zu einem Modellquartier für innovative Lebens- und Arbeitswelten zu entwickeln, die Vorbildcharakter haben.
Um sich diesem Ziel der städtebaulichen und hochbaulichen Standortentwicklung anzunähern, wurde zwischen dem BAFA und der TU Dresden mit der Professur für Entwerfen und Konstruieren II (Prof. Michael Vaerst) und der Professur für Städtebau (Prof. Angela Mensing-de Jong) ein Kooperationsprojekt in Form eines studentischen Wettbewerbs initiiert. Im Rahmen dieses Wettbewerbs sollten zum einen konkrete Gebäudeentwürfe für den BAFA-Campus erarbeitet werden, zum anderen auf städtebaulicher Ebene Konzepte für dessen Einbettung in ein zukunftsorientiertes Quartier im Sinne eines „Reallabors“ entstehen, das langfristig Perspektiven für die Menschen in Weißwasser und der Region Oberlausitz aufzeigt.
Die parallele Bearbeitung auf zwei Maßstabsebenen, der städtebaulichen und der gebäudeplanerischen, stellte eine besondere Herausforderung dar, würde man doch sonst mit zeitlichen Vorlauf den städtebaulichen Rahmen definieren, innerhalb dessen die Hochbauprojekte geplant werden. Aufgrund des engen Zeitfensters für die Entwicklung wurde hier aber das Experiment gewagt, beide Planungsebenen nicht nacheinander, sondern gleichzeitig als Wettbewerb durchzuführen. Durch den regelmäßigen, intensiven und fachübergreifenden Austausch und die Nutzung einer gemeinsamen digitalen Plattform funktionierte dieser Prozess letztlich sehr viel besser als gedacht. Nach den ersten konzeptionellen Überlegungen bildeten sich sowohl im Städtebau als auch im Hochbau Teams, die sich gegenseitig inspirierten und ihre Entwürfe konsequent aufeinander abstimmten.
Nach einer intensiven Semesterarbeit entstanden in diesem Rahmen jeweils 13 Städtebau- und 13 Hochbauentwürfe, die durch ein Preisgericht zu bewerten und zu prämieren waren. Dazu wurde die 13-köpfige Jury in eine Städtebau- und eine Hochbaujury eingeteilt. Beide tagten am 8. April zuerst getrennt für die beiden unterschiedlichen Fachsparten, fusionierten dann aber zur Abschlussdiskussion über die jeweils prämierten Arbeiten.
Angela Mensing-de Jong, Beatriz Alés Gregori und Louisa Scherer
Die Auswahl fiel der Jury nicht leicht, denn die Qualität der Arbeiten war beeindruckend. Dabei zeigten die Ergebnisse nicht nur, wie fruchtbar der Wechsel zwischen den Maßstabsebenen für den Entwurfsprozess genutzt wurde, sie verdeutlichten vielmehr eindrücklich, in welchem Maße die fachübergreifende Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachsparten kreativen und nutzbringenden Einfluss haben kann.
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1. Preis: KREISE ZIEHEN
Paul Gucinski, Carlotta Ickert
Auszug aus der Beurteilung des Preisgerichts der Fachsparte Städtebau:
"Konzeptionell stark ist die Idee, das gesamte Quartier um den Ziegeleiteich als Reallabor zu denken, in dem zu Fragen des ressourcenschonenden Bauens geforscht und experimentiert wird. Der Bereich westlich des BAFA Neubaus wird innovativen Werkhöfe und Forschungszentren gewidmet, die zur Kreislaufwirtschaft arbeiten. Um den Ziegeleiteich entstehen Baufelder zum Testen der neuen und recycelten Baustoffe. Im Sinne einer Kreislaufwirtschaft ist auch der Titel der Arbeit „Kreise ziehen“ zu verstehen."
Ein 3. Preis: ALTE NEUE MITTE
Paul Eichler, Johannes Hermann
Auszug aus der Beurteilung des Preisgerichts der Fachsparte Städtebau:
"Der Entwurf zeichnet sich durch eine überzeugend gestaltete neue Hauptachse südlich des Ziegeleiteichs aus, die eine abwechslungsreiche Raum- und Platzfolge ausbildet. Südlich wird diese durch eine urbane Blockrandbebauung begrenzt, die an die Bestands-bebauung mit neu ausgebildeten, grünen Höfen anschließt. Nördlich des Teichs zeigt der Entwurf im Kontrast dazu sehr kleinteilig organisierte, bis ins Detail gut durchgearbeitete Wohnhof-Cluster, die attraktive Wohnformen abseits klassischer Einfamilienhaussiedlungen aufzeigen."
Ein 3. Preis: Netzwerk Strukturwandel Weißwasser
Catherina Paus
Auszug aus der Beurteilung des Preisgerichts der Fachsparte Städtebau:
"Der Entwurf zeigt sich detailliert durchgearbeitet, schlägt eine hohe, urbane Dichte nördlich und südlich des Ziegeleiteichs vor, bildet dabei aber gute öffentliche Räume rund um die Wasserfläche aus. Besonders gelungen wirkt die Baukörpersetzung des BAFA-Neubaus. Über das eigentliche Plangebiet hinaus nimmt die Arbeit auch „lost places“ im weiteren Stadtgebiet in den Fokus und bindet diese mit der Vernetzung zum neuen Quartier in die Bewältigung des Strukturwandels mit ein."
Ein Ankauf: Schnittmenge Ziegelei
Baptiste Grassin, Georg Thomaschvili
Auszug aus der Beurteilung des Preisgerichts der Fachsparte Städtebau:
"Die Stärke des Entwurfs liegt in der überzeugend ausformulierten Anbindung der neuen Bebauung an das vorhandene Straßennetz (...). Im Unterschied zu zahlreichen anderen Arbeiten wird hier der Ziegeleiteich nördlich und südlich mit einer vergleichbar dichten, recht urban angelegten Bebauung praktisch „in die Zange genommen“ – im Ergebnis wird der Teich quasi der Natur entrissen und wirkt eher wie urbaner Raum zwischen den zwei Stadtplätzen vor dem BAFA-Gebäude und im Bereich der neu geplanten Stadthalle."
Ein Ankauf: ReMake Weißwasser
Lisa Beutner, Kateryna Krandiievska
Auszug aus der Beurteilung des Preisgerichts der Fachsparte Städtebau:
"Über die rein städtebauliche Aufgabe hinausgehend entwickeln die Verfasser*innen eine am Gemeinwohl orientierte soziale Utopie, die von der Ausweisung von Wohn-/Arbeitsquartieren als Experimentierfeld zum Selberbauen über wohnortnahe Landwirtschaft zur Selbstversorgung bis hin zur Eigentumsfrage von Grund und Boden zahlreiche Aspekte beleuchtet. (...) Dabei beschreibt die Arbeit weniger den baulichen Endzustand, als vielmehr die Regeln, um den dauerhaften Prozess des selbstorganisierten Neu- und Umbaus baurechtlich, bautechnisch und sozial 'einzuhegen'."