Aš (CZ)_(Selb D): Grenzland - Grenzenlos?
Anlass
Im Jahr 2023 werden die bayerisch-tschechischen Freundschaftswochen in den Städten Selb (D) und Aš (CZ) stattfinden. Im Rahmen der Vorbereitungen wurden finanzielle Mittel zur Durchführung eines internationalen Workshops zur Entwicklung von städtebaulichen Visionen für die zukünftige „Europastadt“ bereitgestellt.
Koordiniert wird das Projekt vom Kunstverein Hochfranken Selb e. V., der seit der Jahrtausendwende diverse deutsch-tschechische Projekte durchgeführt und so die Menschen beiderseits der Grenze einander näher gebracht hat. Bei dem Projekt „Wir 2 / My 2 - Selb + Aš: Hüben und Drüben / Tam i tady“ setzten beispielsweise 2016/17 künstlerische Interventionen deutliche und nachhaltige Zeichen beiderseits der Grenze.
Einen weiteren Anlass bietet das Bauhausjahr 2019. Die Firma Rosenthal stellt für den Workshop Räume im Feierabendheim des von Walter Gropius in den 60er Jahren entworfenen Werkes am Rothbühl zur Verfügung. Auch wenn wir uns im Rahmen der Aufgabenstellung nicht mit dem Werk und seinen Bauten auseinandersetzen, so wird uns hier doch ein besonders inspirierender Ort zum Arbeiten geboten.
Thema
„Ganz nüchtern betrachtet, ist eine Grenze zunächst einmal nicht mehr als eine wirkliche oder gedankliche Linie, die zwei Dinge voneinander trennt.“ Konrad Paul Liessmann
Mehr als ein Drittel der EU-Bürger lebt und arbeitet in Europas Grenzregionen. Diese sind sehr vielfältig. Es gibt wirtschaftsstarke, urban geprägte Grenzregionen, strukturschwache ländliche Regionen und es gibt Regionen, die sich über einen gemeinsamen grenzüberschreitenden Naturraum (z. B. ein Gebirge, einen See oder einen Fluss) identifizieren. Entsprechend unterschiedlich sind - gemessen an den jeweiligen regionalen Bedarfen - auch die Felder und Formen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.
Häufig sind Grenzregionen aufgrund ihrer Randlage in Bezug auf die nationalen Zentren mit Nachteilen konfrontiert. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit heißt damit auch, diesen Nachteil zu überwinden und gemeinsam regionale Stärken zu entwickeln. Der Vorteil grenzüberschreitender Zusammenarbeit liegt daher auf der Hand. Grundsätzlich gilt die Hoffnung: gemeinsam sind wir stärker.
Diese Region Selb - Aš hat eine besondere historische Dimension. Während an den westdeutschen Grenzen grenzüberschreitende Kooperationen schon über Jahrzehnte haben wachsen können, fand an den östlichen Grenzen Deutschlands vor dem Wechsel der politischen Systeme keine Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene statt. Die Grenze zu Polen war seit der Aufhebung des visafreien Personenverkehrs 1980 praktisch geschlossen, die bayerisch-tschechische Grenze durch Stacheldraht und Niemandsland gekennzeichnet.
Räumlicher und historischer Kontext
Die Städte Selb auf deutscher Seite und Aš auf tschechischer Seite sind aufgrund ihrer Lage und historischen Entwicklung jeweils durch strukturelle Umbrüche geprägt. An der Stadtgrenze der nordbayrischen Stadt Selb war für mehr als vier Jahrzehnte die westliche Welt zu Ende. Im Osten begann die tschechische Republik und auch die Grenze zur DDR lag nur wenige Kilometer entfernt.
Die Stadt Ašgalt aus tschechischer Sicht ebenfalls als strukturschwaches Grenzland im nordwestlichsten Winkel der Republik, deren Stadtbild und Identität durch die Aussiedlung der sudetendeutschen Bevölkerung ab 1946 und dem darauf folgenden jahrelangen Leerstand und Abriss vielen Gebäude stark gelitten haben.
Über eine Länge von insgesamt 12 km stoßen die Selb und Ašmit ihren Stadtgrenzen aneinander, doch erst seit 1990 ist der Grenzübergang zwischen beiden Kommunen wieder passierbar. Vorher durften nur Güterzüge die Grenze in diesem Bereich überqueren. Nach der Öffnung der Grenze hat sich vor allem die EU Osterweiterung im Jahre 2004 maßgeblich auf die Entwicklung beider Städte ausgewirkt. Im Mai 2011 wurde eine Radwegeverbindung zwischen Bayern und Böhmen eröffnet und seit 2015 verkehren auch wieder Personenzüge auf der Strecke zwischen Hof und Cheb.
Zahlreiche Bewohner aus Aš arbeiten inzwischen in Unternehmen in Selb und in angrenzenden bayerischen Städten, so dass der tägliche Ein- und Auspendlerverkehr an der Grenze zunimmt. Viele Deutsche profitieren andererseits von den weiterhin günstigeren Preisen für Kraftstoff und andere Produkten auf der tschechischen Seite. Auch unterschiedliche rechtlichen Bedingungen fördern den „kleinen Grenzverkehr“. Spielcasinos locken ein bestimmtes Klientel in den grenznahen Bereich von Aš, den die Stadtverwaltung selbst als „Aš Vegas“ bezeichnet.
Zur Stärkung der wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Beziehungen wurde von beiden Stadtverwaltungen im Jahr 2014 ein gemeinsamer strategischer Plan entwickelt, der Leitlinien für die Entwicklung der sozialer und technischer Infrastruktur, die Förderung von Unternehmen und Neuansiedlungen, den Ausbau des Tourismus und den Umweltschutz definiert.
Trotzdem werden städtebauliche Planungen – z. B. im Grenzbereich – bisher nicht aufeinander abgestimmt.
Aufgabe
Beide Städte, Selb und Aš erhoffen sich von dem internationalen Workshop und der Weiterentwicklung der Konzepte an der TU Delft, der CVUT Prag und der TU Dresden im Rahmen des Sommersemesters Ideen und wichtige Impulse für ihre Zukunft.
Die Aufgabenstellung ist bewusst offen gehalten und auch räumlich nicht auf einen Teilbereich fokussiert. Der Verwertungsdruck von brach liegen Flächen ist in beiden Städten gering und es gibt zur Zeit nur wenige Investoren, die die Absicht haben, größere Vorhaben umzusetzen.
In Selb ist das Projekt eines saarländischen Entwicklers, der beabsichtigt, sein Outletcenter in die Stadtmitte zu erweitern, das größte Vorhaben, das diskutiert wird und das Stadtbild entscheidend prägen würde. In Aš will ein Casinobetreiber eine Pokerhalle mit Hotel direkt gegenüber des Spielcasinos an der Grenze bauen, während in der Stadtmitte weiterhin Nutzungen und Bausteine zur Schaffung eines qualitätsvollen Zentrums fehlen.
Maßnahmen zur Aufwertung des öffentlichen Raums und der Ansiedlung von neuen Nutzungen sind für beide Städte von großer Bedeutung. Ob man bei der Entwicklung der Zentren auf Ähnlichkeiten und Wiedererkennung oder eher auf Unterschiede in Struktur und Identität setzt, ist konzeptabhängig.
Lehrende
Angela Mensing-de Jong
Gudrun Deppe
Louisa Scherer