11.12.2023
Stadtplanung in der Schule: Symposium diskutierte über Möglichkeiten der Co-Design-Anwendung U_CODE für die politische Bildung
Erfahrungen aus deutschen Klassenzimmern, die Story eines Forschungsprojekts und Theorien der Bürgerbeteiligung, dazu angeregtes Ausprobieren und kreatives Ideenspinnen: Das Symposium „Welche Potentiale hat digitales Co-Design für Stadtplanung und Bildung?“ bot Besucherinnen und Besuchern vielfältige Impulse. Und auch das Projektteam freute sich über reichlich Feedback und einige Perspektiven für künftige Kooperationen.
Ralf-Dahrendorf-Preis finanzierte Roadshow
Das Symposium zog die Bilanz einer Roadshow, die vom Gewinn des Ralf-Dahrendorf-Preises finanziert wurde. 2021 war eine Forschungsgruppe des WISSENSARCHITEKTUR – Laboratory of Knowledge Architecture für die Computeranwendung U_CODE als „herausragendes Projekt im europäischen Forschungsraum“ ausgezeichnet worden.
Das Preisgeld von 50.000 Euro nutzten die Forschenden dafür, ein neues Einsatzfeld auszuloten. U_CODE war für Co-Design-Beteiligungsverfahren entwickelt worden und hatte sich in Stadtplanungsprojekten bewährt. Bürgerinnen und Bürger konnten etwa im 3D-Modell einen Entwurf zur Neugestaltung des Dresdner Fritz-Foerster-Platzes erstellen und andere Entwürfe kommentieren.
Ideen und Feedback per Schwarmintelligenz generieren – funktioniert das auch mit Kindern und Jugendlichen? Das U_CODE-Team wollte es wissen und plante eine Roadshow mit deutschen Schulen und Festivals.
Dekanin Marquardt: „Wichtiger Anstoß für die politische Bildung“
„Der Gedanke, U_CODE in Schulen einzusetzen, ist ein wichtiger Anstoß für die politische Bildung“, sagte die Dekanin der Fakultät Architektur, Prof. Gesine Marquardt, in ihrem Grußwort zum Symposium, das im SLUB-Makerspace stattfand. Sie lobte das preisgekrönte Projekt als Ergebnis europäischer Zusammenarbeit, für die Verbindung von Technik und interdisziplinärer Datenanalyse und für die agile, zukunftsoffene Ausrichtung.
Nie mehr Stuttgart 21: Die U_CODE-Story
Bevor die Anwesenden dann selbst aktiv werden durften, erzählte ihnen Prof. Jörg Rainer Noennig, Leiter der WISSENSARCHITEKTUR, auf unterhaltsame Weise die „U_CODE Story“. Die meisten seiner Projekte beginnen als Gedankensplitter, an denen die Teammitglieder hängenbleiben, die sie sich zuspielen, diskutieren, weiterdenken, bis daraus ein Antrag entsteht. Im Falle U_CODE war Stuttgart 21 das zündende Ereignis. „Man hatte die Bedürfnisse der Bevölkerung nicht berücksichtigt und sich damit große Probleme eingehandelt“, so Noennig.
Der Gegenentwurf „U(rban)_CODEsign“ entstand 2016-19 im Rahmen eines Horizon2020 geförderten Forschungs- und Innovationsprojekts mit einem EU-weiten Konsortium unter Leitung der WISSENSARCHITEKTUR. Das erste Praxisprojekt war die Umgestaltung eines Schulcampus, schnell folgten internationale Projekte in Indien, Japan und Kenia; weitere Vorhaben, z.B. in der Ukraine, sind angedacht. Inzwischen gibt es eine Entwicklungsabteilung und die OPUS-Gruppe, die das Projekt vor Ort durchführt. Dazu wird U_CODE im Rahmen eines Exist Forschungstransfer als Startup ausgegründet.
Bürgerbeteiligung als "Innovationsökosystem"
Dr. Filipe Mello Rose, WISSENARCHITEKTUR-Kollege aus dem Modellprojekt Smart City Dresden, erläuterte in seiner Key Note die theoretischen Grundlagen von Bürgerbeteiligung. Viele Städte hätten in den letzten Jahren die Notwendigkeit partizipativer Prozesse erkannt, handelten aber vielfach unter unklaren Voraussetzungen und mit falschen Erwartungen. Beteiligung bilde nie eine Einheit, sondern die Diversität der Meinungen und Möglichkeiten ab; sie sei ein „Innovationsökosystem“, das man aufbauen, pflegen und interpretieren müsse.
Als Beispiel für einen wichtigen Parameter in der partizipativen Stadtplanung nannte Mello Rose Legitimität und Wissen. Legitim sei es in einer Demokratie, allen Bürger:innen Zugang zur Meinungsäußerung zu geben und sie gleichberechtigt zu beteiligen.
In puncto (Alltags-/Problem-/Lösungs-)Wissen aber können die Aussagen von Bürger:innen mit besonderen Einblicken (z.B. Anwohner) oder aus bestimmten Bereichen (Wirtschaft, Wissenschaft) für die Planung relevanter sein als andere. Die Entscheidungsträger müssten sich also klarwerden, ob ihnen bei ihrer Problemstellung ein breites Meinungsbild hilft oder ob sie die Ergebnisse nach konstruktiven Gesichtspunkten gewichten möchten.
U_CODE auf Roadshow: Wie erlebst du deinen Schulweg?
Das verborgene Wissen der Schwarmintelligenz war auch Thema von Andreas Wilde, der die „Erfahrungen aus der Roadshow“ vorstellte. In Schulen von Dresden-Plauen und Hamburg nahmen Schüler:innen ihren Schulweg unter die Lupe: Was sind markante Orte? Was empfindest du an der Umgebung „schön“, „laut“, „gefährlich“…? Dann durften sie im 3D-Modell ihre Schulumgebung oder ihren Stadtteil verändern: Welche Häuser würdest du hier bauen? Sollen Grünflächen entstehen? Radwege? Ein Bolzplatz? Die anschließende Gruppendiskussion, welche Entwürfe die „Eco“-, „Safety“-, „Smart“-, „Beauty“- oder „Funny“-Awards verdienen, war stets ein Highlight der Workshops.
Natürlich hätten einige Schüler:innen auch Quatsch produziert, aber die Beiträge und Entwürfe, so Wilde, zeigten immer wieder beachtlichen Ideenreichtum und Weitblick. Und sie gaben einen höchst spannenden Einblick in die Vorstellungswelt der Schüler:innen. Ängste und Bedürfnisse kamen zur Sprache, etwa nach Sicherheit oder Raum für persönliche Entfaltung. Hier können pädagogische Gespräche mit der Klasse ansetzen, auch darüber, wie eigene Beteiligung an der Gestaltung ihrer Stadt möglich ist.
Workshops in Schulen werden fortgesetzt
Die Erfahrungen aus der Roadshow haben das Team überzeugt, U_CODE weiter im Bildungsbereich einzusetzen, auch wenn die Förderung nicht mehr besteht. „Interessierte Schulen oder andere Einrichtungen dürfen gern auf uns zukommen. Es gibt sicher Möglichkeiten, das zu arrangieren“, erklärt Wilde. Informationen und Kontakt
Die Ergebnisse aus den Schulworkshops dienen U_CODE dazu, die Anwendung auf den „Gamification-Faktor“ (das Spielerlebnis als Türöffner zur Beteiligung) und eine niedrigschwellige Nutzerfreundlichkeit hin weiter zu optimieren. Doch bei einer Veranstaltung ergab sich unverhofft die Möglichkeit, die Daten tatsächlich der passenden Stelle zuzustellen: Beim Jugendaktionstag „Klimazirkus“ Karlsruhe interessierte sich das Stadtplanungsamt für die Resultate und will sie als Feedback auswerten.
Creative Battle: Die Zukunft von U_CODE?
Bereits zwischen den Vorträgen konnten die Besucherinnen und Besucher am Großbildschirm oder Tablet selbst U_CODE ausprobieren und, an Kaffee und Häppchen gestärkt, mit dem Team ins Gespräch kommen. Als letzten Programmpunkt gab es den „Creative Battle“: Moderiert von Prof. Noennig saßen Christiane Wagner (Bürgerlabor/Landeshauptstadt Dresden) und Stefanie Schroeder (Studienbrücke Mentoring/TU Dresden) auf dem Podium und brainstormten mit den Anwesenden über die Zukunft von U_CODE.
Wagner betonte, dass in der Bürgerbeteiligung über U_CODE-Projekte große Potentiale für die Stadt Dresden liegen. Für den Erfolg sei aber wesentlich, die Aufgaben z.B. der Entwürfe genau auf das planerische Erkenntnisinteresse zuzuschneiden und eine Struktur der Beteiligungsprozesse bis in die Verwaltung hinein zu etablieren. „Hier müssen die Ziele und Entscheidungswege definiert sein, damit alle an einem Strang ziehen können“, so Wagner. Schroeder hob die kreativen Möglichkeiten hervor: „Warum nicht ganz frei denken und einfach mal ‚Dresden 2080‘ entwerfen? Und sich dann von den Ideen inspirieren lassen…“
„Mehr als Minecraft“
Dass U_CODE in der Bildung eine Chance hat, unterstützten beide. Schroeder: „Kinder spielen so gerne Minecraft. Da müsste es doch auch klappen, sie für U_CODE zu begeistern!“ Aus dem Plenum kamen viele Fragen und Vorschläge. Etwa die Beteiligung nicht nur projektweise, sondern über eine Plattform zu verstetigen, damit sich ein Netzwerk bilden kann. Schulprojekttage im Science Lab veranstalten. Lehrer:innen in U_CODE ausbilden, damit sie selbst Workshops leiten können. Regelmäßige Co-Design-Sessions an Schulen einrichten.
Prof. Noennig: „Beteiligungsformate geben uns die Möglichkeit, die Bürger:innen besser zu verstehen. Mit U_CODE lassen sich komplexe Vorstellungen statt mit 1.000 Worten in einem Bild darstellen.“ Und Torsten Holmer, Entwicklungsteammitglied, der gut digital per Kamera an der Diskussion teilnahm, versprach: „Wir arbeiten weiter!“