Beurteilung der Sprödbruchgefährdung gelochter Stahltragwerke - Weiterentwicklung der Analysemethoden
Leitung: | Prof. Dr.-Ing. Richard Stroetmann |
Bearbeitung: | Dipl.-Ing. Lars Sieber |
Laufzeit: | 06/2013 - 07/2015 |
Eine immer größer werdende Aufgabe im Bauwesen stellt die Sanierung bzw. Ertüchtigung bestehender Bauwerke dar. Die knapp 15.000 Stahlbrücken im Bestand der Deutschen Bahn AG weisen ein Durchschnittsalter von 80 Jahren auf (siehe Abbildung 1). Die mit Abstand meisten Eisenbahnbrücken wurden daher in den Jahren 1900 bis 1920 erbaut. Etwa 800 dieser Brücken wurden bis 2006 in die Schadenskategorie 4 nach Richtlinie 804.8001 eingestuft und bedürfen somit dringend einer Instandsetzung und / oder Teilerneuerung.
Aber auch die ca. 6.500 Bahnhöfe in Deutschland – bei etwa 500 davon handelt es sich um Großbahnhöfe bis hin zu mittleren Personenbahnhöfen – sowie die zahlreichen Bahnbetriebsanlagen stellen ein erhebliches Anlagevermögen dar. Bei einem aktuellen Durchschnittsalter der Bahnhöfe von über 100 Jahren werden auch im Hinblick auf eine teilweise Umnutzung der Gebäude beträchtliche Instandsetzungs- und/oder Umbaumaßnahmen notwendig.
Einen ebenso beträchtlichen Bestand an alten Stahlkonstruktionen stellen die unzähligen Strommaste im Energieversorgungsnetz Deutschlands dar. Allein im Versorgungsnetz des Netzbetreibers RWE stehen ca. 28.000 Freileitungsmasten seit den 1920er / 30er Jahren in Betrieb. Sie wurden nachweislich aus dem im Thomasverfahren hergestellten Flussstahl erbaut. Für die genannten Infrastrukturbauwerke würde ein Sprödbruchversagen nicht nur zu Schäden an den Bauwerken selbst, sondern u. U. auch zu erheblichen Folgeschäden führen, wie es bei den umgeknickten Strommasten im Münsterland deutlich wurde.
Bei der Beurteilung der Sicherheit bestehender Konstruktionen aus Flussstahl (dazu gehören Stähle, die nach dem Bessemer-, Thomas- oder Siemens-Martin-Verfahren hergestellt wurden) und der Entscheidung über notwendige Instandsetzungs- und Verstärkungsmaßnahmen ist der Nachweis ausreichender Werkstoffzähigkeit (Sicherheit gegen sprödes Versagen) von wesentlicher Bedeutung. Dies gilt insbesondere in Verbindung mit konstruktions- oder herstellungsbedingten Kerbwirkungen sowie Schädigungen durch Ermüdungsrisse, die sich in einem frühen Stadium befinden und noch nicht, z.B. bei einer Inspektion, entdeckt wurden.
Die vorliegenden und normativ geregelten Nachweismethoden zur Beurteilung der Sprödbruchgefährdung wurden für Schweißkonstruktionen an „Stählen aus neuerer Zeit“ mit in der Regel hohen Zähigkeitswerten entwickelt. Die Bestimmung der Werkstoffzähigkeit erfolgt durch Kerbschlagversuche unter definierten Temperaturen, die stellvertretend für die Einsatzbedingungen der Stähle stehen. Die Beziehung zwischen der Kerbschlagarbeit und der Bruchzähigkeit im CT-Versuch wird durch eine Korrelationsbeziehung (Sanz-Korrelation) hergestellt, die für diese Stahle geeicht wurde.
Das Verfahren ist für Flussstahlkonstruktionen mit Lochschwächungen durch Niet- und Schraubenverbindungen nicht geeignet. Gründe hierfür bestehen darin, dass sich
- Kerbwirkung und Eigenspannungszustand von geschweißten und gelochten Konstruktionen und damit die Zähigkeitsanforderungen wesentlich voneinander unterscheiden,
- die Korrelationsbeziehung zwischen der Kerbschlagarbeit und bruchmechanischer Zähigkeit bei neuen Stählen nicht unverändert auf Flussstähle übertragen lässt, und
- die Zähigkeitseigenschaften von Flussstählen deutlich größeren Streuungen unterliegen. Grund hierfür sind die im Vergleich zu heutigen Stählen stärker streuenden Werkstoffeigenschaften und die z.T. deutlich geringere Werkstoffzähigkeit im Kerbschlagversuch, insbesondere durch höhere Gehalte an nicht-metallischen Einschlüssen.
Oft liegt die Kerbschlagzähigkeit von Flussstählen bereits unter Raumtemperatur im Tieflagenbereich (vgl. Abbildung 3), sodass bei fehlender Sachkenntnis über die Zusammenhänge z.T. die Konstruktionen wegen „Werkstoffversprödung durch Alterung“ verworfen werden. Zur sachgerechten Beurteilung der Sprödbruchgefährdung genieteter bzw. geschraubter Konstruktionen aus Flussstahl eignen sich bruchmechanische Nachweise, bei denen die konstruktionsbedingten Zähigkeitsanforderungen unter Einbeziehung möglicher Schädigungen und die vorliegenden Zähigkeitseigenschaften der Stähle berücksichtigt werden.
Bisher ist der Einsatz bruchmechanischer Nachweisverfahren auf ausgewählte Brückenbauwerke beschränkt geblieben. Gründe hierfür liegen in den z. T. aufwendigen Materialuntersuchungen und FEM-Berechnungen zur Bestimmung der Zähigkeitsanforderungen und notwendigem Fachwissen, sodass diese Untersuchungen nur wenigen, hierauf spezialisierten Ingenieuren vorbehalten ist.
Ziel des Forschungsvorhabens ist daher die Entwicklung eines praxisgerechten Verfahrens zum Nachweis ausreichender Zähigkeit von Bauteilen aus Flussstählen mit Loch-schwächungen. Die Grundlage hierfür bilden bruchmechanische Berechnungen. Die Bereitstellung eines praxisgerechten Nachweisverfahrens zur sachgerechten Beurteilung der Sprödbruchgefährdung trägt zur Erhaltung und Umnutzungsfähigkeit einer Vielzahl von Bauwerken bei. Maßnahmen zur Erneuerung und dem Rückbau von Flussstahlkonstruktionen, die auf mangelhafte Beurteilung der Werkstoffanforderungen und -eigenschaften zurückzuführen sind, werden vermieden. Andererseits werden Instrumente zur Verfügung gestellt, mit denen zielgerichtet Schwachstellen in bestehenden Tragkonstruktionen festgestellt und die notwendigen Maßnahmen ergriffen werden können.
Weitere beteiligte Forschungstellen
Technische Universität Dresden, Institut für Werkstoffwissenschaften
Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf
Ingenieurbüro für Werkstofftechnik Aachen