May 10, 2023
Bei den großen Fragen ist die Hebamme oft allein
![Katharina Langton](https://tu-dresden.de/med/mf/zhw/ressourcen/bilder/bilder-ma/Katharina-Langton.jpg/@@images/79325945-ad99-4d59-949c-faaebec58cb5.jpeg)
Katharina Langton, wissenschaftliche Studiengangsleitung Hebammenkunde B.Sc.
Hebammen brauchen ein gutes und emotional belastbares Grundgerüst. Damit das gelingt, wird die Ausbildung nun verändert.
Was würden Sie denn jetzt machen? – Jede Hebamme kennt diese Frage. Sie wird immer dann gestellt, wenn es um das Leben geht. Wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, die das Leben für immer verändern werden, egal, wie sie ausfallen. Wenn keine andere Person – im wahrsten Sinnen des Wortes – greifbar ist. Was kommt auf mich zu, wenn ich die Schwangerschaft jetzt fortsetze. Was ist, wenn mein Kind eine Behinderung hat? Ich kann doch nicht zusehen, wie ein Leben endet, bevor es begonnen hat? Was ist, wenn keine Entscheidung richtig scheint?
Genau das sind die Momente, in denen junge Hebammen ein gutes und emotional belastbares Grundgerüst brauchen, um die Last der Fragen nicht nur zu beantworten, sondern auch zu verantworten. Mittlerweile sind diese Skills Bestandteil der Ausbildung geworden. Der Umgang mit Konfliktsituationen in der Schwangerschaft, beleuchtet von Hebammen, Ärztinnen und Ärzten, Psychologinnen und Psychologen sowie Mitarbeitenden von Beratungsstellen, ist ein elementarer Bestandteil des Hebammenstudiums. Ein Schwerpunkt liegt dabei auch auf der Vermittlung und dem Training kommunikativer Fähigkeiten im Umgang mit betroffenen Frauen und Familien. Dafür sind im Skills Lab des Zentrums für Hebammenwissenschaft praktische Übungen in Kleingruppen mit Schauspielenden vorgesehen. In den praktischen Einsätzen in den Kliniken werden die Studierenden Schritt für Schritt an die Betreuung und Beratung von Frauen mit auffälliger Pränataldiagnostik herangeführt und lernen zudem Netzwerke kennen, die zusätzlich unterstützen. Sie lernen auch, Geburtshilfe zu leisten, wenn die Beeinträchtigungen des Kindes nicht mit dem Leben vereinbar waren oder sind. Die Begegnung mit Grenzsituationen des Lebens verändert, macht mitunter sehr betroffen und bleibt nicht hinter der Kreißsaaltür zurück. Der Austausch mit anderen, die beruflich mit ähnlichen Situationen konfrontiert werden, hilft, Geschehenes einzuordnen.
Auch Reflexion im Team und der Umgang mit persönlichen Sichtweisen werden im Studium thematisiert. Wie schaffe ich den Spagat zwischen professioneller Distanz und zugewandter, individueller Betreuung in einer für die Frau und ihre Familie so aufwühlenden Zeit ihres Lebens? Wie kann ich Frauen gut betreuen, die Entscheidungen treffen, die meinen eigenen Wertevorstellungen zutiefst widersprechen? Ist es überhaupt möglich, gänzlich objektiv und vorurteilsfrei Betreuung zu leisten? Die Studentinnen sind sich einig, dass sich der Blickwinkel auf die Frage „Kann und will ich dieses Kind bekommen?“ verändern wird, sobald sie selbst schwanger werden oder gar selbst vor solch schwierigen Entscheidungen stehen würden.
Am Ende fühlt auch die erfahrene Hebamme immer ein Betroffensein, jede Situation ist einzigartig und wird wohl ein Berufsleben lang nicht zur Routine. Und dies ist irgendwie auch gut und richtig so.
Autor:
Katharina Langton, wissenschaftliche Studiengangsleitung Hebammenkunde B.Sc.