01.12.2020
Modell Hellerau – auf dem Weg zum Weltkulturerbe?
TUD-Seminar Baudenkmalpflege zeichnet nach, wie die Gartenstadt entstand und leistet Beitrag zur möglichen Bewerbung
Dr. Nils M. Schinker
Der Weg bis zur Aufnahme auf die Welterbeliste der UNESCO ist steinig. Wer das Nominierungsverfahren der Montanregion Erzgebirge verfolgt hat, dem ist bekannt, dass Ausdauer und Rückschläge dazugehören. Und der Verlust des Welterbetitels für das Dresdner Elbtal hat nicht nur Dresdens Ruf geschadet, sondern auch den lokalen Protagonisten des Welterbes vor Augen geführt, dass ihr Anliegen – das kulturelle Erbe der Menschheit zu schützen und zu erhalten – besser vermittelt werden muss.
Neuer Anlauf zur Aufnahme in die Weltkulturerbeliste
Um diese Hürden wissend, engagiert sich der Förderverein Weltkulturerbe Hellerau e. V., zu dessen Mitgliedern neben den Deutschen Werkstätten und dem Europäischen Zentrum der Künste Hellerau viele Bewohner der Gartenstadt zählen, in einem neuen Anlauf für die Aufnahme der Gartenstadt Hellerau auf die Tentativliste der Bundesrepublik Deutschland. Aus diesem Anlass fand in Kooperation mit der TU Dresden kürzlich das internationale Kolloquium »Hellerau – Ort der Moderne. Kontinuitäten und kontroverse Wechselwirkungen « statt. Mitorganisatoren von der TU Dresden waren Senior-Prof. Karl-Siegbert Rehberg vom Institut für Soziologie und Dr. Nils M. Schinker vom Institut für Baugeschichte, Architekturtheorie und Denkmalpflege sowie Prof. Hans- Georg Lippert und Senior-Prof. Thomas Will, welche die Veranstaltung moderierten.
In den Beiträgen der Experten aus Deutschland, der Schweiz, den USA und Uruguay wurde einmal mehr deutlich, dass mit der von Ebenezer Howards Gartenstadtmodell inspirierten Siedlung, den Deutschen Werkstätten und dem Festspielhaus in Hellerau in der kurzen Zeitspanne vor dem Ersten Weltkrieg etwas Außergewöhnliches entstand. Auch nach über einhundert Jahren sind die hier umfassend umgesetzten Ideen für ein soziales Miteinander, für ein gesundes und gut gestaltetes Arbeits- und Wohnumfeld, für ökologischen Städtebau und vieles mehr hoch aktuell.
Hellerau als Wegbereiter typisierten Wohnungsbaus
In vielen Bereichen des Planens, Bauens und Lebens hat Hellerau Modellcharakter. Insbesondere mit seinen Wohnvierteln gilt Hellerau als Wegbereiter eines kostengünstigen, typisierten und standardisierten Wohnungsbaus, bei dem die Architekten in vollständig entworfenen Straßenzügen im Spiel der Varianten eine hohe gestalterische Geschlossenheit erreichten. Hinter der komponierten Vielfalt einer begrenzten Anzahl typisierter Grundrisse und unterschiedlich großer Haustypen steckte die Idee der sozialen Durchmischung; die Ausführung mit standardisierten, teilweise vorgefertigten Bauteilen reduzierte die Baukosten entscheidend.
Diesen Planungs- und Herstellungsprozess, der seinerzeit als Pionierleistung auf dem Weg zu einer Normierung im Bauwesen bewertet wurde, im Modellbau nachzuvollziehen, war Aufgabe im Seminar Baudenkmalpflege der TU Dresden. Im Sommersemester 2020 fertigten Studierende der Architektur ein detailliertes Stadtmodell im Maßstab 1:200 an. Mit einer Gesamtgröße von 475 x 235 cm stellt es die stadträumlich prägenden Wohnquartiere im Kleinhausviertel in ihrem Erbauungszustand um 1914 dar. Entsprechend der historischen Situation bestimmten auch im Modellbau gemeinsame Absprachen zu Material und Ausführung über das harmonische Erscheinungsbild der fein aufeinander abgestimmten »Einheit in der Vielfalt«. So galt es auf Grundlage archivierter Genehmigungspläne und bauzeitlicher Fotos CAD-Zeichnungen zu erstellen – mit einheitlichen Vorgaben zu einer maßstabsgerechten Detaillierung der Bauteile –, die zur Anfertigung der Bausätze notwendig waren. Die präzise Serienproduktion der Bauteile aus Flugsperrholz für die Fassaden erfolgte mittels Lasercutter im Makerspace der SLUB. Die verschiedenen Dachformen wurden aus vorgefertigten Massivholzprofilen angefertigt.
Virtuelle Meetings statt Besprechung am Werktisch
Eine besondere Herausforderung stellten die Einschränkungen durch COVID-19 für den geplanten Seminarbetrieb dar, in dem neben den digitalen Kenntnissen auch handwerkliche Fertigkeiten vertieft werden sollten. Statt gemeinsamer Besprechungen am Werktisch gab es virtuelle Meetings. Die Einzelschritte mussten stärker synchronisiert werden, sodass die gelaserten Bausätze per Post an die in ganz Deutschland verteilten Studierenden zur Montage in Heimarbeit verschickt werden konnten. Zu Semesterende, mit zunehmenden Lockerungen, konnten in Einzelterminen letzte Beratungen und schließlich das Einsetzen der fertigen Hausgruppen in das Umgebungsmodell erfolgen. Termingerecht konnte das fertige Stadtmodell zum internationalen Kolloquium präsentiert werden. Für die Zukunft ist ein Verbleib im Besucherzentrum vorgesehen, so dass Architekturinteressierte, Hellerau-Besucher und die Bewohner sich ein Bild der Gartenstadt machen können, das Vorbild für zahlreiche Stadtplanungsprojekte war und ist. Derzeit kann das Modell im Foyer der Deutschen Werkstätten Hellerau (historisches Gebäudeensemble) aufgrund der Corona-Pandemie leider nicht besichtigt werden.
Mehr zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Gartenstadt Hellerau steht unter https://de.wikipedia.org/wiki/Hellerau.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 19/2020 vom 1. Dezember 2020 erschienen. Die komplette Ausgabe ist im Online-Auftritt des UJ unter https://tu-dresden.de/uj oder hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei bestellt werden.