15.05.2019
Nachruf auf Professor Karlheinz Georgi
Der »Meister des schnellen Strichs« verstarb am 8. April 2019
Niels-Christian Fritsche
Karlheinz Georgi war der TH und später TU Dresden seit seinem Architekturstudium von 1952 bis 1958 und von 1959 bis zu seiner Verabschiedung im Jahr 2000 als empathischer Lehrer und humorvoller Kollege formschlüssig verbunden. Georgi arbeitete als wissenschaftlicher Assistent, Dozent sowie Lehrbeauftragter für Malerei, Farbgestaltung, Freihandzeichnen und elementares Gestalten. Der 1934 in Oberhohndorf (bei Zwickau) Geborene lehrte als »außerordentlicher Professor für Freihandzeichnen« und von 1992 bis 2000 als Professor für Darstellungslehre an der Fakultät Architektur. Als stellvertretender Gründungsdekan half er bei der mental enorm wichtigen Demokratisierung der Fakultät Architektur nach 1990. Wir verdanken Karlheinz Georgi das Einrichten von künstlerischen Lehraufträgen mit europaweiter Ausstrahlung.
Georgis Lehre im Freihandzeichnen von 1967 bis 2000 war legendär. Warum? Seine Seminare galten als Performances. Der »Meister des schnellen Strichs« (Tanja Scheffler, UJ 13/2018) führte beeindruckend leicht vor, wie schnell wir das räumliche Zeichnen lernen können. Georgi verband den ausbildenden Aspekt des Freihandzeichnens für das Architekturstudium mit dem bildenden Horizont des freien, künstlerisch verstandenen Zeichnens als visuelle Weltneugierigkeit.
Wie schaffte Georgi das? Indem er viele der unendlichen Sichten (Perspektiven) auf die Welt für sich selbst anprobierte. Er projizierte auf das neutrale Quadrat der Moderne, gegen die akademischen Traditionen von Hochformat (Portrait) und Querformat (Landschaftsbild). Georgi bohrte Tunnel in die Berge der Blicke, zeichnerisch, malerisch und per Holzschnitt. Im dichten S(ch)ichten-Stoff wurde er multipel fündig, weitete formale Kunsttunnelquerschnitte auf, stieß auf visuell seltene Erden.
Wie das? Georgi legte seine Zeichnungen im Trockendock der Perspektivkonstruktion – vorn, Mitte hinten – auf Kiel. Dann ließ er die Skizzen zum grafisch selbstgesteuerten Fahren vom Stapel: Alles Fotografierbare darf befreit gezeichnet werden! Malerisch orientierte sich Georgi an der architekturnahen Eckigkeit des Kubismus, bevor er seine Bilder vom Innendruck der Gestaltungsregeln erlöste. Bilder durften in Anlehnung an die Informelle Kunst nicht nur Bilder zu und von etwas, sondern Bilder mit etwas werden, nicht nur Farbe auf Leinwand, sondern auch reliefartige Collage mit allem Denk- und Handhabbaren. Per Montage druckte Georgi das Holz mehr als er es schnitt: Stoffe blieben erkennbar. Sie entwickelten eigenwirkende Balancen aus ihren direkten Wirkungen und den für sie geplanten Positionen auf und im Bild.
Georgis dreifache »kybernetische Metaphysik« illustriert ihn – vorsichtig von Albert Camus zu borgen – als »glücklichen« Sisyphos, der uns drei Hauptweltsichten des 20. Jahrhunderts übereinander zu wuchten vermochte: Eine optimistische Grundierung (alles ist möglich), der Glaube an Grundregeln (unser Universum ist nicht unverständlich) sowie die ehrfürchtigen Blicke auf die immer nur ausschnitthaften Sichtbarkeiten unserer zerbrechlichen Welt.
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 09/2019 vom 14. Mai 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.