Geschichte der künstlerischen Grundlagenausbildung an der Technischen Universität Dresden
Text: Niels-Christian Fritsche
(Zusammenfassung eines Textes zur Ausschreibung der Professur für Gestaltungslehre / Bildnerisches Gestalten an der Fakultät Architektur, Dresden 2006)
Inhaltsverzeichnis
- Einführung
- 1. Vorlauf: Kunstakademische Lehre an der Technischen Bildungsanstalt ab 1828
- 2. Start: Gründung der Hochbauabteilung 1875 und Beginn der regulären Architekturausbildung
- 3. Paradigmenwechsel durch die Moderne
- 4. Neubeginn nach der Zerstörung Dresdens 1945
- 5. Neugründung der Fakultät nach der Deutschen Wiedervereinigung
- Literatur
Einführung
Die Sächsische Technische Hochschule entsteht als ein Versuch des „Krisenmanagements“ der sächsischen Regierung „durch technische Bildung“ die Konsequenz aus der rasanten technischen Entwicklung nach dem Aufheben der Kontinentalsperre ab 1813 zu ziehen (Pommerin, 2003, S. 10ff.). Sachsen tritt die bildungspolitische Flucht nach vorn an, ein vorbildliches – und anhand der aktuellen Finanz- und Stellenkürzungen auch ein durchaus sehr zeitgemäßes politisches Denken.
Obwohl die Technische Bildungsanstalt schon 1828 gegründet wurde, dauert es noch bis 1875, ehe mit der so genannten Hochbauabteilung ein „Kurs für Architektur“ eingerichtet werden kann. Dieser Kurs reagiert einerseits auf das eifersüchtelnde Verhältnis der Polytechnischen Schule zur lose angebundenen Baugewerkeschule sowie zur Kunstakademie. Dazu kommt der Ehrgeiz des Ministeriums des Inneren, kompetente Beamte für die Hochbauverwaltung des Staates zu bilden (Reuther, 1928, S. 26.) und dies vor dem Hintergrund des Wandels bei den Baustoffen, vor allem vom Ziegelmauerwerk zu Eisenbeton.
Jenseits dieser zweckbezogenen Gründungsmotive ist aus heutiger Sicht bemerkenswert, dass der Gründungsvater der Architekturabteilung, der Architekt Rudolf Heyn (1835-1916) ein von Beginn an ganzheitliches Architekturstudium anstrebt. Heyn bildet zusammen mit Karl Weißbach (1841-1905) das architektonische Rückgrat für die „Praktische Ästhetik“ des Wegbereiters der sächsischen Denkmalpflege Richard Steche (1837-1893), das Figuren- und Ornamentzeichnen des Bildhauers Friedrich Rentsch (1836-1899) sowie das Aquarellieren beim Maler Heinrich Woldemar Rau (1827-1889).
Die gestalterische und darstellerische Grundlagenausbildung in der Architektur und Landschaftsarchitektur basiert somit von Beginn an auf der Dualität von zwei aufeinander abgestimmten Lehrgebieten. Trotz verschiedenster Widmungen in Folge von Neuberufungen und Umorientierungen der Architekturausbildung lässt sich durchgängig eine Verflechtung aus dem eher architekturnahen Freihandzeichnen, der eher freien Malerei sowie der bildhauerisch geprägten Formenlehre nachweisen.
1. Vorlauf: Kunstakademische Lehre an der Technischen Bildungsanstalt ab 1828
Die künstlerische Ausbildung an der 1875 eingerichteten Hochbauabteilung kann sich auf die beiden schon 1828 eingerichtete Professur für Architekturzeichnen (Baukunde) von Gustav Heine (1802-1880) und die Professur „für Bossieren und Thonmodellieren“ stützen, die durch den Inspektor der Gipsabgusssammlung, Ernst Gottlob Matthäi (1779-1842) vertreten wird.
Ab 1833 wird mit dem gerade 28-jährigen Ernst Rietschel einer der später maßgeblichen deutschen Bildhauer des Spätklassizismus und der bedeutendste deutsche Denkmal-Künstler seiner Zeit auf die „Professur für Bossieren und Modellieren“ berufen. Rietschel wechselt bezeichnenderweise schon 1836 als Professor für Bildhauerei zur Dresdner Kunstakademie. Die von ihm geschaffenen Skulpturen wie das Goethe-Schiller-Denkmal in Weimar oder das Lessing-Denkmal in Braunschweig prägen das Bild Deutschlands als Land der Dichter und Denker entscheidend mit.
In Dresden sind unter anderem das Porträtmedaillon Carl Gustav Carus um 1869/1870 auf dem Trinitatisfriedhof Dresden, Fiedlerstr. 12, das Porträtmedaillon Marie von Stockmar (1856) an der Gedenkstätte der TU Dresden auf dem Alten Annenfriedhof, Chemnitzer Str. 32, sowie die Büste eines der Begründers der Forstwissenschaften, Johann Heinrich Cotta im Forstbotanischen Garten Tharandt erhalten und öffentlich zugängig.
Der Allrounder Michael Gottlob Wentzel ergänzt Rietschels Klasse mit seinem „Freihand- und Ornamentzeichnen, Thonmodellieren und Ornamentcomponieren“ bis 1866. In diese Zeit, in das Jahr 1851, fällt die Umbenennung der Technischen Bildungsanstalt in „Königliche Polytechnische Schule“, und zwanzig Jahre später in „Königlich Sächsisches Polytechnikum“. Schließlich hatte die Französische Revolution die Wissenschaften und die Künste zur Verbesserung der „allgemeinen Wohlfahrt und des persönlichen Glücks“ verpflichtet (Pfammatter, 1997, S. 8.). Mit der daraus entstandenen École Polytechnique bestand schon seit 1797 eine „Ermutigungspädagogik“, die von der „Stil-Schule“ der École des Beaux-Arts auf eine „Methoden-Schule“ orientiert. Der Physiker und Mathematiker Gaspard Monge führt die darstellende Geometrie (Géométrie descripitive) als „Schlüsselwissenschaft im Fächerkanon des Polytechnikums“ ein (ebenda, S. 10; S. 40).
Nach dem deutsch-französischen Krieg erfolgt die Fertigstellung des repräsentativen Hauptgebäudes des Polytechnikums in der Nähe des Hauptbahnhofs (1875). „Mit der Gründung der Hochbauabteilung wird die Tradition der Architekturausbildung an der Hochschule begründet“ (TU Dresden Website > Geschichte der TU Dresden > 19. Jhd., 23.05.2022). Im Mittelpunkt der künstlerischen Grundlagenausbildung stehen das Naturstudium und das Kopieren von Ornamenten in enger Anlehnung an das kunstakademische Vorbild.
Der Gründungsvater der Architekturabteilung, der Architekt Rudolf Heyn ist mit seiner „Professur für Baukonstruktions-, Bauformen-, Stillehre“ bemüht, eine auf den hochbaulichen Entwurf zielende Einheit von Kunst und Konstruktion zu vermitteln. Heyn symbolisiert diese Einheit mit seinem zwischen 1872 und 1875 erbauten Hauptgebäude des Polytechnikums am Bismarckplatz (heute Friedrich-List-Platz), das er von seinen zukünftigen Kollegen Friedrich Rentsch (Rentsch wird 1877 Professor für Ornamentzeichnen) mit plastischem Stuck ausgestalten lässt.
Schon 1868 übernimmt Gustav Adolf Hahn die von Gottlob Michael Wentzel vorgeprägte Kombination aus Ornamentzeichnen und Aquarellieren, bis Friedrich Rentsch und Woldemar Rau sich ab 1873/75 in das Ornamentzeichnen teilen werden. Rau nähert sich dem Sujet auf malerische Art. Der Bildhauer Friedrich Rentsch (1836-1899) unterrichtet das Ornamentzeichnen mit der Betonung auf der dritten Dimension.
Rau hatte sich „als einer der brillantesten Aquarellisten seiner Zeit in dieser in Deutschland nicht übermäßig gepflegten Bildtechnik einen Namen gemacht“ (Jürgen Schieferdecker: Ausstellung von Aquarellen Erwin Oehmes aus dem Kunstbesitz der TU Dresden in der Villa Eschebach in Dresden 2003. Zit. n. Online-Archiv Universitätsjournal TU Dresden, Jg. 2003, Ausgabe 19, S. 12 (23.05.2022). Rau war zudem durch seine architekturgebundenen Wandmalereien, von der Dresdner Semperoper über die Albrechtsburg Meißen bis hin zum Parlamentsgebäude in Caracas, bekannt geworden.
Rentsch modelliert in Dresden unter anderem die Karyatiden über den Proszeniumslogen des Zweiten Hoftheaters (um 1876), die Kindergruppen auf der Antons-Markthalle (1893), die Evangelistenstatue in der Martin-Luther-Kirche in Dresden (1883-1887), die Gruppe der Saxonia auf dem Hauptbahnhof (1895), sowie den schon erwähnten Figurenschmuck im Treppenhaus der Alten Hochschule am Bismarckplatz: „Am 24. November 1875 öffnete der stolze Bau, geziert durch plastischen Schmuck aus Professor Rentschs Künstlerhand, seine Pforten ...“ (Scheffler, 1899, S. 34). Rentschs überlebensgroße „Allegorie mit Ruhmeskranz“, auch als „Genius der Erfindung“ bezeichnet, veranlasst Rudolf Heyn zur euphorischen Rundumdeutung: „Der Genius der Erfindung beherrscht alle Gebiete der Technik und fördert zugleich den Fortschritt, der zu immer größerer Vervollkommnung der Menschheit führt“ (ebenda, S. 33).
2. Start: Gründung der Hochbauabteilung 1875 und Beginn der regulären Architekturausbildung
Die Liste der Professuren in der künstlerischen Ausbildung an der neuen Hochbauabteilung liest sich im Folgenden sowohl wie ein Abgrenzungsversuch zur Dresdner Kunstakademie wie auch als Abbild der deutschen Architekturentwicklung nach 1871.
1878 wird Ernst Friedrich Giese Professor für Hochbau und Leiter des „Ateliers für Baukunst“. Gieses Entwürfe stehen exemplarisch für die enorme Spanne der Architekturstile in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Giese entwirft bürgerliche Villen mit Jugendstil-Anleihen wie die „Villa Burgfrieden“ in der Siegfried-Rädel-Straße 8, Dresden-Klotzsche (1887), die dem „Eisenacher Regulativ“ gehorchende Martin-Luther-Kirche in der Dresdner Neustadt (Bauzeit 1883-1887, mit Paul Weidner), sowie das Empfangsgebäude des Dresdner Hauptbahnhofs (1892-1898, zusammen mit Paul Weidner und Arwed Rossbach). Gerade die Arbeit am für damalige Verhältnisse riesigen Hauptbahnhof veranlassten Giese, über erste künstlerische Grundsätze im Städtebau nachzudenken. Der Hauptbahnhof Dresden war schließlich nur ein überschaubarer hochbaulicher Teil der grundlegenden Neuordnung der gesamten Dresdner Eisenbahnanlage.
1887 übernimmt der Künstler Ernst Erwin Oehme die „Professur für Aquarellmalen“ von Woldemar Rau. Oehme produziert dem Polytechnikum eine Reihe von fünfzig minutiös lavierten Aquarellen, „... Blätter von beglückender Schönheit und unverwelkter Frische“ (Jürgen Schieferdecker, zit. n. Tetzlaff, 2003, S. 78).
Der Architekt Richard Eck (1845-1900) bietet Übungen im Ornamentzeichnen, Bauformenzeichnen sowie Aufnehmen von Bauwerken an und verbindet seine leider nur fünfjährige „Professur für Ornament- und Freihandzeichen“ bis 1899 mit der Bauführerschaft an der alten Hochschule am Bismarckplatz. Etwa zeitgleich, von 1894/95 bis 1911 hat der Architekt des von 1884 bis 1894 erbauten Berliner Reichtages, Paul Wallot gleichzeitig Lehraufträge an der Kunstakademie und an der Technischen Hochschule in Dresden inne und errichtet zudem zwischen 1901 und 1906 das Sächsische Ständehaus an der Brühlschen Terrasse. Auf Wallot geht das „erzieherische“ (Oskar Reuther) Skizzieren auf dem Gebiet des Hochbaus zurück, das erst wieder zehn Jahre später, 1916, von Hans Poelzig aufgenommen werden wird (Reuther, 1928, S. 38).
Im Kontrast zum Architekturpragmatismus von Eck und Wallot orientieren sich Friedrich Rentsch (1836-1899) und Karl Weichardt (1846-1906) am antiken Kunstideal und an der Neorenaissance. Rentsch modelliert die schon zitierten Karyatiden im Zweiten Hoftheater und die Saxonia auf dem von seinem Kollegen Giese erbauten Dresdner Hauptbahnhof.
Weichardt befasste sich mit Rekonstruktionen von Tempelanlagen in Italien - besonders bekannt wird er mit seinen Publikationen über Pompeji (Weichardt, 1897) – nachdem er unter anderem schon von 1875 bis 1878 das Stadttheater in Eisenach entworfen hatte.
Im Universitätsarchiv der TU Dresden wird eine studentische Arbeitsmappe aus den Jahren 1889-93 aufbewahrt. Die Arbeiten des Studenten Hermann Hantzsch bei den Lehrern Rentsch, Eck und Giese zeigen eine tief in Historismus und Antikismus verankerte Lehre mit einer enormen Wertschätzung des darstellerischen Handwerks. Man kann den gut erhaltenen Blättern ansehen, dass es sich hier jeweils nicht um den ersten oder zweiten Versuch handelt, sondern um eine auf Perfektion angelegte Reihe von geometrischen, baukonstruktiven und entwerferischen Darstellungen.
Ab 1900 wird der Historismus trotz Weichardts gerade erst erfolgter Berufung zurückgedrängt. Hauptapologet hierfür ist Cornelius Gurlitt (1850-1938), einer der Mitbegründer des Bundes Deutscher Architekten (1903) und zweifachen Rektors der Technischen Hochschule Dresden (1904/05; 1915/16). Gurlitt entwickelt nicht nur seit 1893 (seit 1899 als ordentlicher Professor) die maßgebliche Stillehre der technischen und tektonischen Künste weiter (um damit den „Grundstein für die spätere zentrale Stellung“ der TU Dresden in der Baugeschichtsforschung zu legen), sondern setzt sich auch für die Berufung von Fritz Schumacher als Professur für Bauformenlehre und Entwerfen in der Nachfolge von Richard Eck ein.
Die künstlerische Ausbildung verbleibt zwar noch im Akademismus des neunzehnten Jahrhunderts, tief geprägt von dicken Musterbüchern und einem rigorosen Naturstudium. Andererseits gärt es in der Kunst und in der Philosophie um die Jahrhundertwende. Theodor Mommsen veröffentlicht 1902 seine bahnbrechende „Römische Geschichte“; ab 1905 werden Georg Dehios „Handbücher der deutschen Kunstdenkmäler“ erscheinen und die moderne Denkmalpflege begründen.
Spätestens mit Heinrich Wölfflins „Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen“ (1915) und Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ (1918; 1922) geht auch in der Architektur die von Reinhart Koselleck so genannte „Sattelzeit“ zu Ende, die Übergangszeit zwischen der frühen Neuzeit und der Moderne, die man gemeinhin für den Zeitraum von etwa 1750 bis 1850 ansetzt.
Umso bemerkenswerter ist es, dass ausgerechnet vier Architekturstudenten - Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff – schon 1905 aus dem kunstakademischen Modell der Technischen Hochschule ausbrechen und mit der expressionistischen Künstlergruppe „Die Brücke“ Kunstgeschichte schreiben.
1901 wird Fritz Schumacher „Professor für Bauformenlehre und Entwerfen“. Obwohl Schumacher schon 1908 dem Ruf zum Baudirektor und Leiter des Hochbauwesens in Hamburg folgt, vermag er die Idee des „inneren Ausbaus“ beziehungsweise der von ihm so genannten „Raumkunst“ mit seinen programmatischen Ausstellungsentwürfen maßgeblich prägen.
Schumacher steht als konservativer Vertreter der Reformarchitektur den weiteren Entwicklungen durchaus kritisch gegenüber. Er bemängelt den ‚Konstruktionsfanatismus‘ des aus der Werkbund-Idee heraus entstehenden Bauhauses. Dennoch gehört Schumacher in den zwanziger Jahren, insbesondere mit seinen funktionalistischen Hamburger Schulbauten, zu den maßgeblichen Vertretern des Neuen Bauens und propagiert eine moderate, an regionalen Traditionen orientierte Architektur-Moderne.
Schumacher entwirft während seiner Zeit in Dresden neben einer Reihe von Bühnenbildern und Grabmalen das Krematorium Dresden-Tolkewitz, Wehlener Strasse 15 (Bauzeit 1908-1911), sowie die Villa Grübler in Dresden-Plauen, Bernhardstrasse (1903).
Der Architekt Oswin Franz Hempel wird 1907 Nachfolger für den im Absprung begriffenen Fritz Schumacher mit einer „Professur für Raumkunst, Freihand-, Ornament- und Figurenzeichnen“. Auf Hempel gehen unter anderem das Schillerdenkmal am Albertplatz (1914), einige Holzhäuser in Hellerau (1926-28) sowie die Apostelkirche in Dresden-Trachau (1927-29) zurück.
Ebenfalls oszillierend zum Pragmatismus Schumachers wird 1907 der Architekt Kurt O.B. Diestel, ein Protagonist der so genannten „Heimatkunst“, zum Professor für „Formenlehre der Antike, malerische Perspektiven“ berufen. Die Berufung eines solchen Heimatkunst-Architekten nach 1900 kann man wohl heute vor dem Hintergrund der Phalanx der progressiven Architekturlehrer Heyn, Schumacher, Dülfer, Hartung, Böhm und Müller verstehen.
Diestel kann trotz seiner Einordnung unter dem Label ‚Heimatkunst’ als hochinteressanter Architekt beschrieben werden. 1901 baut er das Gasthaus “Zum Roten Hirsch” in Meißen als „Hirschhaus“ wieder auf und übernimmt dazu das vermutlich aus dem 17. Jahrhundert stammende “Hirschportal”. Schon vorher, von 1897 bis 1916 baut er jene roten Backsteinkliniken und Institute in Berlin-Dahlem, die noch heute das Bild der Berliner Charité bestimmen.
Im Zusammenhang zu Diestels klassizistischer Ausrichtung kann man die ordentliche Professur für Malerei und Plastik für Fritz Beckert von 1925 bis 1945 auch als Versuch deuten, die grundsätzlichen Architekturdebatten der 1920er Jahre – Heimatkunst, Werkbund, Bauhaus, ‚Neues Bauen’ und andere – auf solide künstlerische Grundlagen zu stellen.
Fritz Beckert beginnt als impressionistischer Landschaftsmaler mit besonderem Interesse für das naturgetreue Landschaftsbild (Vedute). Die Stimmungsschilderung tritt zurück, als er sich innerhalb der Möglichkeiten der impressionistischen Darstellung zu den strengen Prinzipien der Vedutenmalerei im kunstgeschichtlich tradierten Sinne bekennt und so das architektonische Motiv die Dominanz über die im Bild ausgedrückte Stimmung erhält.
Der Dresdner Architekt Hans Erlwein regt Beckert an, Architektenzeichnungen in Aquarelle umzusetzen, um zu aussagestarken Architekturdarstellungen zu gelangen. Fritz Beckert malt sich mit seiner einmaligen Kombination aus impressionistischem Farbauftrag und architektonischer Raumwirkung so zum maßgeblichen Dresdner Architekturmaler des zwanzigsten Jahrhunderts empor.
Folgerichtig werden Beckerts Bilder der Stadt Dresden heute in eine Reihe mit den Arbeiten von Canaletto, den Romantikern Caspar David Friedrich, dem Allrounder Carl Gustav Carus sowie dem impressionistischen Maler Gotthardt Kuehl gestellt.
Beckerts Naturstudium steht auch paradigmatisch für das Verhältnis von Malerei und Fotografie zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Schließlich hatte gerade der Fotopionier Hermann Krone (1827-1916) mit seiner ab 1853 aufgenommene Serie des Elbsandsteingebirges den Beginn der Landschaftsfotografie in Sachsen markiert.
3. Paradigmenwechsel durch die Moderne
So sehr die architekturstudierten Brücke-Künstler Kunstgeschichte schreiben - die künstlerische Grundlagenausbildung untersteht bei Oehme und Beckert weiter einem eher handwerklich orientierten Naturstudium. Dennoch wird das „expressionistische Jahrzehnt“ zwischen 1910 und 1920 nicht spurlos an der Architekturausbildung vorbeilaufen (siehe dazu Almai, 2005).
Neben Oskar Kokoschkas Arbeit an der Kunstakademie unterstützt die Mäzenatin Ida Bienert vor allem junge Künstler durch gezielte Ankäufe. Das 1926 von Ida Bienert beim niederländischen Konstruktivisten Piet Mondrian beauftragte „Mondrian-Zimmer“ gerät zu einem der bekanntesten Motive der um die dritte Dimension bemühten abstrakten Malerei – obwohl es nicht realisiert wurde.
Nach 1900 wird die Hochbauabteilung durchgehend reformiert. Die technische Entwicklung war derart mit der althergebrachten Stillehre kollidiert, sodass die Dresdner Hochbauabteilung schon 1907 als erste den so genannten „Stilentwurf“ fallen lässt und Stillehre plus Aquarellmalen aus der Diplomprüfung entfernt.
Danach geht es Schlag auf Schlag: Die 1899 vakant werdenden Professuren für Ornamentzeichnen (Rentsch) sowie Ornament- und Freihandzeichen (Eck) werden mit Karl Weichardt (bis 1906) und Fritz Schumacher (bis 1909) absichtsvoll dissonant besetzt. Hier der Rekonstrukteur der römischen Architektur, dort der damals als „Wortführer einer extrem gerichteten Moderne“ gefürchtete Schumacher (Reuther, 1928, S. 45).
Auf Weichardts frühen Tod war Kurt O. B. Diestel 1907 gefolgt. Während Beckert 1909 die selbstverständlich wirkende Nachfolge von Oehme antritt, erscheint die 1910 für den Bildhauer und Kunsthandwerker Karl Groß eingerichtete Professur für Architekturplastik als indirekte Nachfolge des 1909 nach Hamburg gewechselten Schumacher eher kommentarbedürftig.
Karl Groß (1869-1934) avancierte zu einem einflussreichen Jugendstil-Meister in Deutschland. Groß zählt zu den Mitbegründern der Reformbewegung des „Jugendstils“. Auf ihn gehen ab 1898 in Dresden plastische Arbeiten für die Christus-Kirche Strehlen (1905), die Gittertüren für das Neue Rathaus (ab 1908) sowie das Majestätswappen am Neuen Ständehaus (1906) zurück.
Parallel zu Karl Groß wird 1911 der Architekt und Kunstgewerbler Emil Högg (1867-1954) auf Betreiben von Cornelius Gurlitt auf den Lehrstuhl für Raumkunst und Ingenieurbaukunst an der Technischen Hochschule Dresden berufen. Högg gehört wiederum zu den Vertretern des Heimatschutzes, publizierte in einem großen Umfang und sympathisiert später mit dem Nationalsozialismus. Als seine bedeutendsten Bauten in Dresden gelten der „Ernemannbau“ Turm an der Schandauer Straße, Ecke Junghansstraße in Dresden-Striesen (1915-1918 und 1922-1923 mit dem Bauingenieur Professor Richard Müller), sowie das Generatorengebäude am Pumpspeicherwerk Niederwartha (1927-1930).
1916 und 1919 folgt mit Hans Poelzigs „Professur für Stegreifentwerfen, Baukunst“ sowie Otto Schuberts „Professur für Bauformenlehre“ das erste durchgängig modern ausgerichtete Architekten-Duo. Obwohl Poelzig nur vier Jahre in Dresden bleiben wird und schon 1920 wieder nach Berlin zurückkehrt, kann er als gleichermaßen begnadeter Architekt und Architekturdarsteller mit dem berühmt gewordenen Entwurf für das Dresdner Rathaus (1917) und dem an Wallots „Skizzieren auf dem Gebiet des Hochbaus“ anknüpfenden schnellen Skizzieren maßgebliche Trends setzen.
Das einzige verwirklichte Projekt von Poelzig in Dresden besteht in der Erweiterung der Gaswerke Dresden-Reick. Poelzig stöhnt über die amtliche Seite seiner Tätigkeit als Dresdner Stadtbaurat von 1916-1920: „die ewigen Sitzungen, die ihm den Stoßseufzer abpressten, er habe den Dresdnern doch seinen Kopf vermietet, nicht seinen Hintern“ (Posner, 1994, S. 114).
In der vom Architekten Hempel und dem Maler Beckert maßgeblich ausgefüllten Zeit zwischen den beiden Weltkriegen verkörpert Otto Schubert (1878-1968) eine besondere Personalunion aus einem künstlerisch und praktisch denkenden Architekten, einem begabten Pädagogen und einem wissenschaftlich hochproduktiven Hochschullehrer. Schubert hat von 1897 bis 1902 an der TH Dresden Architektur studiert und war zunächst als Regierungsbaumeister und Architekt in Dresden tätig, bis er 1919 außerordentlicher Professor für „Bauformenlehre“ wird. 1938 aus politischen Gründen aus dem Hochschuldienst entlassen, wird Schubert 1945 die „Professur für Geschichte der Baukunst“ angetragen.
Schubert bezieht sich mit seinen berühmten Veröffentlichungen zum spanischen Barock auf seinen Lehrer Cornelius Gurlitt und wird nach seiner politisch motivierten Entlassung aus dem Hochschuldienst 1940 besonders durch seinen „Brief aus Dresden“ zum Wiederaufbau der Stadt Dresden vom 7. August 1946 sowie das „Gesetz der Baukunst“ (1954) bekannt.
4. Neubeginn nach der Zerstörung Dresdens 1945
Die Wiedereröffnung der Technischen Hochschule Dresden erweist sich als langwierig und ist durch Kompromisse gekennzeichnet. Das Hauptgebäude am Bismarckplatz liegt in Schutt und Asche. Die Lehrer diskutieren die zum Teil utopischen Pläne zum Wiederaufbau der Stadt Dresden. Die Folgezeit wird durch die Wiederaufbaubemühungen, die deutsche Teilung und den andauernden ‚Brain Drain’ nach Westen gekennzeichnet sein.
Mit der Gründung der DDR 1949 wird die Hochschulpolitik von den Parteitagen der aus dem Zusammenschluss von ostdeutschen Kommunisten und Sozialdemokraten 1946 entstandenen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands SED bestimmt. Rainer Pommerin zitiert dazu Aharon F. Kleinbergers Diktum zur Ambivalenz von Hochschulen in totalitären Herrschaftssystemen, wonach das Interesse an einer produktiven Intelligenzija besteht, und von den Untertanen „bedingungslose und unerschütterliche Gefolgstreue und Gehorsam...“ erwartet wird (Pommerin, 2003, S.254).
Zwölf Jahre nach der Gründung der DDR, mit dem Mauerbau in das Jahr 1961 fallend, wird die TH in den Rang der Technischen Universität erhoben, der zweiten in Gesamtdeutschland nach der TU Berlin. Abermals sieben Jahre später werden die Fakultäten im Zuge der dritten Hochschulreform 1968 in fachübergreifende Sektionen umgewandelt werden – ein sowohl konzeptioneller Umbau wie auch ein ideologisch motivierter Bruch mit der als bürgerlich betrachteten Universitätsgeschichte. Zunächst überwiegt der Optimismus beim Wiederaufbau. Mit den Architekten Hans Hartl (1899-1980) und dem Maler Georg Nerlich (1892-1982) kann ein hervorragendes Ausbildungspaket mit architekturbezogenem Freihandzeichnen sowie freiem Malen geschnürt werden.
Hans Hartl werden 1947 gleichzeitig die Professur für Freihandzeichnen sowie die Position des Innenarchitekten und so genannten Chefentwerfers der Deutschen Werkstätten Hellerau angetragen. Schon vier Jahre später, 1951, wird er eine Professur an der Werkkunstschule in Darmstadt annehmen.
Georg Nerlich studierte an der Breslauer Akademie für Kunst und Kunstgewerbe. 1937 als "entartet" erklärt, entwickelt Nerlich seinen impressionistischen Duktus mit expressiven Farben. Nerlich wird 1948 auf die Professur für Malerei und Graphik an der Architekturabteilung berufen, als Nachfolger des 1945 im Alter von 68 Jahre in den Ruhestand verabschiedeten Fritz Beckert. Nerlich kann neben einer großen Anzahl von angehenden Architekten eine Reihe von „fertigen“ Bildkünstlern trainieren. Er etabliert einen neuen Dresdner Strich, eine Kombination aus Eugene Delacroix’ Häkchenzeichnung und den flirrenden Strichen von Henri Matisse.
Der Dresdner Maler, Bühnenbildner und Raumkünstler Ernst Alfred Mühler hatte an der Dresdner Akademie studiert und sowohl als Bühnenmaler wie auch als Innenarchitekt gearbeitet, bevor er von 1953 bis 1964 die „Professur für Raumkunst“ vertritt.
Mühler gestaltet verschiedene große Ausstellungen im Hygiene-Museum Dresden (bis 1934), Beiträge zur Weltausstellung in Paris (1937), sowie Arbeiten für verschiedene Museen in Berlin und München. Mühler ist maßgeblich an der III. und der IV. Deutschen Kunstausstellung in Dresden 1953 und 1956 beteiligt. Er hinterlässt eine Vielzahl von Gemälden und Bühnenbildentwürfen, sowohl an Lyonel Feiningers Architektur- und Schiffsbilder erinnernd, vor allem aber auch an die „kristallinische Faltung der Formen“ des französischen Malers Robert Delaunay, „wie durch ein Prisma gesehen“ (Uhlitzsch, 1971, o. S.).
Mit Heinrich Röcke wird das seit 1950 vakante Freihandzeichnen 1956 in eine provisorische Titularprofessur überführt. Röcke hatte Architektur und Malerei studiert, bevor er im Planungsinstitut von Walter Henn in Dresden arbeitet und nach einer Dozentur für Freihandzeichnen an der Fakultät für Bauwesen der TH Dresden für zwei Jahre mit dem „Freihandzeichnen und Elementaren Gestalten“ betraut wird. Röcke arbeitet später als Architekt in Düsseldorf, baut unter anderem das Römisch-Germanische Museum in Köln (1974) und wird von 1959 bis 1982 eine ordentliche Professur für Architekturzeichnen und Raumgestaltung an der TH Braunschweig innehaben.
Nach Röckes Abschied aus Dresden wird 1958 die „Dozentur für Freihandzeichnen“ für Helmut Trauzettel (1927-2003) eingerichtet. Trauzettel verbindet „die Erkenntnisse der Bauhauslehre mit den Aspekten einer grafischen Ausdruckslehre“. Trauzettel wird neben seinen zwischen 1952 und 1968 entstehenden Kinderkrippen und Kindergärten vor allem durch seine Reiseskizzen bekannt. Ab 1961 vertritt Trauzettel die Professur für Elementares Gestalten; von 1969 bis 1992 wird er Ordinarius für Wohn- und Gesellschaftsbauten sein und von 1993-97 zum ersten Präsidenten der neu gegründeten Architektenkammer Sachsen gewählt werden.
Das plastische Gestalten wird ab 1952 mit Reinhold Langners Professur für Bauplastik neben der Professur für Malen und Grafik mit Georg Nerlich zum zweiten Standbein der künstlerischen Ausbildung in der Architektur ausgebaut.
Reinhold Langner (1905-1957) wird nach einer Lehre als Holzbildhauer und einem Studium an der Kunstgewerbeakademie Dresden 1952 zum „Professor mit Lehrauftrag für das Fach Bauplastik“ ernannt. Langner engagiert sich für die Förderung der Volkskunst in den 1950er Jahren. Seine Kunst am Bau repräsentiert die damalige angestrebte Einheit von „realistischer“ Kunst und Architektur. Sie sollte allerdings – ganz im Sinne sozialistischer Ideologie – Optimismus, Frohsinn bzw. eine „forcierte Einheit von Mensch und Natur“ zum Ausdruck bringen.
Reinhold Langner ist sowohl ein Förderer der sächsischen Volkskultur als auch eine Art umgedrehter Modernist, den die Formung eines Gegenstandes zum Nachdenken über dessen Funktion anregt – ein ebenfalls heute hoch aktueller Zusammenhang (siehe dazu: www.spielzeugmuseum-seiffen.de, 20.1.08). Langner hat mit den Reliefs an verschiedenen Bauten der TU, unter anderem am Studentenwohnheim Güntzstraße (Bauzeit 1953 bis 1955, Architekt: Wolfgang Rauda und Kollektiv), dem Studentenheim Juri-Gagarin-Strasse (1955), dem Drudebau der TU (Bauzeit 1950 bis 1952 nach Entwürfen aus dem Institut von Walter Henn) sowie den Halbreliefs aus Holz im Sitzungszimmer der Fakultät Bauingenieurwesen im Neuffer-Bau der TU ein auch heute noch aktuelles und gut erhaltenes Oeuvre hinterlassen.
Zu Langners Tätigkeit ergänzt sich das Schaffen der Schriftgestalterin Annemarie Willers, die von 1946 bis 1965 an der TH lehrt, und auf die eine Reihe der schönsten architekturbezogenen Schriftgestaltungen an verschiedenen Gebäuden der TU zurückgehen. Von Annemarie Willers stammen unter anderem die Gedenkschrift am Georg-Schumann-Bau sowie die astronomische Uhr am Willers-Bau.
Obwohl ebenfalls nicht in den Status eines Hochschullehrers berufen, sollen hier auch die Lehre und die Forschung von Karl-Heinz Adler hervorgehoben werden. Adler verfolgt Mitte der 1950er Jahre im Vergleich zu Langners Individualplastiken einen systematischen Zugang zur Bauplastik und ist dabei besonders an seriellen und modularen Arbeits- und Konstruktionsweisen interessiert: „Leider hat sich die Utopie der großen Vätergeneration, der konstruktivistischen Avantgarde, bis heute nicht eingelöst, mittels der Kunst als Modell eine neue, bessere Weltordnung für einen neuen Menschen aufzubauen...“ (zit. n. Tetzlaff, 2003, S. 23).
Der gelernte Musterzeichner Karl-Heinz Adler (1927-2018) studierte von 1947-1953 an den Hochschulen für Bildende Künste in Berlin sowie in Dresden. Adler beginnt 1955 mit der Lehre auf dem Gebiet der Architektur und Bauplastik an der TH Dresden. In den Jahren 1957 und 1958 arbeitet er an ersten konstruktiv-gestalthaften Collagegruppen, basierend auf dem Prinzip der Schichtung von geometrischen Elementen. Ab 1968 entwickelt er zusammen mit Friedrich Kracht das berühmte Betonformsteinsystem. Eine ihm 1979 angebotene Berufung als Gastdozent an die Kunstakademie Düsseldorf wird ihm von den DDR-Behörden untersagt. Erst 1982 bekommt er seine erste Einzelausstellung in der Galerie Mitte in Dresden. Karl-Heinz Adler gilt heute als einer der wichtigsten Vertreter der konkreten Kunst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Die Nachfolge für den 1957 verstorbenen Langner wird erst 1961 von Walter Howard mit einer „Professur für Bauplastik“ angetreten. Walter Howard (1910-2005), gelernter Schriftsetzer und Verfolgter des Nationalsozialismus, wird durch seine im Stile der Sachlichkeit angelegten figürlichen Plastiken bekannt. Viele seiner Themen sind politisch motiviert und dem entsprechend polemisch angelegt, so unter anderem die „Sterngucker“ für die Sternwarte in Radebeul, der "Nonnenkubus" in Rostock sowie die nach Fotografien modellierte Bronze-Büste des berühmten Schwachstromtechnikers Heinrich Barkhausen für den "Barkhausen-Bau" der TU Dresden.
Mit dem Ausscheiden von Georg Nerlich aus dem Universitätsbetrieb im Jahr 1965 übernimmt der Architekt Karlheinz Christoph Georgi (1934-2019), ein Schüler von Nerlich, die Dozentur für Freihandzeichnen und Architekturdarstellung. Georgi überführt den expressiven Stil seines Lehrers ebenso wie dieser im Verlauf seiner Karriere in abstrakte Formen. Georgi ist seit 1968 Oberassistent mit Lehrauftrag für Freihandzeichnen und Druckgrafik sowie ab 1986 Dozent für Freihandzeichnung und Architekturdarstellung. Nach der deutschen Vereinigung kann Georgi endlich 1991 zum Professur für Darstellungslehre berufen werden.
Vom tektonischen Zeichnen ausgehend wendet sich Georgi später auch dem Holzschnitt und verschiedenen Materialdrucken zu. Georgi arbeitet expressiv-monumental – im Zeichensaal demonstriert er das Naturstudium an metergroßen Kohlezeichnungen auf Packpapier.
Ebenso wie Georgi hat auch Jürgen Schieferdecker (1937-2018) in Dresden Architektur studiert und ab 1962 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung für Architektur gearbeitet. Schieferdecker wird 1975 zum Leiter des Künstlerischen Beirates der TU Dresden bestellt. Dort pflegt und erweitert er den umfassenden Kunstbesitz der TU Dresden. Zugleich etabliert Schieferdecker als künstlerischer Oberassistent die Bildkünstlerische Lehre an der Sektion Architektur, eine Tätigkeit, die zusammen mit seinem Engagement im Künstlerischen Beirat 1993 mit der außerordentlichen „Professur für Bildkünstlerische Lehre“ gewürdigt wird.
Schieferdecker, ein „Fernschüler“ des deutschen Surrealisten Max Ernst (Lindner, 2007, S. 7) greift auch in seiner bildkünstlerischen Lehre an der Fakultät Architektur von 1975 bis 2003 in die Max-Ernst’sche-Trickkiste und lässt seine Jünger die fünf Zufallsprinzipien des Meisters zelebrieren: Frottage (Abreiben), Grattage (Wegkratzen), Decalcomanie (Abklatsch), Fumage (Räuchern) sowie das durch Jackson Pollock berühmt gewordene Farbdripping.
Der Architekt Eckhard Bendin (*1941) nimmt 1983 die unter anderem auf Karl-Heinz Adler zurückgehende Kunst am Bau und die Bauplastik in seinem „Lehrauftrag für Gestaltungslehre und Bauplastik“ am damaligen „Lehrstuhl für Gestaltung und Darstellung“ der Sektion Architektur auf. Ab 1986 lehrte Eckhard Bendin die Farb-, Flächen-, Körper- und Raumkomposition. Ausgehend von der gesamten Breite der Gestaltungsmittel wird die Farbe Bendins dominantes Thema, besonders nach der Arbeitsteilung in Folge der Berufung des Künstlers Wolff-Ulrich Weder im Jahr 1993. Ab 1988 beginnen die gezielten Publikationen zur Farbenlehre, die 1992 in die Tagungs- und Publikationsreihe „Dresdner Farbenforum“ münden.
Eckhard Bendin wird 2005 zum Beauftragten der ‚Sammlung Farbenlehre' der TU Dresden ernannt. Die „Sammlung Farbenlehre“ soll die zwei bereits bestehenden Sammlungen zum Thema „Licht und Farbe“ an der TU Dresden – die „Historischen Farbstoffsammlung“ und die „Herrmann-Krone-Sammlung“ zu den Anfängen der Photographie – ergänzen.
Bendins baugebundene Arbeiten umfassen Fassadenelemente aus Sichtbeton für das Bau- und Montagekombinat Dresden, die Wandgestaltung im Kurhaus Dresden-Bühlau (1986, zusammen mit Karlheinz Georgi) und das Gipsrelief im Foyer des Hotels ‚Martha-Hospiz’ in Dresden, Nieritzstr. 11 (1991).
Der Architekt Eberhard Just (* 1929) stellt die Gestaltungslehre von 1985 bis 1992 in den systematischen Zusammenhang mit dem industriellen Bauen in der DDR, wie es spätestens mit dem Wohnungsbauprogramm der SED im Oktober 1973 beschlossen worden war. Just verbindet die auf dem Rationalismus der 1920er Jahre basierende gestalterische Elementarlehre mit der von Walter Howard betriebenen politischen und ideologischen Ausrichtung des künstlerischen Arbeitens.
5. Neugründung der Fakultät nach der Deutschen Wiedervereinigung
Die politische Wende 1989 und die deutsche Wiedervereinigung im Jahr 1990 eröffnet für die künstlerische Grundlagenausbildung an der Fakultät Architektur verschiedene Reformmöglichkeiten. Zum einen entschwindet die politische Indoktrination der sozialistischen Hochschule. Der öffentliche Dienst wird auf seine Stasi-Vergangenheit untersucht; mancher Hochschullehrer muss die Universität verlassen. Viele Stellen werden neu ausgeschrieben, hier ist auch die Chance zu einem personellen Neubeginn mit Breitenwirkung gegeben. Mit der DDR geht auch das gleichgeschaltete Bauwesen unter. Der Beruf des Architekten wird für Ostdeutschland wieder in seiner vollen Bedeutung entdeckt.
Mit dem „Sächsischen Architektengesetz“ (2002) hat der Sächsische Landtag die Berufsbezeichnung „Architekt“ auch im Freistaat Sachsen unter gesetzlichen Schutz gestellt und die Architektenkammer Sachsen als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit der Selbstverwaltung des Berufsstandes und der Berufsvertretung betraut.
Last but not least kommt die in der Kunst schon seit langem gestellte Frage nach der ‚Ausbildbarkeit’ von Künstlern neu auf den Tisch. In der DDR hatten Kunst und Architektur zweckbezogenen Charakter, wahlweise als ideologisiertes Illustrieren des sozialistischen Menschenbildes oder als durchorganisierte bauindustrielle Zusatzaufgabe.
Nun kann die Dresdner Architekturausbildung vom jahrzehntelangen didaktischen Vorlauf beim Paradox des Ausbildens von Künstlern profitieren. Der Bilderstreit der Moderne hatte schließlich einen enormen Druck auf die Kunstakademien ausgeübt (Reck, 2001, S.28).
1992 kommt es zur Neugründung der Fakultät Architektur. Die vakant gewordene Professur für Gestaltungslehre wird 1993 vom Grafikdesigner Wolff-Ulrich Weder (*1940) besetzt.
Weder wagt das Experiment, die Studierenden der Architektur und der Landschaftsarchitektur in Seminargrößen von dreißig bis fünfzig Studierenden im Gestalten auszubilden, ohne es auf versachlichbare Regeln zu reduzieren. Für Weder sind Regeln sekundär. Weder kann den ,Horror vacui’ der Studierenden und ihr regelerpichtes ‚Was-sollen-wir-denn-nun-wirklich-tun?’ und das ‚Reicht-das-so?’ mit dem Zeigen von packenden Beispielen umgehen und sie so zum unreflektierten Probe-Handlung-Start bewegen. Weder umgeht den von Psychologen und Pädagogen in der Regel für unvermittelbar erklärten Distanzfunk der verschiedenen Gehirnareale durch seine stille Art des Begeisterns und der dabei durchschimmernden eigenen Begeisterung am Machen.
Um die Jahrtausendwende herum sind Mark Weisers „ubiquitous computing“ (1988) und Marshall McLuhans „the medium is the message“ (1967) schon über zehn beziehungsweise fast fünfundzwanzig Jahre alt. Der Computer hat unsere Architekturproduktion maßgeblich verändert und – noch viel grundlegender – unsere Sehgewohnheiten. Vormals gab es ein Bild und ein Abbild, etwa das Original und die Postkarte davon, nun konkurrieren TV, Computer, Hochglanz und Tiefdruckfarbreihen sowie das farbbanale Internet miteinander. Die Farbtoleranzen zwischen einem Bild, seiner Darstellung auf dem Bildschirm und den verschiedenen digitalen Druckmodi nehmen enorm zu. Uns geht die Referenz verloren.
Nachdem sich die erste Euphorie zur Computeranwendung in der Architektur gelegt hat, werden die Blicke auf das technische, entwerferische und künstlerische Arbeiten mit, vor, neben und ohne Computer klar. Die Ausschreibung zur Professur für Darstellungslehre umschreibt sodann das utopistische Amalgam aus künstlerischer, wissenschaftlicher, architektonischer und didaktischer Qualifikation.
Ich strebe seit meiner Berufung im Jahr 2000 eine Balance zwischen dem analogen und digitalen sowie freiem und konzeptionellen Arbeiten an. Dabei steht zunächst weniger das Handwerk im Mittelpunkt der Ausbildung, sondern die Darstellungsabsicht. Das bedeutet, die darzustellenden Inhalte und die Fähigkeit zum Darstellen parallel zu entwickeln. Der Erfolg einer angewandten Darstellung realisiert sich in einer offenen Arbeitsweise, die zwischen der Darstellungsabsicht, fachbezogenem Sachwissen und den Prinzipien grafischer Gestaltung vermittelt.
(Ende)
Diese keinesfalls umfassende, viele Lehrbeauftragte sowie die gesamte darstellende Geometrie auslassende, und um Prägnanz bemühte Zusammenstellung entstand mit der freundlichen Hilfe von Professor em. Jürgen Schieferdecker, Dr.-Ing. Ina Steiding und Maria Obenaus, Kustodie der Technischen Universität Dresden, sowie von Jutta Wiese, Universitätsarchiv der TU Dresden.
Eventuelle Fehler und Auslassungen bitte ich zu entschuldigen. Für jegliche Hinweise, Ergänzungen und Querverbindungen bin ich allen Leser:innen sehr dankbar.
Niels-Christian Fritsche
Dresden, März 2008/Mai 2022
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Nachtrag: Das Berufungsverfahren zur Neubesetzung der Professur für Gestaltungslehre (Nachfolge Prof. Wolff-Ulrich Weder) wird von 2004 bis 2007 als halbierte W2-Professur für "Bildnerisches Gestalten" schleppend behandelt und 2007 nach Eingang der Bewerbungen durch einen Beschluss des Fakultätsrates abgebrochen. Das Fach Gestaltungslehre wurde seitdem von Prof. Ralf Weber (Lehrstuhl für Raumgestaltung am Institut für Gebäudelehre) vertreten und im Jahr 2020 mit Prof. Dr. Henning Haupt als Professur für Gestaltungslehre neu besetzt.