04.07.2022
Thesen zur Zukunft der Landschaftsarchitekturausbildung im Nachklang zur Festveranstaltung zur Verleihung der 1. Goldenen Diplomurkunden
Zukunft der Landschaftsarchitekturausbildung: 8 Thesen
Prof. Dr. C. Schmidt, Prof. I. Lohaus & Prof. A. Viader-Soler
Die Festveranstaltung aus Anlass der Übergabe der Goldenen Diplomurkunden an die ersten Absolvent:innen des Studienganges Landschaftsarchitektur am 24.6.2022 wurde mit Thesen zur Zukunft der Landschaftsarchitekturausbildung beendet, die im Nachgang rege diskutiert wurden und deshalb hiermit Interessierten vorgestellt werden sollen. Die Frage war: Wohin sollte sich Landschaftsarchitektur und vor allem die Landschaftsarchitekturausbildung an der TU Dresden
entwickeln? 8 Thesen dazu:
1. Brückenschlagen statt Gräben vertiefen.
Zunächst ist voran zu schicken, dass wir an der TU Dresden den Begriff der Landschaftsarchitektur nicht synonym für die Freiraumplanung verwenden, wie dieses teilweise üblich ist, sondern Landschaftsarchitektur muss aus unserer Sicht Freiraumplanung genauso wie die Landschaftsplanung, den Landschaftsbau genauso wie
die Gartendenkmalpflege und die Pflanzenverwendung umfassen. Die Gräben, die sich durch eine zunehmende Spezialisierung von Studiengängen derzeit insbesondere zwischen Landschaftsplanung und Freiraumplanung auftun, sollten besser geschlossen und stattdessen tragfähige Brücken gebaut werden. Denn eine zu große Zersplitterung schwächt! Sie schwächt die Positionen, die bei den divergierenden Interessenlagen unserer Gesellschaft deutlich besser gemeinsam erzielt werden können. Die Landschaftsarchitektur lebt auch von der Vielfalt ihrer Ansätze und Denkweisen, aber jede Vielfalt braucht einen gewissen Rahmen und ein Zugehörigkeitsgefühl. Lenken wir den Blick also weniger auf das, was die einzelnen Teildisziplinen voneinander trennt, sondern auf das, was uns gegenseitig bereichern kann.
2. Fokus auf Planen und Entwerfen.
In den letzten Jahrzenten haben sich viele Parametern unserer Umwelt extrem und sehr schnell geändert. Wir haben ein absolut neues Verständnis von Raum und Zeit und einen anderen Zugang zu Informationen. Die meisten Regionen unsere Welt sind permanent miteinander vernetzt. Wir arbeiten in unterschiedliche Zeitzonen, befinden uns sogar parallel in unterschiedlichen realen und virtuellen Räumen, wechseln in unserem Alltag ständig Ort und Maßstab, können uns fortlaufend informieren, ununterbrochen nach Inhalten suchen - wir können uns verlieren. Wie viele und welche Informationen und Wissen wir uns aneignen können/sollen ist eine Frage, die uns auch in der Lehre sehr beschäftigt und ständig begleitet. Auch in der Landschaftsarchitektur haben wir es mit einer unglaublichen Vervielfältigung an Wissen, Instrumenten und Anforderungen zu tun, die im Studium nur ansatzweise vermittelt werden können. Aber wenn wir schon Schwerpunkte setzen müssen, steht in Mittelpunkt unserer Ausbildung die entwurfliche und die planerische Kernkompetenz! Die ist und bleibt das Fokus unsere Ausbildung.
3. Visionäre statt Mitläufer.
Die Welt ist im Umbruch. Wo man auch hinschaut: Ökosysteme kommen zunehmend an ihre Tipping Points, werden störanfälliger, überschreiten Belastungsgrenzen. Waldbrände, Stürme, Hochwasser, Artensterben und vieles mehr. Wir müssen umsteuern! Ändern wir uns gesellschaftlich nicht, werden wir geändert! Und die Landschaftsarchitektur steht mitten drin in den Konfliktfeldern unserer Zeit. Die Energiewende ist beispielsweise unumgänglich und wir sollten sie mit aller Kraft und mit aller Kreativität begleiten. Wir müssen auch unsere Städte umbauen. Wir brauchen einen ganz anderen Umgang mit dem Wasser in unseren Städten, brauchen auch eine andere Art an Landwirtschaft. Die Frage ist also: Wie schaffen wir also Neues in die Welt? Wir sollten in unserer Ausbildung –fern jedes abfragbaren Wissens - zu kritischem Denken befähigen, nicht nur zum Ausführen und Abarbeiten von bestimmten Arbeitsschritten. Wir sollten die visionäre Kraft in unseren Studierenden fördern, die Fähigkeit, vorausdenken, sich Zukunftsoptionen vorzustellen, kreative Strategien zu entwickeln. Mitläufer hat jede Gesellschaft genug. Wir brauchen Denker und Lenker.
4. Bodenhaftung statt Elfenbeinturm.
Das bisher Gesagte meint nicht, dass wir nur in Zukunftsträumen schwelgen und dabei die Bodenhaftung verlieren. Im Gegenteil. Sprach man früher den Fachhochschulen per se einen größeren Praxisbezug als den Universitäten zu, ist dieses heute nicht mehr pauschal der Fall. Es kommt sehr auf die Position der einzelnen Hochschule an. Im Studiengang Landschaftsarchitektur an der TU Dresden hat der Praxisbezug einen sehr hohen Stellenwert. Wir bilden für die Praxis aus! Die Landschaftsarchitekturausbildung kann daher nur so gut sein, wie sie ihren Draht in die Praxis behält und sich immer wieder in Bezug auf die dort gebrauchten Kompetenzen nachjustiert. Und auch die Forschung muss sich letztlich an der Frage messen lassen, ob aus den Forschungsergebnissen etwas generiert werden kann, was wirklich für die Praxis nützlich ist.
5. Landschaften müssen resilienter werden.
Wir werden zukünftig ein Vielfaches an Krisen erleben als bislang, etwas was Kraft fordert, aber auch Chancen birgt. Wir sollten uns in jedem Fall darauf einrichten, mehr mit unvorhergesehenem umzugehen. Bei jedem Projekt sollten wir uns beispielsweise fragen: Was passiert, wenn ...und dabei auch zunächst unwahrscheinlich anmutende Szenarien in den Blick nehmen. Wir sollten stärker in Spannweiten denken, das gilt ebenso für die Praxis der Landschaftsarchitektur wie für die Ausbildung. Die Frage, wie wir landschaftliche Resilienz stärken können, also die Fähigkeit von Landschaften, trotz Unvorhergesehenem die eigenen grundlegenden landschaftlichen Qualitäten zu erhalten, zu erneuern und zu stärken, wird ein Zukunftsthema werden.
6. Prozesse als Planungs- und Entwurfsinstrumente.
Die Beschleunigung der Veränderungsprozesse, die wir erleben, wird dazu führen, dass Planung noch viel stärker als bislang zum Prozessmanagement werden muss. Das gilt für alle räumlichen Ebenen, von der Objektplanung bis zur Landschaftsrahmenplanung, vom Pflanzplan bis zur Ausführungsplanung. Unsere Welt ist schnell, aber Landschaft ist per se langsam. Die Entstehung eines Parks dauert viele Jahre. Ein Garten ist nie fertig. Auch hier haben wir mit Prozessen anderer Natur zu tun, welche wir oft als Planende leider nicht genug begleiten. Nach der Übergabe des Entwurfs oder Plans verlassen wir oft unsere Projekte. Immer mehr aktuelle Positionen in der Landschaftsarchitektur stellen Zeit
und Prozess im Vordergrund des Entwurfs- und Planungsmethodik. Das Arbeiten mit offenen und dynamischen Prozessen als Strategie für eine viel höhere Anpassungsfähigkeit und nachhaltigere Zukunft wird eine wesentliche Aufgabe unsere Profession werden (oder ist schon). Das Planen und Entwerfen von Prozessen, diese zu initiieren und mitzugestalten, das Planen und Entwerfen durch Pflege, das Definieren von Kreislaufwirtschaften: Das sind wesentliche Themen, die wir weiterdenken sollen. Wir brauchen zukünftig eine fortlaufende und auch über Jahre andauernde planerische Begleitung eines Projektes oder Planes, ein Hand in Hand gehen von Monitoring und
Planung bzw. Entwurf. Damit uns das gelingt, brauchen wir eine Sensibilisierung und ein
Verständnis dafür, sowohl in der Praxis, z.B. seitens des Auftragsgebers, als auch in der Lehre.
7. Land kann man besitzen, Landschaft nicht.
Landschaft ist, unabhängig davon, ob es sich um eine Grünfläche im urbanen Raum oder ein größeres rurales Gebiet handelt, in erster Linie ein kollektives Gut. Es geht den Besitzenden genauso an wie den Nutzenden, den Nachbarn genauso wie Spazierengehende oder Joggende. Landschaft ist „geteilter Raum“ „Common space“ wie es
heute heißt, und ist damit aber auch ein Schmelztiegel einer großen Bandbreite an Interessen. Noch nie zuvor war eine so starke Individualisierung der Gesellschaft verbunden mit einer großen Spreizung von Bedürfnissen und Anforderungen festzustellen wie derzeit. Landschaftsarchitekten:innen müssen aktuell demnach in viel höherem Maße moderierend tätig sein als noch vor 20 Jahren. Sie werden dieses in Zukunft wahrscheinlich noch verstärkt sein müssen, wenn sich die Konfliktlagen in der Gesellschaft weiter zuspitzen. Die Ausbildung braucht daher ein höheres Maß an sozialwissenschaftlichen Grundlagen, an Schulung in Moderations- und Kommunikationsfähigkeiten, und auch Know-How im Konfliktmanagement. Und mehr denn je brauchen wir einen Inneren Kompass, der uns hilft, das Wichtige vom Unwichtigen, den Hype vom Megatrend zu unterscheiden, um uns nicht in Aktionismus zu verlieren.
8. Landschaft als Faszinosum.
Bei allem, was Landschaftsarchitektur aber durchaus an schwierigen Aufgaben zu leisten hat, eines sollten wir uns dennoch immer und immer wieder ins Bewusstsein rufen: Landschaft als unser Kerngegenstand ist einfach faszinierend! Ein Wunder ständiger Verwandlung. Eine Poesie des Unsagbaren. Angefangen von den Pflanzen als dem lebendigen Baustoff jeder Landschaftsarchitektur bis hin zu den Hunderten Facetten einer jeden Landschaft. Welcher andere Berufszweig vermag schon in solchem Maße kreativ-gestalterische mit naturwissenschaftlichen Aspekten zu vereinen, technische mit ästhetischen, soziale mit ökologischen Aspekten. Welcher Berufszeig hat schon solch ein Vielfalt zu bieten! Ich glaube, unsere Begeisterung für den Beruf sollten wir uns von nichts und niemand verderben lassen. Und in der Ausbildung sollten wir uns streng an Antoine de Saint-Exupery halten. Denn der hat mal so schön gesagt: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Und das Meer der Landschaftsarchitektur ist ziemlich unendlich.