Jun 22, 2021
Forderungen: Zukunftsorientiertes und klimagerechtes Bauen in der Architekturausbildung
Nachhaltigkeit ist heute allgegenwärtig und in vielen Kontexten schon eher hohle Phrase als handfeste Leitlinie. Unser Verständnis von Nachhaltigkeit in der Architektur bedeutet, den Klimaschutz und den schonenden Umgang mit Ressourcen in Einklang mit den Bedürfnissen der Menschen zu bringen.
Als künftige Architekt:innen tragen wir eine große Verantwortung in der Klimakrise
Als Studierendenvertreter:innen der Fakultät Architektur & Landschaftsarchitektur fragen wir uns, ob unsere aktuelle Lehre den Herausforderungen diesbezüglich gerecht wird. Ist unsere Lehre zukunftssicher? Setzen wir uns genug mit dem Thema der Nachhaltigkeit auseinander? Sind wir nach dem Abschluss des Studiums für die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen in der Bauwelt gewappnet?
Um maßgeblich dem Klimanotstand entgegen wirken zu können, müssen wir heute im
Studium die modernsten und ökologischsten Möglichkeiten kennen lernen. Deshalb
fordern wir den Klimaschutz zu einem Kernbestandteil der Architekturausbildung zu machen.
KLIMAKRISE
Die Weltgemeinschaft hat sich im Pariser Klimaabkommen verpflichtet die globale Erwärmung auf maximal 2°C zu beschränken. Dies erfordert massive Anstrengungen in allen Lebensbereichen. Dem Klimanotstand zu begegnen, ist ein gesellschaftlicher Kraftakt. In der Architektur sind die Weichen dazu jedoch noch nicht gestellt.
Im Bausektor sind wir für 40 % unseres Abfallaufkommens, für 40 % des Verbrauchs an Primärenergieressourcen und für 40 % der CO2-Emissionen weltweit verantwortlich.
Unsere natürlichen Ressourcen werden der Erde entnommen und oft in einem linearen Prozess entsorgt. Sie werden verbraucht, anstatt vorübergehend aus natürlichen Kreisläufen entliehen zu werden. Dieser Ansatz hat tiefgreifende Folgen für unseren Planeten. Ökosysteme werden zerstört, das Klima ist gefährdet, und viele Ressourcen - wie Sand, Kies, Kupfer und Zink - werden bald nicht mehr zu wirtschaftlich vernünftigen Bedingungen verfügbar sein. Die Menschheit gefährdet das Wohlergehen zukünftiger Generationen. Wenn wir wollen, dass wir mit unserer Umwelt wirklich nachhaltig umgehen, müssen wir aufhören, unseren Planeten auszubeuten und zu verschmutzen sowie unsere Ökosysteme zu zerstören.
Die vom Menschen geschaffene Umwelt als einen temporären Zustand innerhalb eines endlosen Kreislaufs von Ressourcen zu betrachten, stellt einen radikalen Paradigmenwechsel für den Bausektor dar. Wir brauchen dringend neue Prinzipien für den Aufbau, den Abbau und die ständige Transformation der gebauten Umwelt.
NACHHALTIGKEIT AN DER FAKULTÄT ARCHITEKTUR
Die neue Generation von Studierenden ist sich den Problemen und Herausforderungen der Klimakrise und der einhergehenden Verantwortung im Umgang mit unserer Umwelt stärker bewusst.
Wir merken an, dass die Thematik häufig nur angerissen, aber nur selten fachspezifisch vermittelt wird. Wir wünschen uns zukünftig eine berufliche Karriere, die sich genau mit diesen Problemen und Herausforderungen beschäftigt, fühlen uns aber nicht genügend
darauf vorbereitet und sehen unsere Möglichkeiten oft nicht. Zudem fehlt eine detaillierte Auseinandersetzung mit Baustoffen und deren Eigenschaften oder Vermittlung von Methoden und Herangehensweisen, wie zukünftigen Problemen schon heute begegnet werden kann.
Leider ist die Erkenntnis, der dringenden Notwendigkeit des klimagerechten Bauens,
noch nicht durchgehend und tiefgreifend genug in der Lehre verankert. In Entwurfsaufgaben wird noch zu wenig auf den Aspekt der Nachhaltigkeit eingegangen.
Vor allem ökologisch nachhaltige Konzepte werden zu wenig gefördert und nicht genügend gewürdigt. Bauen nach dem "Cradle to Cradle" Prinzip sowie das "Bauen im Bestand" spielen eine zu kleine oder keine Rolle. Die Ausbildung beschäftigt sich fast ausschließlich mit Neubau.
Im Verlauf der letzten Semesterhälfte haben wir das Gespräch mit verschiedenen Lehrstühlen der Fakultät gesucht. In den Gesprächen wurde diskutiert, inwieweit die Thematik schon in der Lehre integriert ist und wo noch Potenziale ausgeschöpft werden können. Ein großer Anteil aller angefragten Lehrstühle hat sich gesprächsbereit gezeigt und war tendenziell offen für die Thematik. Vereinzelt führten die Gespräche zur direkten Umsetzung und Änderung der Lehrveranstaltungen. Positiv aufgefallen ist die bereits tiefergreifende Auseinandersetzung im Bereich Städtebau sowie das teils vorhandene Angebot im Bereich der Nachhaltigkeit, besonders in Wahl(pflicht)modulen und in der Forschung.
Viele Lehrstühle sehen den Handlungsspielraum in ihrem Fachbereich schon ausgeschöpft und deuten auf die Schwierigkeit hin, das Thema in ihrem Lehrplan zu integrieren. Einige betrachten die Auseinandersetzung nicht als Teil ihrer Lehraufgabe. Hierbei möchten wir anmerken, dass es teilweise differenzierte Meinungen zwischen Wissenschaftlichen Mitarbeitenden und Professor:innen gab. Häufig wurden wirtschaftliche Gründe und die “hohe Komplexität” des nachhaltigen Bauens als Vorwand verwendet.
Viele weisen die Verantwortung von sich und fordern eine Fakultätsübergreifende Entscheidung oder verorten die Aufgabe in anderen Lehrbereichen. Angemerkt wurden zudem die fehlende Fachexpertise und Ansprechpartner:innen für nachhaltige Bauweisen.
FORDERUNGEN
Fachgebiet für klimagerechtes Bauen
Wir fordern, dass innerhalb der Wissensvermittlung und Forschung im Bereich des klimagerechten Bauens ein Fachgebiet für nachhaltiges Bauen etabliert wird. Das Lehrgebiet soll Pflichtveranstaltungen für alle Studierenden anbieten und Mitarbeiter:innen zur Beratung für andere Fachgebiete stellen.
Gelehrt werden sollte der Umgang mit klimafreundlichen Materialien sowie Materialien, welche unser Ökosystem nicht weiter zerstören. Schädliche, giftige und nicht recycelbare Baustoffe sollten zwingend vermieden werden. Die Lebensdauer des Bauwerks und die Wiederverwendung der Materialien sollten dabei gleichwohl mit bedacht werden.
Das Fachgebiet sollte nicht nur in den ersten Semestern, wie bisher durch „Baustoffe und Nachhaltiges Bauen“ (welches mit Inkrafttreten der neuen Studienordnung in verschiedene Grundlagenfächer integriert wurde) vermittelt werden, sondern sollte auch im Hauptstudium einen festen Bestandteil der Lehre darstellen. Um sich tiefgreifend mit einem derart komplexen Thema zu beschäftigen, ist eine semesterübergreifende, stetige Thematisierung notwendig.
Die Schaffung eines gesonderten Fachbereiches darf jedoch nicht die alleinige Verantwortung auf diesen Lehrstuhl lenken. Jeder Lehrstuhl der Fakultät muss sich in der Pflicht sehen, die Problematik der Klimakrise in die Lehre dauerhaft zu integrieren.
Integration umweltgerechter Planung in Entwurfsaufgabe
Wir fordern, dass in allen Hauptentwürfen, jedes Fachbereichs, verpflichtend auf die Aspekte der umweltgerechten Planung eingegangen wird. Die Thematik sollte in der
Entwurfsaufgabe verwurzelt werden und die Bewertung auch anhand dieser und nicht nur an gestalterischer Qualität geschehen.
Die notwendige Fachexpertise könnte durch Fortbildungen und eine tiefgreifende
Zusammenarbeit mit anderen Lehrgebieten, besonders dem neu zu schaffendem
Fachgebiet für klimagerechtes Bauen, sichergestellt werden. Dabei sollen Aspekte der
Umwelt- und Ressourcenschonung, Funktionalität und Behaglichkeit sowie die Integration in das jeweilige kulturelle Umfeld in den Fokus gerückt werden. Energetische Anforderungen sollten eine vergleichbare Relevanz zu gestalterischen Anforderungen besitzen. Um eine lange Lebensdauer der Entwürfe zu versichern, müssen Optionen der Reparaturfähigkeit / Ertüchtigung garantiert werden.
Tiefgreifende Auseinandersetzung mit Bauen im Bestand
Wir fordern eine tiefere Integration des ‚Bauens im Bestand‘ im Lehrplan, diesbezüglich mehr Entwürfe und eine Erweiterung der Fachexpertise. Ertüchtigung, Umnutzung und Nachverdichtung im Bestand sind Kernthemen des nachhaltigen Bauens.
Klimagerechtes Ertüchtigen von Bestandsgebäuden sowie die Vermeidung von Abriss kann einen großen Beitrag zu Umwelt- und Klimaschutz leisten. Der Umgang mit vorhandener Bausubstanz wird zunehmend eine Hauptaufgabe des Bauwesens sein.
Mit dem jetzigen Stand der Lehre fühlen wir Studierende uns nicht gewappnet für
Aufgaben dieser Art im realen Tätigkeitsfeld von Architekt:innen und Landschaftsarchitekt:innen.
Vermittlung eines neuen Leistungsbildes der Architektur
Wir fordern eine kritische Betrachtung des Tätigkeitsfelds von Architekt*innen in der heutigen Zeit und zukünftig. Nachhaltiges Bauen muss als eine Herausforderung gelehrt werden, welche die Chance bieten kann, mit kreativen, innovativen und ästhetischen Lösungen die Aufgabenfelder der Architektur neu zu interpretieren. Auch das Nicht-Bauen muss stetig als Option mit einbezogen werden.
Die forschende Arbeit von Architekt*innen ist jetzt wichtiger denn je, es geht darum Konzepte und Strategien zu finden, das menschliche Zusammenleben, den globalen Fußabdruck und innovative Wirtschaftsformen bei Bauaufgaben neu zu denken.
Kreativität und Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit der Klimakrise muss schon im Studium gefordert und gefördert werden, um im späteren Berufsalltag zukunftsweisende Lösungen zu finden.
Welche Strategien und Konzepte existieren in der Architektur und Bauwirtschaft um dem Klimanotstand zu begegnen?
Was also braucht es für einen konsequenten Systemwandel im Bauwesen?
Bedachter Umgang mit Modellbaumaterialien
Wir fordern einen kritischen Umgang mit Modellbaumaterialien und die Vermeidung von Kunststoffen. Papier und Pappe ohne Bleichmittel, sowie recyceltes Material sollten bevorzugt werden. Gedruckte Präsentationspläne für Zwischenpräsentationen und Konsultationen können durch digitale Werkzeuge vermieden werden. Vor allem im Rahmen von Arbeitsmodellen sollten den Studierenden mehr Freiheiten gegeben und die Möglichkeit geboten werden, Altmaterial wiederzuverwenden. Dadurch wird gleichzeitig der kreative Schaffungsprozess und gefördert und gefordert.
Digitalisierung
Wir fordern ein Lernangebot, dass den Herausforderungen der Klimakrise auch mit digitalen Strategien begegnet. Die Rolle der Architekt*innen ändert sich, neue Technologien spielen eine immer größere Rolle. Wir betrachten es daher als dringend notwendig eine stärkere Vermittlung von CAD-Programmen mit der kollaborativen Arbeit an digitalen 3D-Modellen und ihrer Schnittstelle zu Modellbau und Post-Production zu etablieren. Parametrische Entwurfsmethoden, BIM und Augmented Reality sind immer stärker werdende Werkzeuge zur effizienten Zusammenarbeit verschiedener Gewerke und helfen bei der bedarfsgerechten und ressourcenschonenden Planung.
FAZIT
Es fällt ein Ungleichgewicht zwischen den langjährig bekannten wissenschaftlichen Erkenntnissen bezüglich des Klimawandels und den aktuellen Lehrinhalten auf. An der Fakultät ist nur eine sehr langsame Reaktion auf den Klimanotstand erlebbar. Besonders im Bereich der Hochbauentwürfe uns Baukonstruktion wird das Thema noch zu wenig beachtet.
Wir möchten uns hierzu aber auch über die Bereitschaft zum Diskurs bedanken, diese sollte weiter gestärkt werden und auch näher an die Studierenden herangetragen werden.
Die heutige Art zu Bauen, die auch hier an der Fakultät Architektur gelehrt wird, ist nicht nachhaltig.
Das müssen wir ändern.