Nachhaltige Bürogebäude in Stahl- und Verbundbauweise
Bearbeitung: | Dipl.- Ing. Christine Podgorski | |
Betreuung: |
Prof. Dr.-Ing. Richard Stroetmann |
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Promotion: |
Kurzfassung
Die dramatischen Folgen des Klimawandels, die Zunahme der Weltbevölkerung und die Endlichkeit natürlicher Ressourcen, wie fossiler Brennstoffe, Erz aber auch Wasser und fruchtbaren Bodens, zwingen uns zum Übergang von einer überwiegend verbrauchenden zu einer ressourcenschonenden, nachhaltigen Wirtschaftsweise. Die EU hat sich ambitio-nierte Klimaschutzziele gesetzt: Bis 2050 sollen die jährlichen Treibhausgas-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 80 bis 95 Prozent sinken. Um diese Ziele zu erreichen, müssen wir den Verbrauch nicht erneuerbarer Energieträger drastisch reduzieren und natürliche Ressourcen schonen. Mit der Einführung von Bewertungssystemen rückt das Bauwesen die Nachhaltigkeit in den Fokus der am Planungsprozess Beteiligten. Die vorliegende Dis-sertation „Nachhaltige Bürogebäude in Stahl- und Stahlverbundbauweise“ gibt auf Grund-lage von Parameterstudien Empfehlungen, wie die Tragkonstruktion von Bürogebäuden nachhaltig gestaltet werden kann.
Unter Berücksichtigung der langfristigen Anpassungsfähigkeit eines Bürogebäudes an sich ändernde Nutzungsbedürfnisse, werden in der vorliegenden Arbeit verschiedene Nutzungsformen und Entwicklungen der strukturellen Organisation von Bürogebäuden zusammengestellt. Daraus ergeben sich typische Raster der tragenden Bauteile, die als Grundlage für die Gestaltung der Tragkonstruktion dienen. Von entscheidender Bedeu-tung für die Nachhaltigkeit ist die Frage, bis zu welchen Spannweiten unter Berücksichtigung der statischen und konstruktiven Randbedingungen auf eine Mittelstützenreihe verzichtet werden kann.
Nach einer Zusammenstellung der bei Bürogebäuden in Stahl- und Stahlverbundbauwei-se überwiegend eingesetzten Deckensysteme, Stützen- und Trägerprofile sowie der tech-nischen Anforderungen an die Tragkonstruktion, werden die Regeln für die Bemessung und Konstruktion der einzelnen Tragglieder nach den gültigen Eurocodes erläutert. Aus-gehend von den deutschen Bewertungssystemen DGNB und BNB, werden die Grund-lagen und die Methoden zur Bewertung der ökologischen und ökonomischen Nachhaltig-keit von Tragkonstruktionen ausführlich betrachtet. Um eine möglichst ganzheitliche Le-benszyklusbetrachtung der Tragkonstruktionen unter Berücksichtigung aller Arbeitspro-zesse abbilden zu können, wurden fehlende oder nur mit ausgewählten Lebenszyklusmo-dulen ausgestattete Umweltproduktdeklarationen durch geeignete Annahmen ergänzt.
Unter Berücksichtigung der verschiedenen Bauweisen, Rastermaße, Materialgüten und Konstruktionsformen werden Optimierungsmöglichkeiten der Tragsysteme mithilfe von Parameterstudien aufgezeigt. Beginnend mit einzelnen Bauelementen, wie Deckentypen, Träger- und Stützenkonstruktionen, werden die Tragsysteme bestehend aus den ver-schiedenen Komponenten evaluiert. Daraus werden abschließend die Empfehlungen zur nachhaltigen Gestaltung der Tragkonstruktion abgeleitet. Die Untersuchungen der Unterzugsdecken und Slim-Floor-Systeme mit Stahl- oder Ver-bundstützen ergaben, dass die Deckensysteme den signifikanten Einfluss auf die Ökologie und die Kosten ausüben. Die Aufwendungen für die Stützen sind wesentlich geringer, sodass sich deren Anordnung in erster Linie an der Nutzung und den Erfordernissen der Deckensysteme orientiert.
Im Ergebnis der Parameterstudien zeigt sich, dass sich unter ökologischen und ökonomi-schen Gesichtspunkten für eine freie Grundrissgestaltung bei Spannweiten von 6 m bis 15 m Unterzugsdecken mit einem Trägerabstand von 4,80 m ohne Rand- und Mittelträger besonders eignen. Werden Rand- und Mittelträger angeordnet, sind Trägerabstände von 2,40 m bis 3,60 m zu bevorzugen. Aus ökologischer und ökonomischer Sicht ist ein Ver-zicht auf eine Mittelstützenreihe bis etwa 12 m von Vorteil. Bei größeren Spannweiten steigen die Konstruktionshöhe und der Profilstahlbedarf gegenüber Systemen mit Mittel-stützenreihe deutlich an. Die Unterzugsdecken können in Stahlbeton- oder Verbundde-cken ausgeführt werden. Verbunddecken sind aufgrund der Aufwendungen für Profilble-che ökologisch ungünstiger. Sie bieten jedoch aufgrund der Montagefreundlichkeit ge-genüber den Stahlbetondecken ökonomische Vorteile. Bei gleichzeitiger Berücksichtigung von Ökologie und Kosten sind die Stahlbeton- und Verbunddecken mit ihren unterschied-lichen Vor- und Nachteilen als gleichwertig einzustufen. Durch den Einsatz höherer Stahl-festigkeiten können häufig Profilstahlmassen reduziert werden. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Tragfähigkeit für die Bauteildimensionen maßgebend wird. Die Einsparun-gen haben sowohl positive Auswirkungen auf die Ökologie, und trotz höherer Stahlpreise auch auf die Kosten. Durch den Einsatz höherer Betonfestigkeiten können die Decken-stärken nur geringfügig reduziert werden, und die höheren Kosten des Betons werden nur in wenigen Fällen durch die Masseneinsparungen kompensiert. Ein Ausgleich der höhe-ren ökologischen Belastungen durch die Masseneinsparungen konnte bei den untersuch-ten Decken nicht festgestellt werden.
Bei geringen bis mittleren Spannweiten ist die Ausführung von Flachdecken mit integrierten Stahlträgern möglich. Mit Blick auf die Konstruktionshöhe, die Ökologie und die Kosten, ist der Einsatz der Slim-Floor-Systeme mit Mittelstützenreihe zu empfehlen. Durch die geringe Konstruktionshöhe können die Geschosshöhe und damit das zu beheizende Gebäudevolumen sowie die Fassadenfläche reduziert, beziehungsweise die Anzahl der Geschosse bei gleicher Gebäudehöhe vergrößert werden. Die ebene Deckenunterseite erlaubt eine flexible Anordnung nichttragender Wände und eine einfache Leitungsführung. Es ist jedoch zu beachten, dass der technische Ausbau unterhalb der Tragkonstruktion anzuordnen ist und somit bei der Festlegung der Geschosshöhe die Tragkonstruktion und der Ausbau gemeinsam zu berücksichtigen sind. Die Slim-Floor-Systeme sollten mit Spannbetonhohldielen oder anderen Deckenelementen kombiniert werden, die ein ver-gleichsweise geringes Konstruktionsgewicht aufweisen und gleichzeitig größere Trägerabstände ermöglichen. Bei Systemen mit Spannbetonhohldielen haben sich aus ökologischer Sicht Trägerabstände von 6,0 m bis 7,2 m als günstig erwiesen. Darüber hinaus sollte die Länge der Spannbetonhohldiele das 1,0- bis 1,5-fache der Spannweite der Deckenträger betragen.
Die Auswahl der Gebäudestützen hängt von der erforderlichen Tragfähigkeit, den Brand-schutzanforderungen, der konstruktiven Gestaltung und dem Platzbedarf ab. Es wurden Stahl- und Verbundstützen untersucht. Die Verwendung von Verbundstützen ist aus stati-scher und ökonomischer Sicht erst bei Querschnittsabmessungen ab 200 mm von Rele-vanz. Durch die Verwendung höherer Stahlfestigkeiten ist sowohl für Stahl- als auch für Verbundstützen im üblichen Schlankheitsbereich von Geschossstützen eine Steigerung der Tragfähigkeit oder die Ausführung kleinerer Querschnitte möglich. Analog dazu führt auch die Erhöhung der Betongüte bei Verbundstützen zu einer Tragfähigkeitssteigerung.
Zur Berücksichtigung der Brandschutzanforderungen wurden Stahlstützen mit Feuer-schutzplatten und Verbundstützen mit geometrischen und konstruktiven Anforderungen nach dem Tabellenverfahren nach DIN EN 1994-1-2 untersucht. Beim Vergleich der Vari-anten zeigte sich, dass bei Verbundstützen die Ökologie und die Kosten mit zunehmen-den Anforderungen an den Brandschutz (R-Klasse) ungünstiger werden und dieser Ein-fluss bei den Brandschutzbekleidungen kaum eine Rolle spielt. Im untersuchten Parame-terbereich konnten bis zur Klasse R60 mit den kammerbetonierten Verbundstützen wirt-schaftlichere Ergebnisse gegenüber den bekleideten Stahlstützen erzielt werden.
Weitere Ergebnisse der Parameterstudien sind in der Dissertation erörtert und mit Diagrammen belegt. Durch die umfangreichen Auswertungen kann beim Abwägen von ökologischen und ökonomischen Interessen zwischen verschiedenen nachhaltigen Bausystemen und Spannweiten sowie Materialgüten und Konstruktionsformen gewählt werden.