07.11.2024
Die TU Dresden feierte den Tag der Vereinten Nationen und diskutierte „Perspektiven des Wachstums“
Am 29. Oktober versammelten sich Institutionen, Initiativen und interessierte Bürger:innen der Dresdner Zivilgesellschaft im Rathaus der Stadt zum UN-Tag 2024, der in diesem Jahr unter dem Motto „Perspektiven des Wachstums“ stand. In Zeiten von wirtschaftlichen Engpässen, Rezession und Inflation fragen sich weltweit viele Menschen, wie Nachhaltigkeitsaspekte wie Kreislaufwirtschaft, ökologische Vielfalt und soziale Gerechtigkeit neben dem klassischen ökonomischen Wachstumsindikator Bruttoinlandsprodukt (BIP) abgebildet und bewertet werden können und was man auf kommunaler Ebene tun kann, um menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum zusammenzubringen und damit die Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDG) 8 „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“ in Verbindung mit Ziel 17 „Partnerschaften zur Erreichung der Ziele“ zu fördern.
Zum Gedenken an die Gründung der Vereinten Nationen am 24. Oktober 1945 organisieren das Institut für integriertes Materialfluss- und Ressourcenmanagement der Universität der Vereinten Nationen Dresden (UNU-FLORES), die Technische Universität Dresden sowie die Landeshauptstadt Dresden diese jährliche Festveranstaltung, bei der, im zweiten Veranstaltungsteil, die Lokale Agenda 21 für Dresden e.V., beispielhafte Projekte und Engagements für eine nachhaltigen Entwicklung Dresdens mit dem Lokale Agenda Preis auszeichnet – in 2024 bereits zum 25 Mal.
Festveranstaltung und Preisverleihung
Jan Pratzka, Beigeordneter für Wirtschaft, Digitales, Personal und Sicherheit der Landeshauptstadt Dresden, eröffnete die Zeremonie mit einem internationalen und lokalen Blick auf das Thema. In seiner Begrüßung unterstrich er das Recht jedes Menschen auf faire und gute Arbeitsverhältnisse, merkte jedoch an, dass dieses Recht nicht überall erfüllt ist. Um die Erfüllung des SDG 8 gezielt zu fördern, hat der Freistaat Sachsen ein Leitbild für die Gestaltung der Arbeitswelt definiert und u.a. zum Bestandteil der Fachkräftestrategie Sachsen 2030 gemacht. Viele der hieraus für die Stadt Dresden im Integrierten Stadtentwicklungskonzept INSEK für das SDG 8 formulierten kommunalen Maßnahmen wie z.B. das Smart City Projekt, die Tourismusstrategieentwicklung mit konkretem Bezug zur Nachhaltigkeit, die Strategie zur Fachkräftesicherung laufen positiv andere werden neu gedacht, wie. z.B. das Welcome Centre. Abschließend gratulierte Herr Pratzka den Preistäger:innen und bedankte sich für deren Engagement.
UNU-FLORES-Direktorin Prof.in Edeltraud Günther begrüßte das Publikum und zeigte sich sehr erfreut, dass das diesjährige Thema des UN-Tag relativ nah an ihrer inhaltlichen Arbeit als Professorin für Wirtschaftswissenschaften, Nachhaltigkeitsmanagement und betriebliche Umweltökonomie liegt. Sie brachte dem Publikum drei Impulse mit, über die, neben der Diskussion um das BIP als klassische Wachstumsgröße, auch gesprochen werden könnten. Hierbei handelt es sich um Umweltressourcen und die Frage wie sich diese, auch im Zusammenhang mit den sogenannten planetaren Grenzen, verändern; Vermögen und die negativen und positiven Auswirkungen von Umweltereignissen auf Vermögen und Wachstum; und die Beyond-GDP-Initiative, die im Rahmen des Zukunftsgipfels (Summit of the Future) der Vereinten Nationen Thema war und die anregt, das BIP als Messgröße um andere Aspekte zu erweitern, also einen breiteren Maßstab für die Bewertung von Wachstum zu nutzen.
Die Paneldiskussion wurde durch die Videobotschaft von Prof.in Dr. mult. Dr. h.c. Ulrike Malmendier, Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft, eingeleitet. In ihrer Ansprache wies die Volkswirtin darauf hin, dass nicht nur Wachstum, also das BIP, die einzige Zielgröße bei der Bewertung einer Volkswirtschaft für Ökonomen sei, sondern dass es bei einer guten Wachstumspolitik darum gehe, die Wohlfahrt einer Gesellschaft zu maximieren. Mit Wohlfahrt ist z.B. die Gesundheit einer Gesellschaft und das Wohlbefinden zukünftiger Generationen, das z.B. von einer gesunden Umwelt beeinflusst wird, gemeint. Sie ergänzte, dass darüber hinaus auch der soziale Status, also der Stellenwert, den man in einer Gesellschaft hat, einen wichtigen Einfluss auf das Wohlbefinden hat. Aber wenn man die Wohlfahrt erhöhen möchte, z.B. durch Investitionen und Fortschritte in der Medizin und durch grüne Transformation, dann kostet dies Geld. Die diesjährigen Nobelpreisträger in Ökonomie Acemoglu, Johnson und Robinson haben gezeigt, dass sich eine inklusive Gesellschaft mit integrativen/inklusiven Institutionen auch positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Bevölkerung auswirken. Daher spricht sich Prof. Malmendier dafür aus, die beiden Maße „Wachstum/Wohlbefinden“ und „Growth/Degrowth“ im Einklang miteinander und nicht gegeneinander zu betrachten und zu nutzen.
Die sich aus den vorangegangenen Beiträgen ergebenden Impulse wurden in dem darauffolgenden Panel-Gespräch mit Prof. Christian Leßmann, Professor für Volkswirtschaftslehre, insb. Internationale Wirtschaftsbeziehungen der Technischen Universität Dresden, Nina Treu, Co-Gründerin Konzeptwerk Neue Ökonomie und Johannes Zieseniß, Wissenschaftlicher Referent von Mission Wertvoll, aufgenommen.
In ihrem Eröffnungsstatement rief Nina Treu zur Kreativität auf, um Lösungen außerhalb unseres vorliegenden (Wirtschafts)Systems, dem Kapitalismus, der sich an Profit und Wachstum und nicht an Bedürfnissen der Menschen und ökologischen/planetaren Grenzen orientiert, zu suchen. Laut Treu werden wir keine Lösungen zu den von Joseph Stiglitz genannten existentiellen Krisen (Umweltkrise, Ungleichheitskrise und Demokratiekrisen) innerhalb des existierenden Systems finden, da wir uns nicht die Ursachen für die Krisen angucken, die im System selber verankert sind.
Johannes Zieseniß fügte zusätzlich noch die Biodiversitätskrise hinzu, die den gleichen Stellenwert wie die bereits genannten Krisen haben wird. Er unterstrich, dass die Gesellschaft sich abhängig von der Auswahl der genutzten Messgrößen entwickeln wird, d.h. wenn wir uns in der Messung für Wohlfahrt auf materialistische Größen konzentrieren, wir die Gesellschaft auch immer materialistischer werden.
Prof. Leßmann hob hervor, dass das BIP als Messgröße nicht die Wohlfahrt, sondern „nur“ den Wert aller Waren und Dienstleistungen einer Gesellschaft misst. Wenn man die vier Determinanten der Wohlfahrt, nämlich Konsum inkl. medizinische Leistungen, Freizeit, Ungleichheit und Lebenserwartung bewertet, so wie es die Stiglitz Kommission in 2016 gemacht hat, ergibt sich ein Wohlfahrtsmaß. Wenn dieses mit den Bewertungsgrößen Wachstumsrate oder BIP-Entwicklung ins Verhältnis gesetzt wird, stellt man jedoch fest, dass diese Größe, das Wohlfahrtsmaß, mit den traditionellen Bemessungsgrößen sehr stark korreliert , d.h. diese Größen statistisch betrachtet keinen großen Unterschied machen.
Nina Treu unterstrich die Notwendigkeit den Fokus der Diskussion auf die Frage zu lenken, wie gut die vorherrschende Politik ist und nicht bei der Betrachtung vom BIP als Bewertungsgrundlage stehenzubleiben. Ihrer Meinung nach sollten dem Staat mehr Rechte im Rahmen der sog. Ordnungspolitik eingeräumt werden, damit harte ökologische Grenzen, wie z.B. CO2-Steuern, gesetzt werden können.
Prof. Leßmann gab zu denken, dass die Einführung von Ordnungspolitik in einem nicht marktwirtschaftlich organisierten System sehr schwierig sein würde. Er unterstrich die Wichtigkeit eines Dialogs, wie z.B. beim UN-Tag, des Überwindens des Silodenkens und die Abklärung und Definition der genutzten Vokabeln, um Grenzen zwischen unterschiedlichen Gruppen zu überwinden.
Der UN-Tag 2024 hat mit der Paneldiskussion und den Impulsen dazu beigetragen, dass wichtigen Fragen im Zusammenhang mit dem Thema „Perspektiven des Wachstums“ auch unter lokalen Gesichtspunkten betrachtet und im internationalen Kontext gespiegelt wurden. Die Teilnehmenden haben viele Gedankenimpulse erhalten, die zu weiteren Diskussionen, auch im privaten, anregen. Es wurde jedoch auch klar, dass es multiple Ansätze gibt, um die Messbarkeit von Wachstum und die Messgrößen von Wohlfahrt in ein neues Licht zu rücken, dass diese Ansätze aber auch ihre Grenzen haben und wir von einem Konsens über deren Einsatz noch weit entfernt sind.
Im Rahmen der Feierlichkeiten zum UN-Tag fand auch die Preisverleihung für besondere Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung Dresdens statt, die bereits im 25. Jahr von der Lokalen Agenda für Dresden e.V. und dem Lions Club Dresden Agenda 21 organisiert wird. In diesem Jahr erhielten vier regionale Initiativen den renommierten Lokale Agenda Preis (Preise 1-3, Preis 4).
Die musikalische Begleitung der Festveranstaltung kam von Alina Bauer und Nicolaas Cottenie, dem Duo Azind, die ihre Klänge als musikalische Reise durch Osteuropa auf der Suche nach Individualität, Austausch und Verbindung beschreiben. Zudem war der Künstler Georg Weyerer mit seiner Installation SEMPER ALTIUS SEMPER PULCHRIUS SEMPER PLUS (lat. immer höher immer schöner immer mehr) vor Ort und hat in persönlichen Gesprächen Fragen der Besuchenden beantwortet.
Die Veranstaltung wurde live auf dem YouTube-Kanal der Landeshauptstadt Dresden übertragen. Eine Aufzeichnung der Veranstaltung ist auch im Nachgang über denselben Link verfügbar.
Die Vereinten Nationen in Dresden
Vor 79 Jahren, am 24. Oktober 1945, trat die Charta der Vereinten Nationen (United Nations – UN) in Kraft. Weltweit feiern UN-Standorte dieses Ereignis und die folgenden Jahrzehnte des Engagements für den Weltfrieden und eine nachhaltigere Entwicklung. Auch Dresden ist ein UN-Standort, denn seit 2012 arbeiten hier Wissenschaftler:innen aus aller Welt am Institut für integriertes Materialfluss- und Ressourcenmanagement der Universität der Vereinten Nationen (UNU-FLORES) im World Trade Center.
Zu den Organisierenden des Tags der Vereinten Nationen in Dresden gehören neben UNU-FLORES die Lokale Agenda 21 für Dresden e. V., die Landeshauptstadt Dresden, die Technische Universität Dresden und deren Zentrum für Internationale Studien (ZIS), die UNICEF-Arbeitsgruppe Dresden, die Gesellschaft für die Vereinten Nationen Landesverband Sachsen, Sachsen-Anhalt & Thüringen und der Lions Club Dresden Agenda 21 e. V..