07.09.2022
Klimaschutzziele und Versorgungssicherheit im Spannungsfeld
Essay von Prof. Dr. Dominik Möst, Inhaber der Professur für BWL, insbesondere Energiewirtschaft, an der TU Dresden.
Mit dem Krieg in der Ukraine ist die Abhängigkeit von russischem Erdgas in den medialen Fokus gerückt. Damit verschärft sich schlagartig das Spannungsfeld des energiewirtschaftlichen Zieldreiecks mit den Dimensionen Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit (s. Abb. 1). Während in den letzten Jahrzehnten der Fokus auf die Umweltverträglichkeit dominierte, rückte in der aktuellen Krise die Versorgungssicherheit, aber auch die Wirtschaftlichkeit bzw. Preiswürdigkeit von Energie stärker in den Mittelpunkt. Im Essay beleuchtet Prof. Möst die Herausforderungen im Spannungsfeld des energiewirtschaftlichen Zieldreiecks und deren Bedeutung für die Energiewende.
Energieeffizienz und erneuerbare Energien werden durch die jetzige Krise einen Aufwind erleben, sowohl in Deutschland als auch global.
Der Krieg in der Ukraine und die hohen Preise fossiler Energieträger verdeutlichen die Bedeutung von erneuerbaren Energien und von Energieeffizienz. Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz sind durch die hohen fossilen Energieträgerpreise noch attraktiver. Entsprechend wird das langfristige Ziel der deutschen Energiepolitik durch die aktuelle Situation nochmals gestärkt, erneuerbare Energien und Energieeffizienz stärker voranzutreiben. Jede neue Windkraft- und PV-Anlage verdrängt fossile Energiebereitstellung (und spart damit auch CO2-Emissionen und Energieausgaben ein), zumindest solange sie nicht die Nachfrage übersteigt. Zudem reizen die hohen Preise Investitionen bezüglich eines sparsameren Umgangs mit Energie, also Energieeffizienz, an.
Im Ampel-Koalitionsvertrag ist ein Ausbau erneuerbarer Energien mit extrem ambitionierten Zielen formuliert. Dieser sieht grob eine Verdrei- bis Vervierfachung des durchschnittlichen Ausbaus der letzten Dekade für die nächsten 10 Jahre vor. Allein diese notwendige Beschleunigung veranschaulicht die immense Herausforderung beim Ausbau. Dass der Zubau in den letzten Jahren aufgrund verschiedener Hemmnisse nur langsam vorankam, kommt für die Energiewende nun erschwerend hinzu – ebenso wie absehbar höhere Materialpreise - und lässt die Ziele nicht realistisch erscheinen. Wäre ein schnellerer Ausbau bisher einfach gewesen, wäre die Nutzung von erneuerbaren Energien schon deutlich weiter. Entsprechend stellen sich hier die Fragen, ob und wie eine solche Beschleunigung des Ausbaus gelingen kann, aber auch wie sich erneuerbare Energien bei zunehmender Überschusseinspeisung in das System integrieren lassen.
Windkraft und Photovoltaik sind kein Substitut für sichere Erzeugung
Mit dem Ausbau wetterabhängiger erneuerbarer Energien stellt sich die Frage nach der Versorgungssicherheit. Die Erzeugung aus Windkraft und Photovoltaik verdrängt zwar fossile Energieträger, ist aber in der Charakteristik nicht gleichzusetzen mit Kohle-, Erdgas- und Kernenergieverstromung. Es geht um versorgungssichere, stets zur Verfügung stehende Leistung. Der Kohleberg vor dem Kraftwerk ist sinnbildlich der Energiespeicher, der bei den wetterabhängigen erneuerbaren Energien fehlt. Das energiewirtschaftliche Zieldreieck war die letzten Jahre maßgeblich durch den Schwerpunkt Umweltverträglichkeit und entsprechende Operationalisierungen geprägt. Versorgungssicherheit war stets gegeben und nie ein Problem. Die energiewirtschaftlichen Diskussionen waren durch Ausstiege und Ausstiegsdaten geprägt. Erdgaskraftwerke waren bisher in allen Zukunftsszenarien als „Brücke“ für die gesicherte Leistung vorgesehen, welche durch die Vision von „grünem“ Wasserstoff abgelöst werden sollte. Ein etwaiger Ausfall der russischen Erdgaslieferungen verdeutlichte nun schlagartig die Abhängigkeit vom Energieträger Erdgas als wesentliches Element für die Stromversorgungssicherheit. Schon seit Jahren sind die starken Fluktuationen bei der Einspeisung aus erneuerbaren Energien und die Frage nach fehlender gesicherter Leistung ein gewichtiger Kritikpunkt der Energiewende. Aus Kernenergie und Kohle auszusteigen, bedeutete bisher auf Erdgas als Brückenenergieträger im Stromsystem zurückzugreifen. Selbst bei einem extrem rasanten Ausbau von erneuerbaren Energien, insbesondere Windkraft und Photovoltaik, ist die Lücke ohne konventionelle Energieträger nicht zu schließen. Die aktuelle Situation offenbart damit den wahren Kern dieser Kritik und resultiert in den pragmatischen Entscheidungen zur Wiedernutzung bereits abgeschalteter Kohlekraftwerke, die zu einem deutlichen Anstieg der CO2-Emissionen in Deutschland führen werden. Des Weiteren und je nach Ausgang des aktuellen Stresstests steht auch die Weiternutzung der letzten noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke über das geplante Abschaltjahr 2022 im Raum. Das Aussteigen aus Technologien ohne echte Alternativen ist demnach keine nachhaltige Lösung. Es geht also nicht um das schnelle(re) Abschalten von Kohlekraftwerken, denn CO2 fällt nur im Falle der Produktion als Kuppelprodukt an. Es geht immer um das Erreichen von weniger Erzeugung aus Kohle- und Erdgaskraftwerken. In Konsequenz stellt sich nicht die Frage, wie der Ausstieg aus der Kohlekapazität schneller gehen kann, sondern wie der Ausbau erneuerbarer Energien zügiger gelingen und wie mittel- bis langfristig gesicherte Leistung bereitgestellt werden kann.
Neben der Notwendigkeit der Bereitstellung gesicherter Leistung wird perspektivisch mit dem weiteren Ausbau erneuerbarer Energien die nicht weniger gewichtige Herausforderung dazu kommen, dass Überschussstrom in erheblichem Umfang zu integrieren ist und hierfür nicht nur technisch machbare, sondern auch wirtschaftlich attraktive Lösungen benötigt werden.
Die Dekarbonisierung in der Wärmeversorgung und Mobilität birgt immense Herausforderungen
Obwohl die Wärmenachfrage den Stromverbrauch bei Weitem übersteigt, erhält die Transformation des Wärmesektors kaum öffentliche Aufmerksamkeit. Dabei fallen ein Großteil des Energieverbrauchs der Privathaushalte auf Raumwärme und Warmwasserbereitstellung. Die Wärmeversorgung hat durch den Krieg in der Ukraine eine hohe Aufmerksamkeit erfahren, denn knapp 50% der deutschen Haushalte heizen mit Erdgas. Lag der Preis für Erdgas im Großhandel in den letzten 20 Jahren zwischen ungefähr 15 bis 30 €/MWh, ist dieser bereits ein halbes Jahr vor dem Krieg auf über 100 €/MWh gestiegen. Anders als bei Erdöl, wo sich in den Terminmarktnotierungen der nächsten Jahre bereits ein Rückgang in den Preisen erkennen lässt, liegen die Terminmarktnotierungen für Erdgas für die nächsten Jahre auf einem sehr hohen Preisniveau. Das bisher über Pipelines günstig gelieferte Erdgas aus Russland soll dauerhaft durch andere Lieferquellen substituiert werden. Entsprechend ist die Herausforderung für die kommenden Monate und Jahre eine zuverlässige und bezahlbare Wärmeversorgung für Industrie und Bevölkerung zu gewährleisten. Damit erhält der aktuelle Konflikt eine starke soziale Komponente, denn die Ausgaben für Erdgas werden im Vergleich zu den vergangenen Heizperioden deutlich zunehmen, für Haushaltskunden sich absehbar im Vergleich zu vor dem Konflikt sogar verdoppeln bis verdreifachen. Und nicht nur die Gaspreise sind betroffen, denn durch Erdgaskraftwerke als häufig preissetzende Technologie im Strommarkt führen diese auch unmittelbar zu höheren Strompreisen. Damit wird auch die Dimension „Preiswürdigkeit“ – als eine preisgünstige Energieversorgung – des energiewirtschaftlichen Zieldreiecks in den nächsten Jahren stärker in den Vordergrund rücken.
Ebenso basiert die Mobilität heutzutage größtenteils auf einem fossilen Energieträger. Mehr als 90% der Energie im Transportsektor stützt sich auf Erdölprodukte. Die deutsche Bundesregierung hat bereits ein Entlastungspaket für Benzin und Diesel beschlossen, auch wenn die Preise für Erdöl und dessen Folgeprodukte im Vergleich zu Erdgas „nur“ moderat gestiegen sind. Erdöl und Erdgas sind weiterhin die mit Abstand wichtigsten Energieträger global aber auch in Deutschland: Beide zusammen haben einen Anteil von ungefähr 60% in der Primärenergiebilanz. Allein dieser Anteil zeigt, welche Mammut-Aufgabe der politische Wunsch ist, Energie klimaneutral und damit ohne die Nutzung fossiler Rohstoffe bereitzustellen.
Auch Investitionen in Förderung fossiler Energien sind attraktiv und globale CO2-Emissionen werden weiter ansteigen
Die hohen Preise für fossile Energieträger reizen Investitionen in erneuerbare Energien überall auf der Welt an, aber ebenso Investitionen in fossile Energien. Die hohen Erdölpreise sind kein direktes Resultat des Krieges in der Ukraine, auch wenn dieser die Preisanstiege noch verstärkt. Vor der Coronakrise lag die Erdölförderung bei etwas über 100 Millionen Barrel pro Tag und ist in der Coronapandemie 2020 um ungefähr acht Prozent eingebrochen. Nachdem die Erdölnachfrage in 2021 und 2022 wieder deutlich angezogen hat, wird eine Ausweitung der Förderkapazität im nächsten Jahrzehnt voraussichtlich auf 103 bis 108 Millionen Barrel pro Tag (trotz der weltweiten Bemühungen um Klimaschutz) erwartet und die hohen Erdölpreise reizen Investitionen in die Förderung an. Um CO2-Emissionen allerdings weltweit zu senken, müssen die fossilen Ressourcen Erdöl, Erdgas und Kohle in der Erde verbleiben. Denn jeder geförderte fossile Energieträger wird auch verbrannt und führt damit unweigerlich zu einem weiteren Anstieg der CO2-Emissionen. Dieser Effekt wird aktuell sogar noch verstärkt, da die Nutzung von Kohle als Substitut für Erdgas in der Stromerzeugung bzw. Erdöl in der Wärmebereitstellung durch die hohen Erdgaspreise nochmals deutlich attraktiver ist, was aufgrund des Brennstoffwechsels zu höheren CO2-Emissionen führt. Wohl kaum wird man international erwarten können, dass erdöl-, erdgas- und kohleexportierende Länder auf den Verkauf ihrer Rohstoffe verzichten und die Rohstoffe nicht genutzt werden. Selbst das aktuelle Beispiel der russischen Rohstoffe zeigt, dass diese über andere Wege teilweise mit Preisabschlägen stark nachgefragt werden. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass die jährlichen globalen CO2-Emissionen absehbar weiter ansteigen werden. Diese Herausforderung ist und bleibt ungelöst, solange sich wesentliche Emittenten einem Klimaschutzabkommen entziehen können, die Energienachfrage global weiter ansteigt und der Anstieg größtenteils durch fossile Energien bedient wird. Inwieweit die Idee eines hinreichend starken Klimaclubs aus teilnehmenden Ländern entsprechend dem Vorschlag des Nobelpreisträgers Nordhaus auch in der aktuellen geopolitischen Lage durchsetzen kann, wird sich zeigen. Neben einem hinreichend großen Klimaclub mit verbindlichen Zusagen wird entscheidend sein, welche Alternativen zur Nutzung fossiler Energien bestehen und wie schnell ein Ausbau erneuerbarer Energien global gelingen kann (oder sich Technologien zur CO2-Abscheidung und –Speicherung durchsetzen können). Das Dilemma besteht darin, dass eine für den Klimaschutz notwendig extrem rasche Abkehr von fossilen Energien sich nicht mit den aktuellen Energienachfragen und der Wohlstandsarchitektur übereinbringen lässt.
Die Geschwindigkeit der Transformation der globalen Energieversorgung ist die Herausforderung
Zusammengefasst ist die einfache Wahrheit: Eine nachhaltige(re) klimaneutrale Stromerzeugung basiert wesentlich auf erneuerbaren Energien und einer effizienteren Energienutzung. Mehr erneuerbare Energien verdrängen konventionelle Energieträger und jede eingesparte Kilowattstunde, muss nicht bereitgestellt werden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die erforderliche Geschwindigkeit der Transformation zur Erreichung der Klimaziele eine immense Herausforderung darstellt. Das gilt sowohl für die deutsche als auch vor allem für die weltweite Energieversorgung.