Jul 03, 2019
Vor welchen Herausforderungen steht die automobile Antriebstechnik – Interview mit Prof. Atzler
Prof. Dr.-Ing Frank Atzler seit 100 Tagen Inhaber der Professur für Verbrennungsmotoren und Antriebstechnik
Seit März dieses Jahres sind wieder alle drei Professuren am über 100-jährigen Institut für Automobiltechnik Dresden besetzt. Am 5. Juni 2019 hielt Prof. Atzler seine Antrittsvorlesung und fesselte das Publikum des vollbesetzten Hörsaals im Jante-Bau mit seinen Ausführungen zu den Forschungsschwerpunkten an der Professur für Verbrennungsmotoren und Antriebstechnik.
Gertraud Schäfer, Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit an der Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“, konnte ihm im Anschluss einige Fragen stellen.
Herr Prof. Atzler, Ihre Antrittsvorlesung fand direkt am Abend nach der zweitägigen 10. Emission Control Konferenz statt. Können Sie ein oder zwei Ergebnisse kurz skizzieren?
Prof. Atzler: Wir haben uns auf der Emission Control mit einer ganzen Reihe von Themen beschäftigt, von der Wirkungsgraderhöhung des Verbrennungsmotors, über neue Abgasnachbehandlungskonzepte bis hin zu den Problemen von Batteriefahrzeugen. Ich hatte für die Eröffnung die Sprecher der öffentlichen Hand eingeladen. Die EU Kommission, das sächsisch Umweltamt sowie die Dresdner Verkehrsbetriebe haben als Rahmen für die Konferenz Ihre spezifischen Herausforderungen dargestellt. Außerdem befasste sich ein wichtiger Beitrag des Kollegen Bertau von der Bergakademie Freiberg mit den geopolitischen Bedingungen der Rohstoffe, die wir für alle dies Zukunftsprojekte brauchen.
Was können Sie für Ihre Forschung daraus ableiten?
Atzler: Das habe ich in der Antrittsvorlesung skizziert: wir müssen die konventionellen Antriebssysteme durch einen ganzen Katalog von Maßnahmen immer noch sparsamer und emissionsärmer machen und die neueren, sagen wir mal, jetzt noch „exotischeren“ Antriebsquellen zur Marktreife bringen. Wir haben hier das Konzepte für das „äquivalent Null-Emissions-Fahrzeug“ auf Basis eines hybridisierten Antriebsstranges im Blick.
Können Sie dies etwas genauer erläutern – null Emissionen bei einem Verbrennungsmotor erscheint doch unrealistisch?
Atzler: Daher haben wir es auch „Äquivalent“ genannt. Das ist ein Hybrid-Fahrzeug bzw. Antriebssystem, dass einerseits in urbanen Räumen mit Elektromotor fahren kann und damit einem rein batteriebetriebenen Fahrzeug gleichzusetzen ist. Im Überlandverkehr nutzen wir dann den exzellenten Wirkungsgrad des Verbrennungsmotors und die große Energiedichte von Kraftstoffen auf Kohlenwasserstoffbasis, also auf gut Deutsch die große Reichweite und das einfache, schnelle „Nachladen“ des Tanks mit Benzin oder Diesel. Anzustreben ist dann zum Beispiel ein Stickoxydausstoß weniger als 20 Milligramm pro Kilometer. Die CO2-Emissionen könnten dann durch die Verwendung von erneuerbaren, synthetisch hergestellten Kraftstoffen auf sehr geringe Werte abgesenkt werden. Es wird also der CO2-Ausstoss beim Verbrennen des Kraftstoffes mit der CO2 Aufnahme bei seiner Herstellung aus CO2 und Wasserstoff gegengerechnet. Allerdings funktioniert das nur, wenn genügend regenerativ, also aus Sonnenkraft, hergestellte Energie für diese Prozesse zur Verfügung steht.
Was meinen Sie hiermit konkret?
Atzler: Vom Gesamtenergiebedarf in Deutschland werden gegenwärtig nur ungefähr 15% erneuerbar hergestellt. Das ist ganz offensichtlich weit entfernt von einer CO2 –armen Energiewirtschaft. Deutschland wird zwar immer Energie importieren müssen, aber das müssen ja nicht zwangsläufig fossile Energieträger sein. Denken Sie das mindestens einmal in europäischen Dimensionen: die heutigen Sorgenkinder Europas, wie Griechenland, Süditalien, Spanien könnten mit ihrer intensiven Sonneneinstrahlung mindestens einen Teil dieser Energieträger regenerativ herstellen. Dass würde diese Regionen auch wirtschaftlich erblühen lassen und antieuropäischen Bewegungen den Nährboden aus Armut, aus dem Gefühl abgehängt oder zeitklassig zu sein, entziehen.
Regenerativer Strom wäre doch auch für die Batteriefahrzeuge sinnvoll?
Atzler: Das ist vollkommen richtig. Ein Batteriefahrzeug, dass mit Kohlestrom betrieben wird, mag zwar dort, wo es gerade fährt, emissionsfrei sein, ist aber im CO2–Ausstoß schlechter als ein Benzin oder Dieselfahrzeug. Es schleppt einen erheblichen CO2-Nachteil aus Batterieproduktion und deutschem Strommix mit, von erheblichen ethischen und geopolitischen Bedenken bezüglich der Rohstoffe für die Batterien ganz zu schweigen. Das Speichern elektrischer Energie erscheint mit derzeitiger Technologie immer noch relativ unsinnig, vor allem in Fahrzeug-Anwendungen. Zu schwer, zu teuer, unausgereiftes Recycling. Je nachdem welche Quelle Sie gelesen haben, entspricht der Energiebedarf zur Herstellung einer Antriebsbatterie einem Äquivalent von 70.000 -150.000 Kilometer eines mit Diesel angetriebenen Autos. Das ist aber ein weiterer Punkt in einer sowieso schon komplexen Debatte: welcher Studie können sie tatsächlich trauen?
Das bringt uns auf einen weiteren Punkt: In den vergangenen Monaten sind wir alle immer wieder mit neuen Fakten zu Abgasmessungen und zu Grenzwerten von Schadstoffemission konfrontiert worden. Können Sie etwas Licht in dieses Dunkel aus ingenieurwissenschaftlicher Sicht bringen?
Atzler: Hier müssen wir unterscheiden zwischen der Sicht des Gesetzgebers, wie Abgaswerte zu testen sind und dem ingenieurtechnischen Herangehen an die Entwicklung und Verbesserung von Antrieben. Für den Ingenieur ist es erforderlich, Fahrmanöver und -zyklen wiederholbar zu gestalten, um daraus zu lernen und die Technik in verschiedenen, aber immer gleich ablaufenden Betriebsmanövern zu verbessen. Die durch den Gesetzgeber festgelegte Prüfverfahren finden ebenfalls auf der Grundlage von Zyklen mit vorgeschriebenen Geschwindigkeitsprofil statt. Zusätzlich müssen sie heute Emissionsmessung unter realen Fahrbedingungen durchführen. Auch das ist mittlerweile Gesetz. Diese Testfahrten können ganz beliebige Fahrprofile aufweisen. Wir haben auf der Emission Control Konferenz mehrere Beiträge zur statistischen Auswertung solcher Messfahrten gehört. Die Ingenieure befassen sich also intensiv mit diesen wissenschaftlichen Herausforderungen, auch wir hier am Lehrstuhl. Zusätzlich wurden tiefere Umgebungstemperaturen in die gesetzlichen Regelungen aufgenommen. Hier beschäftigt uns die Frage, wie der Emissionsausstoß bei niedrigen Außentemperaturen - bis -7°C! - minimiert werden kann, denn Katalysatoren funktionieren bei niedrigen Temperaturen nicht. Wir müssen also neue Möglichkeiten erforschen, um bei diesen Bedingungen die Schadstoffe zu minimieren.
Gegenwärtig fahren auf deutschen Straßen weniger als ein Prozent Elektrofahrzeuge. Sie haben ausgeführt, dass für den von der Regierung geforderten Anteil von einem Viertel an Elektrofahrzeugen bis 2030, ein Absatzvolumen von 1 Mio. Elektrofahrzeuge pro Jahr nötig sein wird. Wo sollen all diese Fahrzeuge geladen werden?
Atzler: Also für den Eigenheimbesitzer ist das gar kein Problem. Der macht das bequem zu Hause. Wenn Sie aber in einem Mietshaus in der Stadt wohnen, kann es ja nicht die Lösung sein, jeden Abend die Verlängerungsleine über den Fußweg zu legen. Wenn ich mir allerdings den technischen und finanziellen Aufwand überlege, Straßenzug um Straßenzug aufzureißen, Kabel zu verlegen und Ladesäulen in Abständen von Autolängen aufzubauen, wird mir ganz schwindelig. Vielleicht wäre das Geld dann doch besser in den Ausbau des Eisenbahnnetzes, des ÖPNV und der „alternativen“ Formen der Fortbewegung investiert, also App-gesteuerte Kleinbusse oder Car-Sharing.
Gibt es für die Stadt Alternativen?
Atzler: Die Brennstoffzelle emittiert weder Kohlenstoffverbindungen noch Stickoxyde. Wasserstoff kann unter Nutzung regenerativer Energie hergestellt werden. Unsere Forschungen werden sich daher verstärkt diesem Thema widmen. Das ist ein Novum an diesem Lehrstuhl. Wasserstoff lässt sich mit neuen Brennverfahren eventuell auch im Verbrennungsmotor wirtschaftlich und stickoxydarm nutzen. Allerdings ist H2 schwierig zu lagern. Es muss unter sehr hohem Druck gespeichert werden oder unter sehr hohem Energiebedarf zur Verflüssigung auf ungefähr -250°C abgekühlt werden. Es werden aber noch andere Lagerungsformen erforscht. Außerdem ist Wasserstoff im Gegensatz zu Benzin praktisch in allen Mischungsverhältnissen mit Luft brennbar ist. Das macht die Handhabung etwas gefährlicher als bei flüssigen Kohlenwasserstoffen. Die Forschungen an Wasserstoff und Brennstoffzelle sind andernorts schon recht weit gediehen. Wir sehen unsere Stellung also nicht in der Entwicklung dieser Themen, sondern eher in der Integration im Antriebsstrang.
Wie wird sich aus Ihrer Sicht die automobile Zukunft entwickeln?
Atzler: Noch ist nicht absehbar, welche Technologie sich durchsetzen wird. Ich sehe für die nächsten Jahre Fahrzeuge mit unterschiedlichen Antriebsquellen. Es wird viele Fahrzeuge nur mit Verbrennungsmotor geben, dann verschiedenste Hybridkonzepte, sowie rein elektrische Antriebe, sowohl mit Batterie als auch mit Brennstoffzelle.
Welche ökonomischen Auswirkungen könnten dies haben?
Atzler: Das Auto der Zukunft wird teurer werden. Die Absatzzahlen pro Antriebstyp werden geringer sein, teilweise werden mehrere Antriebsarten in einem Fahrzeug kombiniert, also beispielsweise Verbrennungs- und Elektroantrieb. Zusätzlich muss die Infrastruktur für das Tanken weiterer Kraftstoffe bzw. das Laden ausgebaut werden. All das macht Mobilität nicht billiger.
Wie werden sich in den kommenden 10 Jahre die Antriebstechnologien, der Verkehr und die Mobilität entwickeln?
Atzler: Wir werden akzeptieren müssen, dass es mehr als nur eine Lösung für den Antrieb und die Mobilität der Zukunft geben wird. Wir können es uns eigentlich nicht leisten, die eine oder andere Technologie aus persönlichen Gründen gutzuheißen oder abzulehnen. Meist wird der persönliche Vorteil ja mit angeblich wichtigen Argumenten zum Thema Umwelt oder Wirtschaftlichkeit verschleiert. Außerdem müssen wir akzeptieren, dass Mobilität teurer und komplexer wird. Gleichzeitig ist jedoch sicherzustellen, dass die Verkehrsangebote auch weiterhin allen und überall zur Verfügung stehen. Batteriefahrzeuge scheinen heute eher Zweitfahrzeuge zu sein, als das eine Familienfahrzeug. Und viele Technologien sind heute noch viel zu teuer. Es ist also reines Glaskugellesen, was sich in den nächsten zehn bis zwölf Jahren durchsetzen wird.
Noch eine persönliche Frage: Wie wird Ihr Wunschauto in 20 Jahren angetrieben werden und mit welchen Entwicklungen werden Sie durch Ihre Forschung dazu beigetragen haben?
Atzler: Die Antwort mag vielleicht politisch nicht korrekt sein, aber nehmen wir mal eine Zweiteilung vor: kurz- und mittelfristig bleibt es ein schöner 2-Zylinder-Motor fürs Motorrad, ein 6-Zylinder Diesel für das Auto mit Hocheffizienzkonzepten und neuen Brennverfahren für regenerative Kraftstoffe. Mittel- und langfristig könnte es ein Brennstoffzellenfahrzeug sein. Wir hier am Lehrstuhl werden mit der Industrie zusammen die dafür nötigen Technologien entwickeln.