22.11.2018
Wunderbaum Pappel: Schnell wachsender Möbelrohstoff und Styroporersatz
Wissenschaftliches Team der TU Dresden begleitet europäisches Projekt Dendromass4Europe für mehr Bioökonomie
In unmittelbarer Nähe zum IKEA Industry-Werk etwas außerhalb von Bratislava wachsen und gedeihen auf über 1.000 Hektar – das entspricht etwa 1.400 Fußballfeldern – die jungen Pappeln, umgeben von Schmetterlingen und Käfern. Die extrem schnell wachsende Baumart ist der Holzrohstoff, aus dem zukünftig noch leichtere Möbel des schwedischen Herstellers gebaut werden sollen. Gleichzeitig kann sich IKEA Industry zukünftig noch besser und ohne lange Transportwege mit Holz versorgen. Baumteile wie die Rinde, die nicht für die Möbelproduktion verwendet werden, können im Sinne einer nachhaltigen Bioökonomie von anderen Unternehmen aus der Region zu neuartigen Produkten weiterverarbeitet werden. Dendromass4Europe verfolgt das Ziel, fossile Materialien durch innovative bio-basierte Materialien zu ersetzen. Das Team um Projektkoordinator Prof. Dr. Norbert Weber, Inhaber der Professur für Forstpolitik und Forstliche Ressourcenökonomie der TU Dresden, begleitet die Kurz-Umtriebs-Plantagen mit Pappeln seit Juni 2017 wissenschaftlich. Zusammen mit weiteren Professuren und Praxispartnern führt er u. a. genetische Untersuchungen des Pflanzmaterials durch. Hinzu kommen bodenkundliche, holzchemische, fasertechnologische und logistische Forschungen sowie Untersuchungen zu möglichen Auswirkungen auf die Umwelt. Nach einer aktuellen Begutachtung vor Ort sind die Wissenschaftler und auch IKEA Industry-Vertreter mehr als positiv über die Entwicklung der Stecklinge überrascht. Zudem konnte ein entscheidender Effekt auf den Landschafts- und Bodenschutz sowie auf die Biodiversität auf den Pappelplantagen festgestellt werden.
Mehr als ein Feld, gespickt mit etwa ein Meter großen Wanderstöcken, war Anfang Mai dieses Jahres noch nicht zu sehen. Inzwischen stehen dort nach nur fünf Monaten bis zu vier Meter hohe Bäumchen. Die bereits im letzten Jahr gesteckten Pappeln sind inzwischen sechs bis sieben Meter hoch und weisen einen Durchmesser von bis zu zehn Zentimeter auf. Dabei hatte das Forscherteam von Prof. Dr. Weber erst angenommen, dass sich aufgrund von Trockenheit und Hitze die Bäume viel langsamer entwickeln. „Die phänologischen Untersuchungen zum Blattaustrieb zeigen, dass die Pappel eine Baumart ist, die auch mit extremen Wetterlagen gut zurechtkommt. In kurzer Zeit entwickelt die Pappel ein ausgeprägtes Wurzelsystem, über das die Nährstoffe in die Blätter und in den Stamm gelangen. So wächst die Pappel schneller als andere Baumarten.“ erläutert Weber. Auf Basis der genetischen Analyse des Pflanzmaterials wurden bereits die Pappelarten bestimmt, die trotz nährstoffarmer Bedingungen und wenigen Wassers am schnellsten wachsen. Dazu wurde bei verschiedenen genetischen Variationen der Pappel in Gewächshausversuchen untersucht, wie gut sich die Wurzelsysteme und Stämme entwickeln und wie viele Blätter die Pappeln bekommen. Die für die Boden- und Witterungsbedingungen in der Slowakei geeignetsten Pappelvariationen werden auf die Plantagen gepflanzt.
Über einen starken positiven Effekt der Pappelplantagen auf die Umwelt freuen sich die Wissenschaftler besonders. Mit Pappeln lässt sich langfristig die Bodenqualität verbessern, da sie Giftstoffe aus dem Boden filtern. Im Rahmen von Bodensanierungsvorhaben ließen sich zudem ausgelaugte Böden wieder für die Landwirtschaft nutzbar machen. „Auf dem Hang gegenüber, wo das Getreide bereits abgeerntet worden ist, sahen wir deutlich die Erosionsrillen. Mit unseren Plantagen können wir die Bodenerosion deutlich vermindern und wichtige Nährstoffe auf der Fläche behalten. Denn die Plantagen wachsen mehrere Jahre lang.“, erzählt Diplom-Forstwirtin Sandra Liebal begeistert.
Auch die Ansiedelung verschiedener Insekten- und Schmetterlingsarten erhöhte sich erheblich in den Anbauflächen, da sich unter den jungen Bäumen auch Blühpflanzen ausbreiten. Das Unkraut zu Füßen der Pappeln bietet einen wichtigen Lebensraum für Bodenorganismen. Der Projektpartner Daphne, ein slowakisches Institut für angewandte Ökologie, betreibt dazu das Monitoring und entdeckte Schmetterlingsarten, die seit Jahren nicht mehr beobachtet wurden.
Sobald die Bäume größer sind und den Boden verschatten, verringern sich die Populationen wieder. Deshalb hat IKEA Industry vor, sich um eine dauerhafte Schmetterlingsweide zu sorgen. Blühpflanzen sollen sich auf den Wendestreifen der Traktoren, den sogenannten Headlands, besser ausbreiten können.
Bioökonomie: Nachhaltige Rohstoffnutzung und -verarbeitung
Zusammen mit den weiteren Projektpartnern wie Energochemica Trading (Slowakei), Pulpack (Polen), Ökoforestino (Ungarn), CNR Ivalsa (Italien) und der Schwedischen Landwirtschaftsuniversität wird nun die Wertschöpfungskette im Sinne einer nachhaltigen Bioökonomie detaillierter abgestimmt. Denn die Bestandteile der Pappeln sollen vollständig verwertet werden. Bisher verwendete IKEA Industry vor allem Kieferholz, suchte aber nach einer neuen Holzart, die die Herstellung leichterer und stabilerer Werkstoffplatten für die Möbelproduktion ermöglicht und Wälder als Rohstoffquelle entlastet. Die früher als energetische Biomasse angesehene Rinde lässt sich zu haltbaren und pflegearmen Holz-Plastik-Verbundwerkstoffen (wood plastic composites/WPC) etwa für Zäune und Terrassendielungen verarbeiten. Aus der Pappelrinde können außerdem pilzhemmende Stoffe extrahiert und für schimmelresistente Verpackungen aus Pappe genutzt werden. Damit ließe sich die Verwendung von Styropor als Verpackungsmaterial deutlich reduzieren. Das kommt bisher vor allem beim Verschiffen von Gütern zum Einsatz, da herkömmliche Pappkartons schimmeln. Mit dem Ersatz von Styropor durch schimmelresistente Verpackungen aus Pappe verfolgt das Projektteam das Ziel, fossile Materialien durch innovative bio-basierte Materialien zu ersetzen. Die Kombination mehrerer Wertschöpfungsketten auf der Basis von Pappelholz und Pappelrinde stellt somit einen wichtigen Schritt in Richtung einer Bioökonomie dar, die diesen Namen auch verdient.
Informationen für Journalisten:
Dipl. Forstwirtin Sandra Liebal
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Tel.: 035203 38-31848
Mobil: 0174 20 200 69