08.10.2018
Nachwachsende Gliedmaßen von Salamandern: Verbindung zu Säugetieren
Welche Zellen es Salamandern ermöglichen, dass ihnen verloren gegangene Gliedmaßen wieder nachwachsen, wurde in Wissenschaftskreisen seit langem debattiert. Indem sie nun Position und Verhalten von Zellen nachverfolgten und einzelne Zellen molekular charakterisierten, konnte ein internationales Forscherteam jetzt zeigen, dass Bindegewebszellen stammzellartige Eigenschaften entwickeln und der Regeneration von Beinen zugrunde liegen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.
Unter allen vierbeinigen Tieren ist die Fähigkeit von Salamandern einzigartig, verloren gegangene Gliedmaßen sogar im Erwachsenenalter zu ersetzen. Das hat einige Salamander- Arten, wie zum Beispiel den mexikanischen Axolotl (Ambystoma mexicanum), zu beliebten Modellorganismen für die Erforschung regenerativer Fähigkeiten gemacht. Wenn ein Axolotl Gliedmaßen verliert, kommt es zur Anhäufung von Zellen in der Nähe des Stumpfes. Es bildet sich ein Gewebe, ein so genanntes Blastem. Dieses Blastem kann ein voll funktionsfähiges Bein nachwachsen lassen, welches aus vielen verschiedenen Geweben und Zelltypen wie Muskeln, Neuronen oder Bindegewebe besteht. Bis jetzt war unklar, wie ausgereiftes Gewebe Blastem-Zellen produzieren kann. Eine Studie, die in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde, untersuchte Bindegewebszellen genauer, um dieses Problem zu beleuchten.
Es gab zwei mögliche Modelle zur Bildung eines Blastems: entweder verweilen die Stammzellen ruhend im Bindegewebe und warten darauf, dass sie benötigt werden; oder ausgereifte Bindegewebszellen reagieren auf den Verlust von Gliedmaßen durch „Entdifferenzierung“ in Extremitäten-Vorläuferzellen, ähnlich denen in einem Embryo. Bisher war es aufgrund der Vielzahl von Geweben, die in Gliedmaßen existieren, nicht möglich, eine Blastem-Vorläuferzelle zu isolieren und ihre Weiterentwicklung und -differenzierung in einem erwachsenen Axolotl nachzuverfolgen. Ein internationales Forscherteam aus Wien, Leipzig und Dresden hat diese Hürde nun genommen.
Die Wissenschaftler erstellten Stämme genetisch markierter Axolotl, die molekulare Markierungen in Bindegewebszellen enthielten. Sie verwendeten auch Einzelzell-RNA- Sequenzierung, um die Aktivität verschiedener Gene in spezifischen Zellen zu analysieren. Zusammen konnten die beiden Ansätze Ursprung und Entwicklung von Blastem-Vorläuferzellen nachverfolgen und ihre molekularen Profile im Verlauf der Regeneration von Extremitäten charakterisieren.
Eine besondere Herausforderung war die Schaffung der transgenen Axolotl-Linien, die einzelne Gewebetypen molekular markieren. Die Transgenese in Axolotls ist zeitaufwendig, da es ein Jahr dauert, bis ein Axolotl-Embryo das Erwachsenenalter erreicht und sich fortpflanzen kann. Die Studien wurden am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien, am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) in Leipzig und am Zentrum für Regenerative Therapien in Dresden (CRTD) der TU Dresden durchgeführt.
Die Forschenden zeigten, dass Blastem-Vorläuferzellen sich aus ausgereiften Fibroblasten entwickeln. Wenn Gliedmaßen verloren gehen, dann „entdifferenzieren“ sich diese ausgereiften Zellen in Bindegewebs-Vorläuferzellen, die den Zellen ähnlich sind, die man in embryonalen Gliedmaßenknospen findet. Die Studien konnten keinen Hinweis auf das Vorhandensein bereits existierender Vorläuferzellen finden, von denen einige Wissenschaftler angenommen hatten, dass sie der Grund für die herausragende Begabung des Axolotls sind, Gliedmaßen und Organe nachwachsen zu lassen.
Die Ergebnisse sind bahnbrechend, nicht nur, weil sie eine lange Debatte in der Entwicklungsbiologie auflösen, sondern auch weil sie für das Verständnis der Regeneration bei Säugetieren von großer Bedeutung sind. Auch bei diesen reagieren Fibroblasten auf Verletzungen durch Differenzierung – sie verwandeln sich in Myofibroblasten, die dann Narben bilden. Was genau unterscheidet Axolotl-Fibroblasten, das sie dazu befähigt, Stammzelleigenschaften zu entwickeln und komplexe Körperteile zu ersetzen? Die Suche nach der Antwort auf diese Frage wird das nächste Kapitel auf dem wissenschaftlichen Weg zu einem besseren Verständnis regenerativer Fähigkeiten einläuten.
Zitate:
Prayag Murawala, Postdoktorand im Labor von Elly Tanaka am IMP:
„Als wir versuchten, die Entwicklung von Zellen in sich regenerierenden Gliedmaßen zu analysieren, war es so, als würden wir den Inhalt einer Obstschale zu Saft verarbeiten ohne zu wissen, welche Arten von Obst die Schale enthält,“ sagt Prayag Murawala vom Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP), einer der Erstautoren der Studie. „Doch jetzt können wir die Äpfel herauspicken und daraus Apfelsaft machen, oder wir können aus der Obstschale nur die Kirschen auswählen, um daraus Kirschsaft machen. Mit dieser neuen Auflösungsebene zeigen wir, dass es keine „magische Zelle“ gibt, die Axolotls haben, Säugetiere aber nicht. Beide sind im Falle einer Verletzung auf Fibroblasten angewiesen, aber während die einen Organe nachwachsen lassen können, bilden andere fibrotische Narben.“
Tobias Gerber, Doktorand im Labor von Barbara Treutlein am MPI für evolutionäre Anthropologie:
„Die enorme Regenerationsfähigkeit des Axolotls hat mich schon immer erstaunt, und es war toll, nun gemeinsam mit dem Tanaka-Labor diesen faszinierenden Prozess zu untersuchen“, sagt Erstautor Tobias Gerber vom MPI für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. „Mithilfe einer neuen Methode, mit der wir die Genexpression in Tausenden einzelnen Zellen messen können, haben wir untersucht, wie einzelne Axolotl-Zellen ihr Genom nutzen, um einen Arm zu regenerieren. Wir haben herausgefunden, dass der Axolotl eine ausgereifte Zelle in eine embryonal-ähnliche Vorläuferzelle umwandeln und den embryonalen Entwicklungsprozess wiederholen kann, um einen neuen Arm wachsen zu lassen.“
Dunja Knapp, Postdoktorandin am DFG-Center for Regenerative Therapies Dresden (CRTD):
„Als wir mit dieser Arbeit begannen, war unklar, ob in ausgereiften, unverletzten Gliedmaßen blastemähnliche Zellen existieren, die sozusagen darauf warten, im Falle einer Verletzung aktiviert zu werden. Jetzt haben wir sorgfältig Tausende von Zellen in unverletzten Gliedmaßen untersucht und keine solche Zelle gefunden. Das deutet darauf hin, dass eine Verletzung die Umprogrammierung ausgereifter Zellen in den Gliedmaßen stimuliert. Jetzt wird es wichtig sein herauszufinden, ob eine Verletzung in ausgereiften Säugetierzellen ähnliche Veränderungen hervorrufen kann.“
Originalveröffentlichung:
Gerber, T., Murawala, P., Knapp, D., Masselink, W., Schuerz, M., Hermann, S., Gac-Santel, M., Nowoshilow, S., Kagejama, J., Khattak, S., Currie, J., Camp, J. G., Tanaka, E. M., Treutlein, B. Single-cell transcriptomics uncovers convergence of cell identities during axolotl limb regeneration. Science, 27 September 2018. http://science.sciencemag.org/content/early/2018/09/26/science.aaq0681
Über das IMP
Das Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) betreibt am Vienna BioCenter in Wien biomedizinische Grundlagenforschung. Hauptsponsor ist der internationale Unternehmensverband Boehringer Ingelheim. Mehr als 200 Forscherinnen und Forscher aus fast 40 Nationen widmen sich am IMP der Aufklärung grundlegender molekularer und zellulärer Vorgänge, um komplexe biologische Phänomene im Detail zu verstehen. Das IMP ist Gründungsmitglied des Vienna Biocenter, Österreichs Leuchtturm im internationalen Konzert molekularbiologischer Top-Forschung. www.imp.ac.at
Über das MPI für Evolutionäre Anthropologie
Das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie vereint Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen (Natur- und Geisteswissenschaften), deren Ziel es ist, die Geschichte der Menschheit aus interdisziplinärer Perspektive mit Hilfe vergleichender Analysen von Genen, Kulturen, kognitiven Fähigkeiten und Sozialsystemen vergangener und gegenwärtiger menschlicher Populationen sowie von Primaten, die dem Menschen nahestehen, zu erforschen. www.eva.mpg.de
Über das CRTD
Das 2006 gegründete Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der Technischen Universität konnte sich in der zweiten Runde der Exzellenzinitiative erneut als Exzellenzcluster und DFG-Forschungszentrum durchsetzen. Ziel des CRTD ist es, das Selbstheilungspotential des Körpers zu erforschen und völlig neuartige, regenerative Therapien für bisher unheilbare Krankheiten zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte des Zentrums konzentrieren sich auf Hämatologie und Immunologie, Diabetes, neurodegenerative Erkrankungen sowie Knochenregeneration. Zurzeit arbeiten acht Professoren und zwölf Forschungsgruppenleiter am CRTD, die in einem interdisziplinären Netzwerk von über 90 Mitgliedern sieben verschiedener Institutionen Dresdens eingebunden sind. Zusätzlich unterstützen 21 Partner aus der Wirtschaft das Netzwerk. Synergien im Netzwerk erlauben eine schnelle Übertragung von Ergebnissen aus der Grundlagenforschung in klinische Anwendungen. Das CRTD ist Teil des Center for Molecular and Cellular Bioengineering (CMCB). www.crt-dresden.de / www.tu-dresden.de/cmcb