08.11.2021
Genetischer Defekt als Einfallstor für bakterielle Entzündungen
Die Ursachen für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED), zu denen auch Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gehören, sind nach wie vor unbekannt. Obwohl nachgewiesen wurde, dass Gene zum CED-Risiko beitragen, entwickelt nur eine Minderheit der Menschen, die genetische Risikovarianten in sich tragen, die Krankheit. Dies deutet darauf hin, dass andere Umweltfaktoren eine wichtige Rolle bei CED spielen. Forscher des Zentrums für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) und der Medizinischen Fakultät der TU Dresden haben nun einen Signalweg identifiziert, der zur Darmentzündung beitragen kann. Sie zeigen, wie ein menschlicher Gendefekt die Anfälligkeit dafür fördert, dass Bakterien Entzündungen im Darm auslösen können. Ausgehend von dieser Erkenntnis berichten die Forschenden von einem Potenzial für neue Therapeutika. Entsprechende Wirkstoffe können bei Mäusen, die das beschriebene genetische Umfeld aufweisen, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen verhindern. Die Ergebnisse wurden am 5. November 2021 in der Zeitschrift Science Immunology veröffentlicht.
Es ist bekannt, dass mehr als 200 verschiedene Genomregionen das Risiko für CED regulieren. Die Mechanismen, die das Zusammenspiel dieser Risikogene mit der Umwelt und die Entstehung von chronisch-entzündliche Darmerkrankungen steuern, sind jedoch noch größtenteils unbekannt. „Das Zusammenspiel von Genetik und Umwelt macht CED zu einer sehr komplexen und schwer zu untersuchenden Krankheit", sagt Prof. Sebastian Zeißig, Forschungsgruppenleiter am Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) an der TU Dresden und Professor für Molekulare Gastroenterologie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden.
Ein Team unter der Leitung von Prof. Zeißig untersuchte Mutationen in dem Gen X-linked Inhibitor of Apoptosis Protein (XIAP). Etwa 30 Prozent aller Menschen mit dieser genetischen Störung entwickeln eine CED, was zum einen auf einen bedeutenden genetischen Beitrag zur Erkrankung hinweist, zum anderen aber auch zeigt, dass weitere, bislang nicht bekannte Faktoren zur Erkrankung beitragen. Prof. Zeißig und seine Forschungsgruppe haben daher am Beispiel von XIAP-Mutationen untersucht, wie Wechselwirkungen zwischen Gendefekten und Umwelteinflüssen zur Entstehung einer CED führen können.
Ein Gendefekt, der die Immunantwort gegen Bakterien stört
Die Wissenschaftler:innen beobachteten, dass der Verlust des Gens XIAP bei Menschen und Mäusen mit Defekten in Paneth-Zellen im Dünndarm verbunden ist. „Paneth-Zellen sind entscheidend für die Kontrolle des Mikrobioms", erklärt Prof. Zeißig. „Diese Zellen produzieren kleine Moleküle, die als Antibiotika wirken. Wenn diese Moleküle in den Darm ausgeschieden werden, töten sie Bakterien ab. Auf diese Weise wird die Zusammensetzung des Mikrobioms kontrolliert und Bakterien daran gehindert, in das Darmgewebe einzudringen.“ Ohne funktionierendes XIAP Gen zeigten Paneth-Zellen eine gestörte Produktion und Freisetzung antimikrobieller Moleküle. Dies wiederum führte zu einem Ungleichgewicht im Mikrobiom.
Gen-Umwelt-Interaktionen in der Entstehung von CED
„Die faszinierende Beobachtung war, dass die Mäuse trotz dieser Darmdefekte keine Entzündung entwickelten", sagt Prof. Zeißig. Erst nach der Einführung eines bestimmten Bakteriums, das für normale Mäuse harmlos ist, entwickelten Mäuse mit Defekten in XIAP eine Darmentzündung, die CED ähnelte. „Dies könnte erklären, warum die Mehrheit der Patienten, die Mutationen in diesem Gen haben, keine chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen entwickeln. Diese genetische Konstellation führt zwar zu einer anfälligeren Umgebung, jedoch ist es erst der Kontakt zu bestimmten Bakterien, der die Entzündung letztendlich auslöst", erklärt Prof. Zeißig.
Potenzial für neue Therapeutika
Nachdem das Team beobachtet hatte, dass der Verlust des XIAP-Gens zu Schäden an Paneth-Zellen und einem veränderten Mikrobiom führte, testeten die Wissenschaftler:innen, eine mögliche Intervention. Sie führten dazu Mäusen mit dem Gendefekt wieder antimikrobielle Moleküle zu, die ähnlich sind zu denen, die von gesunden Paneth-Zellen produziert werden. „Wir konnten beobachten, dass diese antimikrobielle Moleküle eine Darmentzündung verhindern konnten, selbst wenn die krankheitsverursachenden Bakterien vorhanden waren.“
Diese Ergebnisse deuten auf neue Möglichkeiten für personalisierte CED-Therapien hin. „Es bleibt abzuwarten, ob die antimikrobiellen Moleküle eine potenzielle therapeutische Option sein könnten, nicht nur für Menschen mit XIAP-Mutationen, sondern auch für Menschen mit anderen genetischen Störungen, die zu Paneth-Zell-Defekten und CED führen können", fügt Prof. Zeißig hinzu.
Originalveröffentlichung
Anne Strigli, Shreya Gopalakrishnan, Yvonne Zeissig, Marijana Basic, Jun Wang, Tobias Schwerd, Shauni Doms, Kenneth Peuker, Jelka Hartwig, Jürgen Harder, Pia Hönscheid, Philipp Arnold, Thomas Kurth, Fabian Rost, Britt-Sabina Petersen, Michael Forster, Andre Franke, Judith R. Kelsen, Meino Rohlfs, Christoph Klein, Aleixo M. Muise, Neil Warner, Ryusuke Nambu, Julia Mayerle, Helga-Paula Török, Andreas Linkermann, Michael H. Muders, Gustavo B. Baretton, Jochen Hampe, Daniela E. Aust, John F. Baines, André Bleich, Sebastian Zeissig: Deficiency in X-linked inhibitor of apoptosis protein promotes susceptibility to microbial triggers of intestinal inflammation, Science Immunology (November 2021)
Link: https://doi.org/10.1126/sciimmunol.abf7473
Über das Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD)
Am Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der TU Dresden widmen sich Spitzenforscher:innen aus mehr als 30 Ländern neuen Therapieansätzen. Sie entschlüsseln die Prinzipien der Zell- und Geweberegeneration und ergründen deren Nutzung für Diagnose, Behandlung und Heilung von Krankheiten. Das CRTD verknüpft Labor und Klinik, vernetzt Wissenschaftler:innen mit Ärzt:innen, nutzt Fachwissen in Stammzellforschung, Entwicklungs- und Regenerationbiologie, um letztlich die Heilung von Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson, hämatologischen Krankheiten wie Leukämie, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes sowie Augen- und Knochenerkrankungen zu erreichen.
Das CRTD wurde 2006 als Forschungszentrum der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gegründet und bis 2018 als DFG-Forschungszentrum, als auch Exzellenzcluster gefördert. Seit 2019 wird das CRTD mit Mitteln der TU Dresden und des Freistaates Sachsen finanziert.
Das CRTD ist eines von drei Instituten der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung Center for Molecular and Cellular Bioengineering (CMCB) der TU Dresden.
Web: www.tu-dresden.de/cmcb/crtd
Web: www.tu-dresden.de/cmcb
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Prof. Dr. med. Sebastian Zeißig
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