08.05.2024
SARS-CoV-2 und Typ-1-Diabetes bei Kindern: Neue Studie soll Zusammenhang aufklären
Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, die zu einem gestörten Glukosestoffwechsel führt und eine lebenslange Therapie mit Insulin verlangt. Das Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der TU Dresden arbeitet im Rahmen der Globalen Plattform zur Prävention des Autoimmunen Diabetes (GPPAD) mit verschiedenen anderen akademischen Forschungseinrichtungen und Krankenhäusern in Europa zusammen, um neue Präventionsmethoden für die bislang unheilbare Erkrankung zu entwickeln. In der dritten Interventionsstudie von GPPAD untersuchen die Forschenden, ob eine Impfung gegen SARS-CoV-2 im ersten Lebensjahr Kinder mit einem erhöhten genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes vor der Entwicklung von Typ-1-Diabetes schützen kann. Die Studie wird finanziert durch den Leona M. and Harry B. Helmsley Charitable Trust mit Sitz in den USA.
Vier von 1.000 Kindern in Deutschland erkranken an Typ-1-Diabetes, einer Stoffwechselerkrankung, die durch eine Autoimmunreaktion ausgelöst wird. Bei Personen mit Typ-1-Diabetes zerstört das Immunsystem die insulinproduzierenden Zellen in den sogenannten Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse. Betroffene müssen ein Leben lang mit Insulin behandelt werden, denn das Peptidhormon hat eine lebenswichtige Funktion: Es ermöglicht den Transport von Zucker aus dem Blut in die Körperzellen. Rund 90 Prozent der betroffenen Kinder und Jugendlichen haben keinen nahen Verwandten mit der Autoimmunkrankheit, weshalb die Diagnose oft überraschend kommt. Forschende können den zugrundeliegende Autoimmunprozess, lange bevor Beschwerden auftreten, anhand sogenannter Inselautoantikörper im Blut erkennen.
Virusinfektionen als Umweltfaktor
Die genauen Ursachen der zugrundeliegenden Autoimmunreaktion sind bis heute unklar. In groß angelegten Langzeitstudien konnten Forschende von Helmholtz Munich frühkindliche Virusinfektionen bei Kleinkindern als entscheidenden Umweltfaktor für die Entstehung von Typ-1-Diabetes identifizieren. Während der Corona-Pandemie machten die Forschenden von GPPAD außerdem eine wichtige Beobachtung: Kinder mit einem erhöhten Risiko für Typ-1-Diabetes entwickelten nach einer durchgemachten Infektion mit SARS-CoV-2 häufiger Inselautoantikörper. Diese dienen als Biomarker für den Autoimmunprozess, der später zu Typ-1-Diabetes führt.
„COVID-19 erhöht das Risiko für die Autoimmunerkrankung. Wir haben beobachtet, dass die Wahrscheinlichkeit, Inselautoantikörper zu entwickeln, um das Fünffache erhöht war, wenn Kinder mit einem erhöhten Risiko für Typ-1-Diabetes vor ihrem 18. Lebensmonat COVID-19 hatten“, berichtet Prof. Ezio Bonifacio, GPPAD-Wissenschaftler am Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD).
Neue Studie soll Zusammenhang aufklären
In einer neuen Studie möchte GPPAD diesem Zusammenhang nun genauer auf die Spur gehen. Die AVAnT1A-Studie – kurz für „Antiviral Action against Type 1 Autoimmunity“ – untersucht, ob eine Impfung gegen COVID-19 im Alter von sechs Monaten die Entstehung von Inselautoantikörpern verhindern und damit das Risiko für Typ-1-Diabetes senken kann. Dazu wird ein sicherer und für Kinder ab dem Alter von sechs Monaten zugelassener Impfstoff eingesetzt, den das Zentrum für Pandemieimpfstoffe- und Therapeutika (ZEPAI) am Paul-Ehrlich-Institut bereitstellt.
Da es sich um eine randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie handelt, werden die teilnehmenden Kinder vorab zufällig in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe erhält den wirksamen Impfstoff, die andere erhält als Kontrolle eine sogenannte Placebo-Impfung ohne Wirkstoff. Zudem ist die Studie doppelt verblindet. Weder die Forschenden, das Studienpersonal, noch die Familien selbst erfahren also vor Abschluss der Studie, welcher Gruppe ein Kind angehört.
„Da viele Infekte bei jungen Kindern fast ohne Krankheitszeichen stattfinden, bitten wir die teilnehmenden Familien außerdem darum, in regelmäßigen Abständen Speichel- und Stuhlproben ihrer Kinder einzusammeln“, erklärt Prof. Anette-Gabriele Ziegler, Direktorin des Instituts für Diabetesforschung bei Helmholtz Munich und von GPPAD, sowie Lehrstuhlinhaberin für Diabetes und Gestationsdiabetes am Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München (TUM). Im Labor können die Forschenden in diesen Proben nachweisen, mit welchen Viren die Kinder Kontakt hatten. Das ermöglicht es, weitere Zusammenhänge zwischen Typ-1-Diabetes und Virusinfektionen im frühen Kindesalter aufzuklären.
„Mit einer geplanten Anzahl von 2.252 Teilnehmenden ist die AVAnT1A-Studie die bisher größte Interventionsstudie zum Zusammenhang zwischen Typ-1-Diabetes und frühkindlichen Virusinfektionen. Die Erkenntnisse aus dieser Studie werden uns dabei helfen, dem Ziel einer Welt ohne Typ-1-Diabetes näher zu kommen“, sagt Prof. Sandra Hummel, leitende Wissenschaftlerin in der AVAnT1A-Studie bei Helmholtz Munich.
Zur Teilnahme an der AVAnT1A-Studie werden Kinder eingeladen, die ein erhöhtes genetisches Risiko für die Entwicklung von Typ-1-Diabetes haben. Das Risiko wird in einem Neugeborenen-Screening namens Freder1k getestet, an dem Säuglinge entweder direkt in der Geburtsklinik oder in der Kinderarztpraxis bis zur sechsten Lebenswoche teilnehmen können. Ein winziger Tropfen Blut aus Nabelschnur oder Ferse reicht hierfür aus. In Deutschland wird das Freder1k-Screening in Bayern, Niedersachsen, Sachsen sowie Thüringen angeboten.
"Mit der AVAnT1A-Studie kommen wir dem Ziel, Typ-1-Diabetes zu verhindern, hoffentlich einen Schritt näher und können Kindern mit einem erhöhten Risiko zusätzlich eine engmaschige Überwachung anbieten", sagt Dr. med. Gita Gemulla, Kinderdiabetologin an der Universitätskinderklinik und GPPAD-Forscherin an der TU Dresden.
Kinder, die an AVAnT1A teilnehmen, werden maximal bis zu ihrem sechsten Geburtstag zu regelmäßigen Kontrolluntersuchungen eingeladen. Die Familien profitieren von der Teilnahme an einem Früherkennungsprogramm für Typ-1-Diabetes. Sollte das Kind erste Anzeichen für die Autoimmunerkrankung entwickeln, kann dies im Rahmen der Studie frühzeitig erkannt und die Familie optimal betreut werden.
„Die neue Studie hat großes Potential, den Zusammenhang zwischen viralen Infektionen und der Entwicklung von Autoimmunität bei Typ-1-Diabetes aufzuklären“, sagt Anne Koralova, Programmbeauftragte bei der Helmsley Charitable Trust. „Die Wissenschaftler:innen von GPPAD haben bereits beeindruckende Forschungsergebnisse zu Präventionsstrategien für Typ-1-Diabetes erzielt. Helmsley unterstützt diese innovativen Studien entschlossen.“
AVAnT1A ist die dritte Studie von GPPAD
Nach der POInT-Studie (kurz für: Primary Oral Insulin Trial) und der SINT1A-Studie (kurz für: Supplementation with B. INfantis for Mitigation of Type 1 Diabetes Autoimmunity) ist AVAnT1A nun die dritte Interventionsstudie der Forschungsplattform GPPAD, die neue Präventionsmöglichkeiten für Typ-1-Diabetes hervorbringen soll. Die POInT-Studie untersucht, ob die Gabe von Insulinpulver in den ersten drei Lebensjahren eine schützende Wirkung auf das Immunsystem hat und wird 2024 abgeschlossen. Teilnehmende der SINT1A-Studie erhalten im ersten Lebensjahr ein Probiotikum, das die Darmflora positiv beeinflussen und so eine Autoimmunreaktion vorbeugen soll. Seit März 2024 sind die Teilnehmenden der SINT1A-Studie vollständig, es können also keine weiteren Kinder eingeschlossen werden. Finanziert wird die Forschungsplattform GPPAD sowie sämtliche Studien durch den amerikanischen Leona M. and Harry B. Helmsley Charitable Trust.
Über die Globale Plattform zur Prävention des Autoimmunen Diabetes
GPPAD ist eine europäische Plattform, die Kinder mit einem erhöhten genetischen Risiko für Typ-1-Diabetes identifiziert und Studien zur Primärprävention durchführt. Das Ziel der Studien ist es, das Auftreten von Inselautoimmunität und Typ-1-Diabetes bei Kindern zu verringern. Die GPPAD-Forschungszentren sind in Belgien (Leuven), Deutschland (Dresden, Hannover, München), Schweden (Malmö) und im Vereinigten Königreich (Newcastle, Cambridge). Finanziert wird die Forschungsplattform durch den Leona M. and Harry B. Helmsley Charitable Trust.
Über den Leona M. and Harry B. Helmsley Charitable Trust
Der Leona M. und Harry B. Helmsley Charitable Trust hat zum Ziel, das Leben zu verbessern, indem herausragende Initiativen in den USA und weltweit im Bereich Gesundheit sowie ausgewählte standortbezogene Projekte unterstützt werden. Seit Beginn der aktiven Förderung im Jahr 2008 hat Helmsley 4,5 Milliarden US-Dollar für eine Vielzahl wohltätiger Zwecke zugesagt. Das Helmsley Type 1 Diabetes Program ist der größte private Stifter weltweit, der sich auf Typ-1-Diabetes konzentriert. Bisher wurden über 1 Milliarde US-Dollar aufgewendet, um die Entwicklung der Krankheit zu beeinflussen und den Zugang zu modernster Versorgung im 21. Jahrhundert weltweit zu beschleunigen. Für weitere Informationen über Helmsley und seine Programme besuchen Sie helmsleytrust.org.
Über das Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD)
Am Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der TU Dresden widmen sich Spitzenforscher und -forscherinnen aus mehr als 30 Ländern neuen Therapieansätzen. Sie entschlüsseln die Prinzipien der Zell- und Geweberegeneration und ergründen deren Nutzung für Diagnose, Behandlung und Heilung von Krankheiten. Das CRTD verknüpft Labor und Klinik, vernetzt Wissenschaft und Klinik, nutzt Fachwissen in Stammzellforschung, Entwicklungs- und Regenerationsbiologie, um letztlich die Heilung von Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson, hämatologischen Krankheiten wie Leukämie, Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes sowie Augen- und Knochenerkrankungen zu erreichen. Das CRTD wurde 2006 als Forschungszentrum der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gegründet und bis 2018 als DFG-Forschungszentrum, sowie als Exzellenzcluster gefördert. Seit 2019 wird das CRTD mit Mitteln der TU Dresden und des Freistaates Sachsen finanziert.
Das CRTD ist eines von drei Instituten der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung Center for Molecular and Cellular Bioengineering (CMCB) der TU Dresden.
www.tud.de/crtd
www.tud.de/cmcb