22.04.2016
Jörg Menzel verstorben
Mit großer Bestürzung haben wir vom Tod unseres Kollegen Dr. Jörg Menzel erfahren, der zuletzt als Professor an der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul tätig war. Er ist am 9. April 2016 im Alter von nur 51 Jahren in Istanbul verstorben.
Herr Dr. Menzel hat sich in den vergangenen Jahren in vielfältigen Funktionen in den Dienst der juristischen Fakultät und des Zentrums für Internationale Studien der TU Dresden gestellt. Im Sommersemester 2013 vertrat er den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht. 2013 und 2014 lehrte er für die TU Dresden im Programm der Deutsch-Französisch-Peruanischen Universität in Lima. Im Sommersemester 2015 veranstaltete er als Lehrbeauftragter des Zentrums für Internationale Studien ein Seminar zum Entwicklungsvölkerrecht.
Die akademische Vita von Herrn Dr. Menzel zeichnete sich – bei einer tiefen Verwurzelung im deutschen öffentlichen Recht – durch ihre Internationalität sowie durch die symbiotische Verbindung von Wissenschaft und Praxis aus. Schon seine beiden Qualifikationsschriften verbanden die Qualitäten, die sein weiteres akademisches Wirken prägten. Bereits in seiner Dissertation zum Landesverfassungsrecht bettete er seine grundlegenden dogmatischen Überlegungen zur Verfassungshoheit und Homogenität in der föderalen Ordnung des Grundgesetzes in eine anspruchsvolle rechtsvergleichende Studie des Föderalismus in anderen modernen Verfassungsstaaten ein. Die gewichtige Habilitationsschrift von Herrn Dr. Menzel dokumentierte in ebenso eindrucksvoller Weise die internationale Bedingtheit des nationalen Verfassungs- und Verwaltungsrechts sowie die Fähigkeit des Verfassers, die darin liegende Vielschichtigkeit der normativen Wirklichkeit mit Blick für die Bedürfnisse der Praxis in klaren dogmatischen Strukturen zu erfassen.
In Deutschland ist es – anders als in vielen anderen akademischen Kulturen – nach wie vor unüblich, die wissenschaftliche Laufbahn durch längere „Ausflüge“ in die Praxis zu unterbrechen. Herr Dr. Menzel wagte mit der Aufnahme seiner Tätigkeit als Rechts- und Gesetzgebungsberater beim Senat des Königreichs Kambodscha diesen ungewöhnlichen Schritt. Mit Blick auf sein akademisches Oeuvre stellte sich der Wechsel in die Verfassungs- und Gesetzgebungsberatung nicht als Bruch, sondern geradezu als Konsequenz seines wissenschaftlichen Credos dar. Den modernen Verfassungsstaat begriff er nicht als Errungenschaft einzelner westlicher Staaten, sondern als „gemeinsames Erbe der Menschheit“; Wissenschaft stand bei ihm stets in der Verantwortung praktischer Bewährung.
Nur wenige Jahre nach der Überwindung des Khmer Rouge-Regimes, nahm Herr Dr. Menzel die Herausforderung an, die kritische Phase des allmählichen Überganges zur Rechts- und Verfassungsstaatlichkeit von 2003 bis 2011 als wissenschaftlicher Berater hauptberuflich zu begleiten. Er stellte sich damit nicht nur in den Dienst der Transformation und Befriedung des durch Genozid ausgebluteten Landes, sondern wurde auch zum Botschafter des deutschen Rechts und der deutschen Rechtswissenschaft in Kambodscha und in den südostasiatischen Nachbarstaaten.
Sein Wirken beschränkte sich dabei nicht auf die fachliche Begleitung von Gesetzgebungsvorhaben und Verfassungsreformen, die für den Transformationsprozess in Kambodscha von zentraler Bedeutung gewesen sind. Mit seiner kontinuierlichen Lehrtätigkeit an kambodschanischen Universitäten sowie durch die Initiierung und Herausgabe der ersten systematischen Lehrbücher zum kambodschanischen Recht in englischer Sprache leistete Herr Dr. Menzel auch einen entscheidenden Beitrag zum Aufbau einer international anschlussfähigen Rechtswissenschaft in Kambodscha.
Herr Dr. Menzel wurde durch seine Tätigkeit in Kambodscha zu einem international anerkannten Experten für die verfassungs-, verwaltungs- und völkerrechtlichen Aspekte von Transformationsprozessen in Entwicklungs- und Schwellenländern. Das eindrucksvolle Portfolio seiner Beratungs- und akademischen Vortragstätigkeit umfasste dabei nicht nur den südostasiatischen Raum, sondern griff auch in andere Weltregionen aus.
Nach dem Ende seines hauptberuflichen Engagements in Kambodscha kehrte Herr Dr. Menzel wieder nach Deutschland in die Wissenschaft zurück und übernahm eine Reihe von Lehrstuhlvertretungen in Köln, Bonn, Dresden, Erfurt und an der European Business School in Wiesbaden. Im Rahmen der ihm dabei belassenen Freiräume brachte er nunmehr seinen reichen Erfahrungsschatz aus der rechtsberatenden Entwicklungszusammenarbeit in das Curriculum deutscher Universitäten ein. Gerade die beiden von ihm an unserer Fakultät und am Zentrum für Internationale Studien in Dresden abgehaltenen Seminare zum Recht der Entwicklungszusammenarbeit sind von den Studenten in höchsten Tönen gelobt worden.
Mit der von ihm im vergangenen Jahr angetretenen Position als Professor an der Türkisch-Deutschen Universität in Istanbul stellte sich Herr Dr. Menzel erneut einer innovativen Aufgabe. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der rechtswissenschaftlichen Fakultät an dieser einzigartigen Einrichtung. So schien es geradezu in der Konsequenz seiner Vita zu liegen, dass er hier an der Brücke zwischen Okzident und Orient mit großer Kraftanstrengung die letzten Akzente in seinem akademischen und beruflichen Lebenswerk gesetzt hat.
Seine Kollegen und die Studenten an der Fakultät und am ZIS werden Herrn Dr. Menzel sehr vermissen. Wir werden sein Engagement für die TU Dresden in dankbarer Erinnerung behalten.
Prof. Dr. Thilo Rensmann