The Eucken Circle. Cultural Crisis and Neo-Idealistic Reform, 1900-1950
Table of contents
DFG-Projekt an der Professur für Neuere und Neueste Geschichte und Didaktik der Geschichte des Instituts für Geschichte an der Technischen Universität Dresden
Projektleitung: Prof. Dr. Frank-Michael Kuhlemann
Projektbearbeitung: PD Dr. Michael Schäfer
Laufzeit: 2012 – 2018
Adresse: TU Dresden, Philosophische Fakultät,
Institut für Geschichte, 01062 Dresden
Inhaltliche Perspektiven
Der Philosoph Rudolf Eucken (1846-1926) zählte im frühen 20. Jahrhundert zu den prominentesten deutschen Intellektuellen mit internationalem Ruf. Die Zuerkennung des Nobelpreises für Literatur 1908 belegt Euckens außerordentliche publizistische Wirksamkeit als Weltdeuter und Zeitkritiker. Rudolf Eucken, Professor für Philosophie an der Universität Jena, trat nach 1900 zunehmend aus den Kreisen des universitären Fachdiskurses hinaus, um seinen Anschauungen breitere Resonanz zu verschaffen. Sein Kernthema war die Krise der modernen Welt: der Verlust einer einheitlichen Lebensordnung und eines verbindlichen Wertekanons, die Veräußerlichung des Lebens, das Zurücktreten ideeller Werte, Sinnleere und moralische Desorientierung. Euckens Philosophie strebte nach einer neuen, zeitgemäßen „Lebensordnung", die verbindliche Wertmaßstäbe setzen und in der das Dasein des Einzelnen Sinnhaftigkeit und moralische Orientierung finden würde. Rudolf Eucken brachte sein neoidealistisches Programm, das auch lebensphilosophische und „kulturprotestantische“ Anklänge enthält, durch zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge einem breiteren gebildeten Publikum nahe. Er engagierte sich aktiv auf diversen Feldern der Kultur- und Bildungspolitik und knüpfte zahlreiche Verbindungen zu Wissenschaftlern, Publizisten, Theologen, Politikern und anderen Meinungsführern im In- und Ausland. Um seine Person bildete sich ein Kreis von Gleichgesinnten und Anhängern. Mit der Gründung des „Euckenbunds“ 1919 verfestigte sich dieser Kreis institutionell. Der Euckenbund mit Sitz in Jena unterhielt zahlreiche Filialen in anderen Städten und gab eine eigene Zeitschrift heraus, „Die Tatwelt“. Nach Rudolf Euckens Tod 1926 erlangte vor allem dessen Sohn, der Nationalökonom Walter Eucken, Einfluss auf den Euckenbund. Nach 1933 hielt der Bund Distanz zum NS-Regime, und scheint in Verbindung mit Kreisen der „Bekennenden Kirche“ und des bürgerlichen Widerstands gestanden zu sein. Zu den regelmäßigen Autoren der „Tatwelt“, die bis 1943 erschien, gehörten etwa Carl Friedrich von Weizsäcker, Helmut Schelsky und Gerhard Ritter. So lassen sich intellektuelle und personelle Ausstrahlung des Eucken-Kreises bis in die frühe Bundesrepublik verfolgen.
Die Geschichte des „Eucken-Kreises“ bzw. „Euckenbunds“ ist bislang kaum erforscht worden. Dabei ist die Quellenlage ausgezeichnet. Die Thüringische Universitäts- und Landesbibliothek, Jena, bewahrt einen umfangreichen Nachlassbestand, der neben zahlreichen Manuskripten und Briefen Rudolf Euckens auch Korrespondenzen seiner Ehefrau Irene, seiner Tochter Ida und des Ehepaars Walter und Edith Eucken (allesamt aktiv in der Leitung des Euckenbundes) sowie die Akten der Geschäftsführung des Euckenbundes enthält. Ein weiterer archivalischer Bestand zum Euckenbund liegt im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, München. Dazu kommen zahlreiche weitere Nachlässe von Mitgliedern des Eucken-Kreises bzw. -bunds sowie umfangreiches publiziertes Material. Mit dem Eucken-Kreis nehmen wir eine intellektuelle Suchbewegung in den Blick, die sich mit einer als krisenhaft diagnostizierten Moderne auseinandersetzte und ein Programm umfassender gesellschaftlicher Reform und Erneuerung vertrat.
Nun kann man solche Bewegungen ebenso als Versuch einer Bewältigung der Herausforderungen der Moderne interpretieren wie als Symptom einer intellektuellen Verweigerung des deutschen Bildungsbürgertums vor der Moderne. In dieser Ambivalenz bewegt sich das Erkenntnisinteresse dieses Projekts. Einerseits deuten sich die „pathologischen“ Züge bildungsbürgerlicher Kulturkritik an: Formte sich hier ein Kreis um eine charismatische Führergestalt, der auf antidemokratische, antizivile, antipluralistische, autoritäre, elitäre Lösungen einer womöglich nur eingebildeten Krise setzte? Andererseits kann man aber die Problemstellung Rudolf Euckens in einen durchaus weiteren Rahmen stellen. So sind Fragen nach verbindlichen, „letzten“ [Leit]Werten, die eine Gesellschaft zusammenhalten, bis heute aktuell geblieben. Insofern ist das Projekt „Eucken-Kreis“ auch anschlussfähig an die Fragestellungen des Dresdner SFB „Transzendenz und Gemeinsinn“. Zudem kann gerade das Beispiel des Eucken-Kreises möglicherweise verdeutlichen, dass eine allein „pathologische“ Lesart bildungsbürgerlicher Kulturkritik, die sie in die Vorgeschichte des Nationalsozialismus einordnet, nicht unbedingt schlüssig ist. Die breite internationale Rezeption der Philosophie Rudolf Euckens und die zahlreichen Kontakte des Kreises ins Ausland, die Ablehnung rassistisch-biologistischer Kategorien, die Rückbezüge auf klassisches liberal-bürgerliches Gedankengut und die offenbar dissidenten Tendenzen nach 1933 deuten weit über den Nationalsozialismus hinaus und weisen Bezüge bis in die Gründungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland und die „intellektuelle“ Neuordnung Europas nach 1945 auf.
Publikationen
- Michael Schäfer: Sammlung der Geister. Kulturkritischer Aktivismus im Umkreis Rudolf Euckens 1890–1945, Berlin/Boston 2020 (521 S.).
- Frank-Michael Kuhlemann, Michael Schäfer (Hrsg.): Bünde – Kreise – Intellektuellen-Netzwerke. Formen bürgerlicher Vergesellschaftung und politischer Kommunikation 1890–1960, Bielefeld 2017 (276 S.).
- Michael Schäfer: Die Sammlung der Geister. Euckenkreis und Euckenbund 1900–1943, in: Frank-Michael Kuhlemann, Michael Schäfer (Hrsg.): Bünde – Kreise – Intellektuellen-Netzwerke. Formen bürgerlicher Vergesellschaftung und politischer Kommunikation 1890–1960, Bielefeld 2017, S. 109–135.
- Michael Schäfer: Kapitalismus und Kulturkrise. Walter Ecken und die Philosophie Rudolf Euckens, in: Sven Steinberg, Winfried Müller (Hrsg.): Wirtschaft und Gemeinschaft. Konfessionelle und neureligiöse Gesinnungsmodelle im 19. und 20. Jahrhundert, Bielefeld 2014, S. 303–318."
Weitere Informationen
Weitere Informationen zum Projekt finden Sie auf den Seiten der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)