Zum Thema der Jahrestagung: Der menschliche Leib als Medium der Herabsetzung
Zwar erweist sich die Vorstellung von einer natürlichen Identität des menschlichen Körpers zunehmend als Illusion. Natürlichkeit oder Geschlecht haben als identitätsstiftende Konzepte ihre Bedeutung angesichts der Einsicht in die Möglichkeiten technischer oder diskursiver Überformung verloren. Selbst die Leitdifferenz von Mensch vs. Maschine erscheint heute ungeeignet, das Spezifische des Humanen zu bestimmen. Trotzdem bleibt der Körper Bezugspunkt und Ausdruck individueller wie kollektiver Identitätsvorstellungen. Er findet sich immer schon eingebunden in Formen des Sozialen und markiert von politischen Zuschreibungen. Der Körper ist sowohl Produzent als auch Empfänger von Zeichen und unterliegt physischen wie symbolischen Handlungen. In dieser Funktion aber ist er angreifbar oder kann zum Aggressor werden. Zugleich erscheint er als Schnittstelle normativer Setzungen der Gesellschaft – und dies als Subjekt wie als Objekt.
Jeder menschliche Körper birgt invektives Potential, kann er doch selbst schmähend aktiv werden oder Erniedrigungen erleiden, was von affektiven Reaktionen begleitet werden kann. Dabei zeigen sich invektive Körpermechanismen in zweierlei Hinsicht: erstens als Spielart der Ermächtigung, die in die Körperautonomie des anderen physisch eingreift oder den eigenen Körper zur Schmähung einsetzt; zweitens als symbolische Erniedrigung, die den anderen über vorgegebene Normen herabwürdigt, denen er angeblich nicht entspricht – wobei diese Normen wiederum nur ein Effekt voraufgegangener Invektiven sein können.
Mit der Körperrhetorik können Grenzen und Verbote formuliert oder Ausgrenzungen über Körpermetaphern angestrebt werden. Mit invektiven Prozessen können Eskalationsdynamiken einhergehen bis hin zur körperlichen Gewalt. Schmähgesten können neben der Ausgrenzung auch der Gruppenbildung dienen. Im Rahmen symbolischer Herabsetzung sind es oft Tiervergleiche oder Semantiken von Reinheit, Fruchtbarkeit und Gesundheit, mit denen Prozesse der Marginalisierung realisiert werden. Körperpolitik steht dabei nicht selten im Verbund mit Idealen und Normen, die den Grad von Abweichung überhaupt erst erfahrbar werden lassen. Körperideale definieren sich durch einen hohen Konformitätsdruck, der Prozesse von Selbsthass und -ekel auslösen kann.