Politischer Zeitschriften-Samisdat in der DDR
Im Jahr 2001 begannen die Arbeiten rund um den Versuch
eine umfassende Internetedition des politischen Samisdat der
DDR zu erstellen, welches bis 1989 als Periodika im Umlauf
oder als solche angelegt worden war. Der Begriff "Samisdat"
dient in diesem Kontext als Synonym für die Bezeichnung einer
"Eigenauflage" oder etwas "Selbstverlegtem", deren Ursprung
im russischen Wort "Самиздат" liegt. Umschrieben wird hierbei
die Verbreitung nicht systemkonformen Gedankenguts durch
unerlaubte Kanäle innerhalb der UdSSR, später auch in ihren
Satellit-Staaten. In Zusammenarbeit der Umweltbibliothek Großhennersdorf
e.V. , der Robert-Havermann-Gesellschaft e.V.
Berlin und dem MitteleuropaZentrum für Staats-,
Wirtschafts- und Kulturwissenschaften der TU Dresden wurde
durch die Förderung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der
SED-Diktatur eine erste Bestandaufnahme
überhaupt erst möglich.
Nachdem 2003 für die Realisation des Projektes ein Antrag
bei der Deutsche Forschungsgemeinschaft gestellt
und bewilligt worden war, konnten neben der bereits
bestehenden Kooperationsgemeinschaft noch zahlreiche weitere
Partner gewonnen werden. Zu nennen sind neben dem Archiv Bürgerbewegung Leipzig
e.V. , dem Martin-Luther-King-Zentrum für
Gewaltfreiheit und Zivilcourage e.V. - Archiv der
Bürgerbewegung Südwestsachsens (Werdau) auch das
Thüringer Archiv für Zeitgeschichte "Mathias
Domaschk" (Jena) und den Zeitgeschichte(n) e.V.
Halle .
Die Intention, welche diesem wissenschaftlich orientierten
Zusammenschluss zu Grunde lag, war der Versuch die
herausragende zeitgeschichtliche Quellenüberlieferung jüngster
Vergangenheit, welche der Samisdat darstellt, vor dem Zerfall
zu sichern. Die gesammelten Periodika sind aufgrund der
mangelnden Qualität bei der damaligen Herstellung, sowie dem
verwendeten Material unausweichlich dem Verfall ausgesetzt. Das
äußerst holzhaltige Papier befindet sich demnach in einem
überaus schlechtem Zustand: Die Strukturen lösen sich auf, die
Typoskripte verblassen.
Aufgrund dieser Situation eignen sich derartige Quellen nicht
für den Gebrauch im üblichen Fernleihsystem der Bibliotheken
oder Archive – eine langfristige Literaturversorgung für diesem
Bereich scheint demnach in ihrer Substanz gefährdet.
Das DFG-Projekt "Politischer Zeitschriften-Samisdat der DDR"
strebte aus diesem Grund eine archivalische Langzeitsicherung
und virtuelle Zentralisierung der Quellen an. Die
Digitalisierung der auf unabhängigen Archive verteilten
Bestände des DDR-Samisdats würde somit der Erreichung einer
neuen Stufe wissenschaftlicher Rekonstruktion und
Erinnerungspolitik beitragen. Denn diese stellen die
schriftliche Grundlage einer zweiten, verbotenen Öffentlichkeit
innerhalb der Deutschen Demokratischen Republik dar.
Die sonstigen, im Vergleich erhalten gebliebenen staatlichen
Dokumente gaben bislang nur ein verzerrtes Bild der real
stattgefundenen Bürgerbewegung wieder. Die Internetedition
ermöglicht somit eine neue und auch wahrheitsgemäße Perspektive
auf die Überwachungsmechanismen, die Verfolgung wie
Beeinflussung des Denkens durch den allmächtigen
Staatsapparat.
Die ersten Ergebnisse des Projektes wurden am 26. Mai 2005 im
Roten Rathaus Berlin im Zuge einer, der Öffentlichkeit
zugänglichen, Präsentation vorgestellt. Das Programm enthielt neben dem
Festvortrag des Berliner Schriftstellers György Dalos, auch
die Vorstellung der vorläufigen Bilanz des Projektes und
einem nachfolgendem Empfang. Des Weiteren war es bei
vorheriger Anmeldung möglich die Archive der
Robert-Havemann-Gesellschaft während einer Führung zu
besuchen.
Unter dem Titel "Die Globalisierung der Erinnerung- Das
Internet als virtuelles Archiv" fand an dem darauf
folgenden 27. Mai ein Kolloquium, abermals in den
Räumlichkeiten des Berliner Rathauses, statt. Neben
Einblicken in die Bilanz der bisher rund 14.000
digitalisierten Seiten des DDR-Samisdats, welche ab 2006 als
Datenbank der Allgemeinheit zur Verfügung stehen sollten,
war es Ziel der Tagung auch andere Möglichkeiten im Umgang
virtueller Archive darzulegen und zu diskutieren. Somit
sollte der Blick des Fachpublikums über die Grenzen des
anfänglichen Projektes hinaus auf die Chancen gerichtet
werden, welche sich durch eine zukünftige Nutzung neuer
Medien für die Erinnerungspolitik ergeben könnten.
Aufbauend auf den Vorträgen des Kolloquiums am 27. Mai
2005 erschien der Tagungsband "Samisdat in Mitteleuropa. Prozeß – Archiv –
Erinnerung" 2007 als erster Band der Reihe
"Mitteleuropa aktuell" im Thelem Verlag Dresden.