Betriebliches Biodiversitätsmanagement
Warum unsere Professur Wert auf Biodiversität legt?
Wir befinden uns im Zeitalter des 6. Artensterbens [1]. Seit den ersten Anzeichen des Artensterbens im 19. Jahrhundert hat sich der Rückgang der biologischen Vielfalt fortgesetzt. Während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschleunigte sich dieser Prozess [15]. Global zeigen 67 Prozent der hinreichend untersuchten Arten von Wirbellosen einen Rückgang um durchschnittlich 45 Prozent [15]. Das 6. Artensterben ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, weil der Verlust von Biodiversität nicht nur darüber entscheidet wie, sondern ob wir in Zukunft überleben. Die Artenvielfalt ist eine Voraussetzung für das Funktionieren unserer Ökosysteme [7].
Ökosysteme stellen uns jedoch wertvolle Dienstleistungen zur Verfügung. Sie reinigen die Luft, sorgen für sauberes Trinkwasser, bieten Hochwasserschutz, stellen uns Nahrungsmittel, Medizin und vieles mehr zur Verfügung [7]; [15]. Ein Forscherteam hat die globalen jährlichen Ökosystemdienstleistungen für das Wohlergehen der Menschen für das Jahr 2011 auf über 140 Billionen US-Dollar beziffert. Im Vergleich dazu lag laut Weltbank das globale Bruttoinlandsprodukt 2011 bei 73 Billionen US-Dollar – gerade mal der Hälfte der Ökosystemleistungen [7]. Ökosystemleistungen bringen auch direkten wirtschaftlichen Nutzen. Beispielsweise wird der Wert der Blütenbestäubung auf weltweit 153 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt, alleine 15 Milliarden Euro innerhalb der Europäischen Union [15].
Wie unsere Professur Biodiversität definiert?
Unsere Professur macht sich die Definition des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) zu eigen: "Die Variabilität unter lebenden Organismen aus allen Quellen, einschließlich terrestrischer, mariner und anderer aquatischer Ökosysteme und der ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören; dies umfasst die Vielfalt innerhalb von Arten, zwischen Arten und von Ökosystemen." (CBD, 2016)
Biodiversität bezeichnet also den Dreiklang von Artenvielfalt, genetischer Vielfalt und der Vielfalt von Ökosystemen. Dieser Dreiklang ist enorm wichtig für das richtige Verständnis von Biodiversität, weil diese Komponenten stark miteinander verflochten und voneinander abhängig sind.
Eine Artenvielfalt, bei der nur wenige Individuen jeder Art existieren, könnte leicht zum Aussterben solcher Tierarten und Pflanzenarten führen. Bei einer geringen genetischen Vielfalt innerhalb der Arten wäre dies für einen Krankheitserreger ein leichtes Spiel.
Im Gegensatz dazu böte nur eine geringe Anzahl von Arten mit vielen Individuen, also einer großen genetischen Vielfalt, auch keine Basis für funktionierende Ökosysteme. Es wäre wie eine Universität die nur aus Professuren besteht und in der es keine Verwaltung und keine Studierenden gibt. Ohne eine funktionierende Verwaltung würde es der Professur an der grundlegenden Infrastruktur für ihre Arbeit fehlen und ohne Studierende wäre ein fachlicher Austausch und das generieren neuer Ideen nur eingeschränkt möglich. Es wäre also zu wenig (Arten)Vielfalt für eine funktionierende Universität.
Auch Ökosysteme sind nicht austauschbar. Ein Wattwurm kann nicht ohne das Wattenmeer existieren. Es hilft ihm auch die noch so artenreiche Umgebung eines Korallenriffs wenig. Verschwindet ein Lebensraum, oder werden die Prozesse in einem Ökosystem zu stark verändert, verschwinden auch die dort lebenden Arten [7].
Warum unsere Professur ihren Forschungsschwerpunkt auf das unternehmerische Biodiversitätsmanagement legt?
Die Erhaltung der Biodiversität ist nicht nur ein Thema der Regierung und der Gesellschaft, sondern auch ein Thema der Wirtschaft. Das 6. Artensterben, mit dem wir derzeit konfrontiert sind, ist das Ergebnis der zunehmenden industriellen Aktivitäten und der menschlichen Bevölkerung [1]. Die meisten geschäftlichen Aktivitäten und Operationen hängen von der Natur und dem Ökosystem ab, insbesondere in der Forstwirtschaft, im Bergbau, in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie und im Tourismussektor. In den letzten Jahren beginnt das Umweltmanagement, insbesondere das Biodiversitätsmanagement, an Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) hat die Aichi-Biodiversitätsziele mit fünf fokussierten strategischen Zielen formuliert, die bis 2020 erreicht werden sollen [6]. Richtlinien der Global Reporting Initiative (GRI) und die Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen führten Ziele ein, die sich auf Biodiversitätsfragen konzentrieren. Berichte von großen Beratungsunternehmen wiesen darauf hin, wie wichtig es ist, dass Unternehmen auf die aktuellen Biodiversitätsprobleme reagieren, um in Zukunft noch größere Herausforderungen und finanzielle Verluste zu vermeiden [9]; [10]; [11]. Daher haben mehr und mehr Unternehmen begonnen, Maßnahmen zu ergreifen und mit Umwelt-NGOs wie der International Union for Conservation of Nature (IUCN), dem Forest Stewardship Council (FSC) und dem World Wide Fund for Nature (WWF) für den Naturschutz zusammenzuarbeiten [4].
Obwohl vermehrt Initiativen für die Unternehmenspraxis im Biodiversitätsmanagement entdeckt werden [17], ist die Biodiversitätsberichterstattung eher auf einem unterdurchschnittlichen Niveau [2]; [8]; [12]; [13]; [16]. Da unser Lehrstuhl der Biodiversität einen hohen Stellenwert einräumt und sowohl die Bedeutung der Biodiversität für die Wirtschaft als auch im Umkehrschluss die Bedeutung der Wirtschaft für die Biodiversität anerkennt, widmen wir einen zentralen Forschungsschwerpunkt dem unternehmerischen Biodiversitätsmanagement.
Wie unsere Professur betriebliches Biodiversitätsmanagement definiert?
Unsere Professur übernimmt die Definition von Schaltegger et al. (2010): "Betriebliches Biodiversitätsmanagement umfasst die methodische Gestaltung von Prozessen, Produkten und Projekten zur Sicherung des Unternehmenserfolgs bei gleichzeitigem Schutz der biologischen Vielfalt. Es analysiert systematisch die Auswirkungen der Geschäftstätigkeit auf die Biodiversität sowie deren strukturelle und soziale Bedingungen, um strategische Maßnahmen zu finden, die zu einer nachhaltigen Entwicklung für Wirtschaft und Gesellschaft führen." (Schaltegger et al., 2010, 10)
Umfassende Messinstrumente und wahrgenommener Druck von außen sind essentiell, um Unternehmen zu motivieren, Biodiversitätsmanagement zu implementieren; jedoch erschweren Hindernisse, wie die Schwierigkeit Biodiversität zu bewerten [1] und fehlendes Stakeholder-Bewusstsein [3] die Umsetzung.
Daher sind für unseren Lehrstuhl folgende Fragen für dieses Forschungsfeld von zentraler Bedeutung:
- Wie können Stakeholder die Wirtschaft zur Umsetzung von Biodiversitätsmanagement motivieren?
- Wie können Ansätze zur Messung von Biodiversität ausgestaltet sein, sektorenspezifisch oder sektorenübergreifend?
- Gibt es kohärente regionale Biodiversitätsmanagementkonzepte?
- Wie sollte die Berichterstattung über das Biodiversitätsmanagement ausgestaltet sein?
+++Das Literaturverzeichnis und weitere empfohlene Literatur zu diesem Forschungsschwerpunkt finden Sie hier+++