27.07.2021
Die Flugbahn der Protonen im Patienten nachverfolgen
Um Tumore optimal bestrahlen und umliegendes gesundes Gewebe schonen zu können, arbeiten Dresdner Wissenschaftler an der Hochpräzisions-Strahlentherapie mit Protonenstrahlen. Dem Team um Professor Christian Richter, dem Leiter des Bereichs der Medizinischen Strahlenphysik am OncoRay - Nationales Zentrum für Strahlenforschung in der Onkologie, ist es gelungen, über die prompte Gammastrahlung die Flugbahn der Protonen exakt zu bestimmen. Mit dem seit 2015 im Rahmen einer klinischen Studie am Patienten eingesetzten Verfahren konnte nun weltweit erstmals die für die Bestrahlungsplanung wichtige Vorhersage der Protonen-Eindringtiefe erfolgreich im Patienten validiert werden. „Wir konnten über die Erfassung der prompten Gammastrahlung am Patienten nachweisen, dass die tatsächliche Flugbahn der Protonen der zuvor über das Dual-Energy-Computertomografie (CT)-Verfahren berechneten Bahn entspricht“, erklärt Professor Christian Richter die Forschungsergebnisse.
Dresden, 27. Juli 2021. Die Dosis des Protonenstrahls muss vor jeder Behandlung exakt berechnet werden. Doch wo genau die Protonen tatsächlich im Tumor ankommen und dort ihre Wirkung entfalten, ist schwer vorherzusagen. Ändern sich auf ihrem Weg durch den Körper die anatomischen Bedingungen, verändert sich auch die Reichweite des Protonenstrahls. Gesundes Gewebe kann nachhaltig geschädigt oder das Tumorgewebe verfehlt werden, was maßgeblichen Einfluss auf die Lebensqualität und den Therapieerfolg der Patienten hat. Im Dresdner OncoRay-Zentrum, getragen von der Technischen Universität Dresden, dem Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf und dem Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, suchen Wissenschaftler wie Professor Richter deshalb nach Lösungen, Krebszellen noch gezielter zu bekämpfen.
Um den Weg der Protonen durch den menschlichen Körper genau zu bestimmen, nutzen die Dresdner Forscher einen indirekten Weg. Sie erfassen über eine Prompt-Gamma-Schlitzkamera die Gammastrahlen, die im von den Protonen durchdrungenen Gewebe freigesetzt werden. Die Protonen stoßen während der Bestrahlung mit einzelnen Atomkernen des Gewebes zusammen und regen diese an. Die Atomkerne geben ihre dabei gewonnene zusätzliche Energie sofort, also prompt, in Form von Gammastrahlen wieder ab. Diese dringen nach außen und sind in Echtzeit messbar. Die Spezialkamera fängt dank der Schlitzgeometrie dabei genau den Teil der Strahlen ein, mit dem durch einen speziellen Algorithmus, dem sogenannten Prompt-Gamma-Imaging (PGI), die Eindringtiefe des Protonenstrahls bestimmt werden kann. Um die Gammastrahlung sichtbar zu machen, lassen die Dresdner Forscher sie auf einen Szintillations-Detektor treffen, der sie in sichtbares Licht umwandelt. Tausende von Lichtblitzen müssen in der Folge ausgewertet und von anderen Einflüssen, wie beispielsweise durch Neutronen ausgelöste Impulse, abgegrenzt werden. Außerdem muss das System sehr genau positioniert und kalibriert werden, damit die Protonenreichweite millimetergenau gemessen kann. Das waren viele herausfordernde Aufgaben, denen sich der Doktorand Jonathan Berthold im Team akribisch gewidmet hat.
Ihren ersten klinischen Test hat ein Prototyp der Schlitzkamera bereits 2015 im OncoRay absolviert. Die von der Firma IBA (Ion Beam Applications S.A.) entwickelte Prompt-Gamma-Schlitzkamera wurde daraufhin in enger Zusammenarbeit weiter optimiert. „Uns ist gelungen, das Kamerasystem so zu verbessern, dass sie deutlich genauer und gleichzeitig schneller am Patienten positioniert werden kann. Praktisch entsteht durch ihren Einsatz kein zusätzlicher Zeitaufwand während der Behandlung“, erklärt Professor Christian Richter.
Durch die verbesserte Genauigkeit konnte das Dresdner Forscherteam das PGI-Verfahren erstmals benutzen, um die vor Behandlungsbeginn für die Bestrahlungsplanung benötigte Vorhersage der Protonenreichweite wirklich im Patienten zu überprüfen. Diese für jeden Patienten individuelle CT-basierte Vorhersage hatten die OncoRay-Forscher zuvor mit Hilfe des sogenannten Dual-Energy-CT-Verfahrens deutlich verbessert, um weniger gesundes Gewebe zu bestrahlen. Dabei werden zwei CT-Aufnahmen mit unterschiedlicher Röntgenenergie genutzt, um damit eine genauere Gewebedifferenzierung zu erreichen. Jetzt ist Dank der Anwendung des PGI-Verfahrens während der Behandlung von Patienten mit Prostatakarzinom erstmals der Nachweis gelungen, dass die über das Dual-Energy-CT-Verfahren berechnete Flugbahn der Protonen mit der tatsächlichen Flugbahn im Patienten nahezu perfekt übereinstimmt. „Damit sind wir unserem Ziel, die Protonentherapie weiter zu verbessern, einen wichtigen Schritt nähergekommen. Wir konnten bestätigen, dass wir die Tumore mit dem neuen Verfahren absolut zielgenau und sicher mit dem Protonenstrahl behandeln und die Patienten der Dresdner Protonentherapie davon profitieren“, ergänzt die OncoRay- und Klinikdirektorin Prof. Dr. Mechthild Krause. Die Forschungsergebnisse aus Dresden, die weltweit erstmalig in einer klinischen Studie mit mehr als hundert Patienten-Bestrahlungen möglich wurden, wurden jetzt im International Journal of Radiation Oncology, Biology, Physics (DOI: 10.1016/j.ijrobp.2021.06.036) veröffentlicht.
Kontakt:
OncoRay – National Center for Radiation Research in Oncology
Professor Dr. Christian Richter