15.11.2024
Gute Zuhörer: Primäre Zilien von Betazellen und ihre vielfältigen Interaktionen
Wie viele andere Zelltypen im Körper besitzen auch die Betazellen der Bauchspeicheldrüse ein primäres Cilium, einen Zellfortsatz, der ähnlich einer Antenne fungiert. Funktionsstörungen dieser Zilien in den Betazellen werden mit Diabetes in Verbindung gebracht, jedoch sind ihre Struktur und Interaktionen bislang nicht näher untersucht worden. Um dies zu ändern, hat ein internationales Team aus Wissenschaftler:innen des Paul-Langerhans-Instituts Dresden (PLID) gemeinsam mit Forscher:innen des Human Technopole (Italien), des Janelia Research Campus und der Yale University (beide USA) verschiedene neuartige bildgebende Verfahren eingesetzt, um die Struktur und Interaktion der primären Zilien von Betazellen in ihrer natürlichen Umgebung sichtbar zu machen. Die Ergebnisse dieser Studie, die jetzt in Nature Communications veröffentlicht wurden, geben einen detaillierten Einblick in die Struktur dieser Organellen und liefern neue Hinweise auf ihre Verbindung zum Nervensystem. Das PLID ist eine Einrichtung von Helmholtz Munich, der Medizinischen Fakultät der TU Dresden und des Uniklinikums Dresden sowie ein Partner des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD).
Die Betazellen der Bauchspeicheldrüse setzen das Hormon Insulin frei, welches für die Aufnahme von Glukose aus dem Blutkreislauf erforderlich ist. Eine fehlerhafte Funktion dieser Zellen führt zu Typ-2-Diabetes (T2D). Es gibt viele Faktoren, die die Fähigkeit der Betazellen, Insulin zu produzieren, beeinträchtigen können, so dass die Ursachen von T2D schwer zu bekämpfen sind. Ein Faktor, der kürzlich mit T2D in Verbindung gebracht wurde, ist die Funktionsstörung der primären Zilien der Betazellen. Die meisten Zelltypen in unserem Körper haben ein primäres Cilium, einen Zellfortsatz, der durch eine skelettartige Anordnung von Mikrotubuli stabilisiert wird. Einige Arten von Zilien sind beweglich und ermöglichen die Zellbewegung, während andere, wie die primären Zilien, in der Regel unbeweglich sind, aber eine wichtige Rolle bei der extrazellulären Signalübertragung spielen. Dr. Andreas Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Molekulare Diabetologie (Direktor: Prof. Michele Solimena), leitete das Team von Forscher:innen verschiedener Institutionen, die Volumenelektronenmikroskopie (vEM), 3D-Segmentierung und ultrastrukturelle Expansionsmikroskopie (U-ExM) einsetzten, um die dreidimensionale Form der primären Zilien von Betazellen in ihrer natürlichen Umgebung direkt sichtbar zu machen. Die daraus resultierenden Daten haben neue Erkenntnisse über die Struktur und Funktion der primären Zilien von Betazellen geliefert.
In dieser Studie gingen die Forscher:innen der Frage nach, wie das Axonem, die skelettartige Struktur, die von den Mikrotubuli im Cilium gebildet wird, organisiert ist. Abhängig von seiner Funktion folgt das Axonem einem bestimmten Muster, das entweder das Schlagen der Zilien ermöglicht oder die Zilien nur stabilisiert, ohne die Kraft zur Bewegung zu liefern. Die in dieser Studie beobachteten primären Zilien stammten sowohl von murinen als auch von menschlichen Betazellen und wiesen strukturelle Merkmale stabilisierender Zilien mit ungeordneten Mikrotubuli auf, die in unterschiedlichen Abständen innerhalb des Ziliums endeten. Diese Merkmale konnten schon in unbeweglichen primären Zilien von anderen Zelltypen beobachtet werden. Diese Studie ist die erste, die das in Zilien von Betazellen zeigt.
Neben der Auflösung der inneren Struktur der Zilien interessierten sich die Autor:innen dafür, wie Betazell-Zilien mit ihren Nachbarzellen interagieren, um daraus Rückschlüsse über ihre Signalfunktionen zu ziehen. In ihren Datensätzen war zu erkennen, dass die primären Zilien auf engem Raum eingeschlossen sind, entweder umgeben von anderen Inselzellen oder innerhalb der zelleigenen Ziliartasche. Aufgrund dieser räumlichen Begrenzung interagieren die primären Zilien sowohl mit den umliegenden Zellen als auch mit deren Zilien, manchmal sogar mit mehreren Zellen gleichzeitig. Weitere Analysen ihrer Bilddaten deuteten darauf hin, dass die primären Zilien der Betazellen nicht nur eine wichtige Rolle bei der Signalübertragung und Vernetzung der Betazellen mit anderen Inselzellen spielen, sondern überraschenderweise auch mit Zellen des Nervengewebes. Nervenzellen, die mit den Zilien der Betazellen in Kontakt treten, weisen präsynaptische Merkmale auf, was darauf hindeutet, dass die primären Zilien auch an der neuronalen Signalübertragung beteiligt sind. Weitere Untersuchungen zeigten, dass die Mehrzahl der Verbindungen zwischen Zilien und Axonen positiv für funktionelle synaptische Marker waren, die für cholinerge Nervensignale, einen wichtigen Signalweg zur Kontrolle der Inselzellfunktion, charakteristisch sind.
Die strukturellen Daten dieser Studie zeigen die Bedeutung der primären Zilien der Betazellen als „wichtige Verbindungsstellen für die Inselzellfunktion“, so Müller. Die weitere Untersuchung der Mechanismen und Wege, die an der Bildung der primären Zilien beteiligt sind, wird durch das DZD Young Talent Program unterstützt und zu einem besseren Verständnis ihrer Beteiligung an der T2D-Pathogenese führen, da sind sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sicher.
Originalpublikation
Andreas Müller, Nikolai Klena, Song Pang, Leticia Elizabeth Galicia Garcia, Oleksandra Topcheva, Solange Aurrecoechea Duran, Davud Sulaymankhil, Monika Seliskar, Hassan Mziaut, Eyke Schöniger, Daniela Friedland, Nicole Kipke, Susanne Kretschmar, Carla Münster, Jürgen Weitz, Marius Distler, Thomas Kurth, Deborah Schmidt, Harald F Hess, C. Shan Xu, Gaia Pigino, Michele Solimena. Structure, interaction, and nervous connectivity of beta cell primary cilia. Nat Commun 15, 9168 (2024). https://doi.org/10.1038/s41467-024-53348-5
Kontakt:
Dr. Andreas Müller
Paul Langerhans Institut Helmholtz Munich am Universitätsklinikum Dresden und der Medizinischen Fakultät der TU Dresden
Molecular Diabetology
Deutsches Zentrum für Diabetesforschung (DZD e.V.)
+49 351 796-36607