Oct 24, 2022
Langfristige Evaluation von modernen Modellen soll Versorgung psychisch Erkrankter in Deutschland verbessern
Langfristige Evaluation von modernen Modellen soll Versorgung psychisch Erkrankter in Deutschland verbessern
Forscherinnen und Forscher des Zentrums für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung an der Dresdner Hochschulmedizin evaluieren gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Dresden, dem Wissenschaftlichen Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung und dem Institut für Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung der Otto-von Guericke-Universität Magdeburg über einen Zeitraum von bis zu 19 Jahren Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung. Das Projekt EVA64.2 „Bundesweit einheitliche Wissenschaftliche Evaluation von Modellvorhaben nach § 64b SGB V ab 2022“ untersucht die Effektivität, Kosten und Effizienz von Modellvorhaben zur sektorenübergreifenden Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen. Im Rahmen einer Bietergemeinschaft mit Projektleitung am Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV) wurden insgesamt für das Projekt 7 Millionen Euro eingeworben, wovon 3,63 Millionen Euro nach Dresden gehen. Die Arbeit im Projekt hat bereits begonnen.
Vollstationär, teilstationär, ambulant oder weitere moderne Behandlungsformen? Die Entscheidung für das Setting sollte immer am Bedarf der Patientin oder des Patienten ausgerichtet sein. Insbesondere bei Menschen mit psychischen Erkrankungen ist eine sektorenübergreifende und gut vernetzte Behandlung durch die einzelnen Leistungserbringer von größter Bedeutung für den Behandlungserfolg. Seit 2013 bietet das Sozialgesetzbuch die Möglichkeit einer Weiterentwicklung der stationären psychiatrischen und psychosomatischen Versorgung mittels Modellvorhaben, die auf eine sektorenübergreifende, patientenzentrierte Versorgung ausgerichtet sind. Der gesetzliche Rahmen beinhaltet beispielsweise, dass Patientinnen und Patienten nicht eigens eingeschrieben werden müssen, wie es bei Verträgen der Integrierten Versorgung nötig ist. Zudem können sich alle Krankenkassen beteiligen, d. h. die Anbieter müssen nicht mehr aufwändig mit jeder Krankenkasse einen eigenen Vertrag zur Integrierten Versorgung verhandeln. Gemeinsames Merkmal aller Modellprojekte ist dabei die Bildung eines Gesamtbudgets aus stationärem Krankenhausbudget und den Erlösen der Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA). Die Sektorentrennung in der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen soll im Rahmen der Modellverträge durchbrochen werden, indem in den beteiligten Krankenhäusern die ökonomischen Anreize so verändert werden, dass eine Behandlung vermehrt am tatsächlichen Bedarf der Patientin oder des Patienten ausgerichtet wird. Wichtige Aspekte sind dabei die Förderung ambulanter und alternativer Behandlungsangebote während gleichzeitig monetäre Fehlanreize für vollstationäre Behandlungen vermindert werden sollen. Dies wird erreicht, indem das Setting der Behandlung –vollstationär, teilstationär, ambulant oder alternative Behandlungsformen – keinen Einfluss auf das Gesamtbudget hat.
Ein zentraler Unterschied zu den Vorläufer-Modellvorhaben ist die im Paragraph 65 SGB V festgeschriebene Verpflichtung zur Evaluation. Seit 2015 wurden bereits 18 Modellvorhaben, welche bis Ende 2016 begonnen hatten, vom gleichen Projektteam evaluiert (Verweis auf EVA64). Diese Evaluation läuft noch bis 2025. EVA64.2 knüpft nun an diese erfolgreichen Vorarbeiten an und erweitert sie. Im Evaluationsprojekt EVA64.2 sollen nun die bis zu 19 bereits bestehenden Modellvorhaben weiter und zusätzlich die bis Mitte 2026 erstmalig etablierten Modellvorhaben neu evaluiert werden. In der bis zu 19 Jahre dauernden Evaluationsstudie werden unter Federführung der Dresdner Versorgungsforscherinnen und -forscher am ZEGV die medizinischen und gesundheitsökonomischen Effekte von Modellvorhaben zur Stimulierung nicht-vollstationärer Behandlungen, z.B. durch Stärkung teilstationärer oder ambulanter Leistungen, bei Menschen mit psychischen Erkrankungen untersucht.
Über 70 gesetzliche Krankenkassen und ihre Verbände haben sich auf Basis des § 65 SGB V auf ein einheitliches Vorgehen geeinigt, alle Modellvorhaben nach höchsten wissenschaftlichen Standards evaluieren zu lassen. Im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung wurde von allen beteiligten Krankenkassen gemeinsam ein geeignetes wissenschaftliches Institut ausgewählt. Die Bietergemeinschaft unter der Leitung von Prof. Dr. med. Jochen Schmitt und Dr. Anne Neumann vom Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV), Medizinische Fakultät der TU Dresden und Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, hat sich mit ihrem Evaluationskonzept durchgesetzt und das Projekt mit einem Fördervolumen von 7 Millionen Euro, wovon 3,63 Millionen Euro für die Dresdener Hochschulmedizin vorgesehen sind, erhalten. In dem Konsortium sind neben der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie (vertreten durch Prof. Dr. Andrea Pfennig) des Universitätsklinikums Dresden weiterhin das Wissenschaftliche Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung (WIG2 GmbH), Leipzig (Dr. Ines Weinhold), sowie das Institut für Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung (ISMG) der Otto-von Guericke-Universität Magdeburg (Prof. Dr. Enno Swart) beteiligt.
Ziel der wissenschaftlichen Evaluation ist die Analyse der Effektivität, der Kosten und der Effizienz der Modellvorhaben zur Verbesserung der Versorgung von psychisch kranken Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Vorgesehen ist eine sekundärdatenbasierte, d.h. auf Abrechnungsdaten der gesetzlichen Krankenkassen basierende, kontrollierte Kohortenstudie. Die Interventionsgruppe (Patientinnen und Patienten der jeweiligen Modellkliniken) wird mit einer geeigneten Kontrollgruppe (vergleichbare Patientinnen und Patienten aus vergleichbaren Kliniken der Regelversorgung) verglichen.
„Die Evaluation der Modellvorhaben ist nicht nur aufgrund des dazu vorliegenden gesetzlichen Auftrages von besonderer Bedeutung, sondern auch da Systeminnovationen im deutschen Gesundheitswesen auf Grundlage der evidenzbasierten Medizin hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile gegenüber der bisherigen Versorgung überprüft werden müssen“, sagt Prof. Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand am Universitätsklinikum Dresden. „Die Hochschulmedizin Dresden ist sich der Wichtigkeit solcher Erhebungen und der Verantwortung bewusst und leistet mit dem Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung einen wichtigen Beitrag. Deshalb freuen wir uns sehr über das uns entgegengebrachte Vertrauen.“
Erst wenn die Versorgungsinnovationen diese wissenschaftliche und objektive Bewertung bestehen, sind sie dazu geeignet, flächendeckend umgesetzt zu werden. In einem „lernenden Gesundheitssystem“ dienen wissenschaftliche Evaluationen zudem dazu, Verbesserungspotenziale aufzudecken und rasch in der Versorgung zu implementieren. Die Evaluationsergebnisse der Studie EVA64.2 werden als Evidenz für die Verbesserung der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen herangezogen.
Über das Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV)
Das Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV) am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden optimiert gemeinsam mit Partnern aus Klinik, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft die Effektivität und Qualität der Medizin zum Nutzen der Patientinnen und Patienten und des Gesundheitssystems insgesamt. Treibende Kraft für alle künftigen Innovationen im deutschen Gesundheitssystem ist die Synthese von wissenschaftlicher Evidenz, Patientenpräferenz und transparentem Konsens. Das ZEGV versteht sich als interdisziplinäre Plattform zur Zusammenführung von klinischer und methodischer Expertise zur Stärkung der Versorgungsforschung, Qualitätsforschung und evidenzbasierten Medizin an der Dresdner Hochschulmedizin gemeinsam mit lokalen, nationalen und internationalen Partnern.
Kontakt:
Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung (ZEGV)
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der TU Dresden
Projektleitung: Prof. Dr. med. Jochen Schmitt, MPH
Projektleitung (koordinierend): Dr. Anne Neumann, MPH
E-Mail: anne.neumann@uniklinikum-dresden.de
Tel.: 0351 458 5634