01.07.2025
MME im Fokus: Wie sieht die Zukunft der Medizinlehre aus?

Die Urkunden zum Master for Medical Education wurden an Dr. Christian Weigel, Prof. Sabine Fredersdorf-Hahn, Dr. Rastislav Pjontek, Dr. Tina Thomas und Dr. Philipp Spitzer überreicht (v.l.n.r.)
Beim letzten Ordentlichen Tag der Medizinischen Fakultäten in Freiburg im Breisgau hat Dr. Tina Thomas ihren Abschluss im berufsbegleitenden Masterstudiengang Medical Education (MME) entgegengenommen. Im Interview berichtet sie, warum sie sich für den MME entschieden hat, wie sie Klinikalltag, Studium und Familie miteinander vereinbart und welche Visionen sie für die Zukunft der Medizinlehre entwickelt.
Was ist Ihr beruflicher Hintergrund und womit beschäftigen Sie sich derzeit?
Ich bin internistische Onkologin. Neben der klinischen Arbeit, bin ich Lehrkoordinatorin für die Onkologie und habe zudem in den letzten Jahren die Verantwortung für die Lehre in der Inneren Medizin übernommen. In dieser Funktion bin ich unter anderem für die Inhalte, didaktische Ausrichtung und Prüfungen der zugehörigen Leistungsnachweise zuständig. Dabei ist mir besonders die effiziente und nachhaltige Optimierung des Wissenserwerbs für Studierende ein Anliegen.
Was hat Sie dazu motiviert, das MME-Studium aufzunehmen?
Als Lehrkoordinatorin ist mir immer wieder aufgefallen, dass es in der medizinischen Ausbildung eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit gibt. So haben wir in Dresden durchaus gut konzipierte klassische Lehrformate, trotzdem gibt es hinsichtlich Lernerfolg und Effizienz noch Luft nach oben. Deshalb habe ich begonnen, Formate zu überarbeiten und Bedürfnisse der Studierenden sowie der Dozierenden zu analysieren. Denn wir stehen im Ausbildungsalltag vor der Herausforderung, mit knappen Ressourcen und veränderten Anforderungen eine qualitativ hochwertige Lehre zu gestalten. Ich denke, dass wir aktuell in einem Umbruch zu einer neuen Generation in der medizinischen Ausbildung stecken.
Auf Anregung meiner Vorgängerin Cornelie Haag und meiner MME-Kollegin Maike Linke bin ich zum MME-Studium gekommen. Letztlich sind die genannten Aspekte nicht nur lokale, sondern deutschlandweite Themen. Das MME-Studium bietet daher eine sehr gute Plattform zum fakultätsübergreifenden Austausch und wertvolle Einblicke in die Lehrforschung.
Was meinen Sie mit „veränderten Anforderungen“ und „Umbruch”?
Einerseits ist der Erwerb verschiedener Kompetenzen rund um den ärztlichen Beruf in den Vordergrund gerückt und wurde auch durch den NKLM (Nationaler Kompetenzbasierter Lernzielkatalog Medizin – Anm. d. Red.) aufgenommen. Hinzu kommt die teils rasante Entwicklung durch den wissenschaftlichen Fortschritt in der Medizin. Es gilt, die richtigen Schwerpunkte im ohnehin schon hohen inhaltlichen Pensum des Medizinstudiums zu setzen – insbesondere auch vor dem Hintergrund der aufgekommenen KI-Unterstützung auf verschiedenen Ebenen. Die Studierenden wünschen sich unter anderem klare Lernziele, mehr Praxisbezug, selbstbestimmtes Lernen und den Einbezug digitaler Ressourcen. Zudem fällt das Bestreben zur studentischen Lehrbeteiligung und Teamarbeit in Peer-Gruppen auf. Insgesamt haben sich Haltung und Erwartungen sowohl bei Studierenden als auch bei Lehrenden verändert. In diesem Gesamtkontext gilt es, die medizinische Ausbildung weiterzuentwickeln, ohne traditionelle Werte und bewährte essenzielle Kenntnisse aus den Augen zu verlieren.
Zurück zum MME: Findet das Studium an einem zentralen Ort statt oder besuchen Sie verschiedene Standorte und Universitäten?
Das MME-Curriculum wurde zwar durch die Medizinische Fakultät Heidelberg entwickelt und organisiert, es besteht jedoch aus insgesamt acht Präsenzmodulen, die jeweils an wechselnden Standorten in ganz Deutschland stattfinden – eines davon auch in Dresden. Jedes Modul steht unter einem thematischen Schwerpunkt. Durch die verschiedenen Standorte profitiert man nicht nur von einem Perspektivwechsel, sondern auch von einem intensiven Austausch mit Kolleg:innen aus anderen Fakultäten. Dazu kommen Selbststudienanteile zur Vor- und Nachbereitung.
Ist es schwierig, einen MME-Studienplatz zu bekommen?
Der MME in Deutschland hat 2024 sein zwanzigjähriges Jubiläum gefeiert und sich in dieser Zeit fest neben den Angeboten in der Schweiz und den Niederlanden etabliert. Pro Jahrgang gibt es 24 Plätze. Die Fakultäten treffen in der Regel lokal eine interne Vorauswahl. Im finalen Auswahlverfahren in Heidelberg ist die Bewerberzahl derzeit etwa doppelt so hoch wie die verfügbaren Plätze.
Wie haben Sie es geschafft, Berufsalltag, Studium und Familie unter einen Hut zu bringen?
Man muss ehrlich sagen: Der Aufwand für das MME-Studium ist hoch und stellt sowohl beruflich als auch privat eine große Herausforderung dar. Dankenswerteweise unterstützt die Medizinische Fakultät der TUD den MME und ich wurde für die Modulphasen freigestellt. Zusätzlich fallen aber die Selbststudienanteile sowie eine Projekt- und die Masterarbeit an. Ohne den Rückhalt der Familie geht es nicht und ich bin dankbar, dass meine Familie das mitgetragen hat. Die vom Studiengang gesetzten Deadlines für Vor- und Nachbereitung der Module sind meist großzügig. Alles in allem sind eine gute Struktur und gegenseitiges Verständnis essenziell.
Ihre Masterarbeit trägt den Titel „Entwicklung und Evaluation des Mehrwertes eines Tandemtutor-Konzepts zur Optimierung eines neu implementierten Blended-Learning-Formats bei Medizinstudierenden“. Können Sie kurz erklären, worum es dabei geht?
Gern. Diese Arbeit entstand aus einem Projekt zur Entwicklung eines neuen Lehrformats für onkologische Tutorien. Die Herausforderung bestand darin, dieses Format mit über 30 Tutor:innen aus unterschiedlichen Fachbereichen umzusetzen. Manche sind thematisch näher am Fach, andere aus einem ganz anderen Gebiet, aber das Konzept muss trotzdem funktionieren. Zum anderen ging es mir darum, die veränderten Ansprüche der neuen Generation von Studierenden aufzugreifen und in die Lehre zu integrieren. Lernen durch Lehren hat einen hohen Stellenwert für die fachliche Entwicklung. Ich bin überzeugt, dass Studierende und Lehrende gegenseitig voneinander profitieren können. Daraus habe ich ein sogenanntes Near-Peer-Teachingmodell entwickelt: PJ-Studierende übernehmen die Leitung einer Tutoriumsgruppe unter Supervision von graduierten Tutor:innen und sammeln dadurch ihre ersten Erfahrungen als Dozierende. Gleichzeitig sind sie noch sehr nah an ihrem eigenen Studium und haben bereits erste Einblicke in die ärztliche Praxis gewonnen. Das lässt sich mit dem neuen anwendungsnahen Lehrkonzeptgut verbinden. Natürlich verfügen erfahrene Ärzte über ein enormes Fachwissen, doch manchmal entfernen sie sich zu sehr von den Studierenden in der Ausbildung. Die Ergebnisse meiner Evaluation zeigten, dass die von PJ-Tutor:innen geführten Gruppen nicht nur gleichwertig, sondern teils sogar zufriedener waren. Beispielsweise wurden Lernziele viel konsequenter verfolgt. Zudem gaben die graduierten Tutor:innen positives Feedback – sie nahmen das Tandemkonzept als bereichernd und im Kontext des klinischen Alltags entlastend wahr.
Welche Pläne haben Sie nach Ihrem MME-Abschluss? Werden Sie das Tandemtutor-Konzept an der Medizinischen Fakultät erweitern?
Ich habe das Modell bereits fest im DIPOL-Kurs Onkologie (DIPOL bezeichnet das Hybridcurriculum "Dresdner Integratives Problem-/ Praxis-/ Patienten- Orientiertes Lernen" – Anm. d. Red.) als freiwilliges Angebot für PJ-Studierende eingeführt. In diesem Jahr wurde das Konzept in den ESA-DIPOL-Kurs (Ernährung, Stoffwechsel, Ausscheidung – Anm. d. Red.) übernommen. Grundsätzlich lässt es sich auch auf andere Fächer und Fakultäten übertragen. Für mich persönlich geht es im Herbst nach Cottbus. Die dortige Medizinische Universität nimmt 2026 ihren Lehrbetrieb auf und ich freue mich, das neue Curriculum dort von Grund auf mitzugestalten.
Welchen Rat würden Sie Kolleg:innen geben, die sich für das MME-Studium interessieren?
Sowohl inhaltlich als auch persönlich war der MME für mich eine enorme Bereicherung. Besonders wertvoll ist der interdisziplinäre Austausch mit anderen Fakultäten sowie die Vernetzung in der medizinischen Ausbildung. Auch wenn das MME-Studium neben dem Berufsalltag anspruchsvoll ist, wird der Aufwand mit einer großen Horizonterweiterung belohnt. Die Studieninhalte haben einen hohen Praxisbezug und lassen sich oft direkt in die eigene Arbeit an der Fakultät integrieren. Auch im Hinblick auf die neu umzusetzenden Schwerpunkte des NKLM, ist die Vernetzung mit Kolleg:innen anderer Fakultäten wertvoll. Mein „Rat“ also: Nur Mut und die Chance nutzen, wer Lehre neu denken will. Wie in anderen Bereichen auch – man wächst mit seinen Aufgaben 😉