30.07.2019
Stammzell-Medikamente aus Nabelschnurgewebe
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden und des gleichnamigen Universitätsklinikums haben eine Me-thode entwickelt, um Stammzellen aus der Nabelschnur zu isolieren. Die damit herge-stellten Medikamente könnten nicht nur Frühgeborenen helfen.
Dank einer neuen Methode können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Hoch-schulmedizin Dresden Mesenchymale Stamm- bzw. Stromazellen (MSC) aus der Nabelschnur von Neugeborenen so isolieren, dass diese zur Therapie verwendet werden können. Diese Zellen haben eine regenerative Wirkung und werden von dem Empfänger nicht als fremde Zellen erkannt und abgestoßen. „Im Nabelschnurgewebe gibt es sehr viele und sehr junge Zellen mit einem hohen therapeutischen Potential“, sagt Prof. Mario Rüdiger, Leiter der Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin am Universitätsklinikum Dresden. Dank der neuen Methoden, die sich die Dresdner Wissenschaftler patentieren lassen haben, können sehr viele der Zellen aus nur einer Nabelschnur-Spende gewonnen werden. „Das heißt, wir müssen keine alten Zellen von Erwachsenen gewinnen und dann in der Petrischale vermehren.“ Die Stammzellen wollen die Wissenschaftler als Medikament für eine temporäre Zelltherapie mit langanhaltender Wirkung einsetzen, und zwar bei Kindern und Erwachsenen.
In den kommenden Monaten startet in Kanada eine erste Sicherheitsstudie zur Anwendung der neuen in Dresden entwickelten Stammzell-Medikamente bei Frühgeborenen mit chronischem Lungenleiden. Im gesunden Organismus von Neugeborenen, Kindern und Erwachsenen kümmert sich das körpereigene Reparatursystem um einen aufgetretenen Gewebeschaden. Doch bei Frühgeborenen ist dieses System oftmals überfordert. Die neu entwickelten Stammzell-Präparate könnten das körpereigene System unterstützen und so frühgeburtsbedingte Schäden vermeiden helfen. Das Potenzial ist groß: Zehn Prozent aller Kinder in Deutschland kommen zu früh, also vor der 37. Schwangerschaftswoche, auf die Welt. Ein Prozent der Schwangerschaften endet sogar bereits vor der 32. Woche – Mediziner sprechen dann von extrem unreifen Frühgeborenen. Jedes dritte dieser Frühgeborenen ist von einer sogenannten Bronchopulmonalen Dysplasie, einer Lungenentwicklungsstörung, betroffen. Die Folgen dieser Erkrankung wirken bis ins Erwachsenenalter und betreffen nicht nur die Lunge, sondern auch die körperliche und geistige Entwicklung. „Diese Lungenentwicklungsstörung ist eine der größten Herausforderungen, mit denen wir auf den Frühgeborenenstationen konfrontiert sind“, sagt Prof. Mario Rüdiger. „Bislang gibt es noch keine richtige Erklärung, weshalb sich die Lungen der Frühgeborenen außerhalb des Mutterleibes nicht richtig entwickeln“, erklärt Dr. Marius Möbius, Arzt in Weiterbildung an der Kinderklinik des Universitätsklinikums Dresden. „Was wir wissen ist, dass die Lungenbindegewebszellen so eine Art Schaltstation in der Lunge sind. Diese Zellen sind quasi für das Wachstum und die Reifung der Oberflächengewebszellen verantwortlich. Sie steuern auch die Entwicklung der Lungengefäßzellen.“ Dank der neuen Methode können Zellen aus dem Nabelschnurgewebe von gesunden Neugeborenen isoliert und als Medikament in den Organismus der Frühgeborenen gebracht werden. Dort unterstützen sie die Funktion der körpereigenen Lungenbinde-gewebszellen, ohne dass sie in das Gewebe permanent einwachsen.
Um die Zellen als Medikament anwenden zu können, hat das Team um Prof. Mario Rüdiger und Dr. Marius Möbius eine Existenzgründerförderung in Höhe von 1,5 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung bekommen. Für die Studien zum Einsatz der neuen Medikamente arbeiten die Dresdner mit Wissenschaftlern in einem internationalen Netzwerk zusammen. Der ersten Studie in Kanada sollen weitere Untersuchungen in den USA und in Europa zum Einsatz der neuen Medikamente folgen. Die Bereitschaft zur Spende der Nabelschnur nach normalen Geburten ist groß. Von rund 200 Dresdner Spenden haben die Wissenschaftler bereits Zellen isoliert, um das Verfahren weiter zu verbessern. Mit den Zellen aus nur einer Nabelschnur können 20 bis 30 Frühgeborene therapiert werden – oder zwei bis drei Erwachsene. Denn auch bei Erwachsenen werden MSC bei der Therapie von Erkrankungen eingesetzt. Am bekanntesten ist die Therapie der Nebenwirkungen einer Blutstammzelltherapie bei Leukämie mittels MSC. Bei der Behandlung chronischer Darmerkrankungen werden MSC ebenfalls erfolgreich eingesetzt. Allerdings variiert die Wirkung dieser aus dem Knochenmark Erwachsener gewonnenen Zellen, wahrscheinlich, weil diese Stammzellen deutlich älter sind. Die Mediziner hoffen, dass beim Einsatz der jungen Stammzellen aus der Nabelschnur die Wirkung höher sein könnte. Dies allerdings muss in Studien erst nachgewiesen werden. Geplant ist außerdem, die neuen Medikamente bei Gewebeschäden im Gehirn von Neu- und Frühgeborenen nach Schlaganfall oder Hirnblutung einzusetzen.
Hintergrundinformationen:
Dr. Marius Möbius leitet die am CRTD tätige Arbeitsgruppe „Regenerative Therapien“ des Fachbereiches Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin am Dresdner Universitätsklinikum Carl Gustav Carus. Er promovierte 2018 an der Medizinischen Fakultät der TU Dresden zum Thema der Störungen in der Lungenentwicklung bei extrem unreifen Frühgeborenen. Die Ergebnisse seiner mit dem Carus-Promotionspreis prämierten Promotionsarbeit wurden im Mai in dem renommierten American Journal of Respiratory Cell and Molecular Biology (AJRCMB) veröffentlicht. Basierend auf diesen grundlegenden Ergebnissen zur Schädigung der fetalen Entwicklung, erarbeitete die Arbeitsgruppe um Dr. Möbius das patentierte Verfahren zur Isolation von Mesenchymale Stromazellen (MSC) aus Nabelschnurgewebe. Diese Zellen stellen die Grundlage für einen innovativen Therapieansatz bei der Prävention bzw. Behandlung von frühgeburtsassoziierten Schädigungen dar, der zeitnah in die klinische Praxis überführt werden soll. Dr. Marius Möbius war daran beteiligt, eine internationale Kooperation („MASC-prematurity – collaboration“) ins Leben zu rufen, welche derzeit klinische Studien zu dieser Thematik vorbereitet. Auf der wissenschaftlichen Jahrestagung der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (GNPI) wurde seine Idee eines künftigen Forschungsprojektes auf diesem Gebiet mit der erstmalig vergebenen und mit 10.000 Euro dotierten GNPI-Projektförderung prämiert. „Herr Dr. Möbius verfolgt nicht nur eine klinisch sehr relevante Fragestellung, sondern fasziniert mich immer wieder mit seinen kreativen Lösungsansätzen, die das Potential haben, die Versorgung der Früh- und kranken Neugeborenen maßgeblich zu verbessern“, sagt Prof. Mario Rüdiger, Leiter des Fachbereiches und der Arbeitsgruppe „Neonatal Research“, am Dresdner Universitätsklinikum. Aus dem Fachbereich Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin des Universitätsklinikums Dresden, der mit jährlich mehr als 700 Früh- und kranken Neugeborenen zu den fünf größten Perinatalzentren in Deutschland zählt, kommen immer wieder innovative Therapiekonzepte, die zu einer Verbesserung der Versorgung der extrem unreifen Frühgeborenen führen. Erst im April 2019 wurde das am Fachbereich entwickelte Projekt der psychologisch-sozialmedizinischen Versorgung „FamilieNetz“ mit dem „Innovationspreis für interprofessionelle Projekte“ ausge-zeichnet.
Kontakt:
Prof. Dr. Mario Rüdiger
Neonatologie & Pädiatrische Intensivmedizin Universitätsklinikum Dresden
Fetscherstr. 74, 01307 Dresden
Tel.: 0049-351 458 3640
Fax.: 0049-351 458 5358
www.neonatal-research-dresden.de