31.01.2020
Spuk aus dem Erdinneren: Geoneutrinos liefern neue Hinweise über den Aufbau unserer Erde
Das Borexino-Experiment in Italien mit einem Detektor, der sich über 1.400 Meter tief unter der Erdoberfläche im Gran-Sasso-Massiv bei Rom befindet, steht im größten Untergrundlabor der Welt. Seit weit über zehn Jahren ist dort eine internationale Forschungskooperation, an der auch Prof. Dr. Kai Zuber vom Institut für Kern- und Teilchenphysik der TU Dresden beteiligt ist, auf der Jagd nach den sogenannten Geisterteilchen: den Neutrinos. In einer neuen Veröffentlichung stellt die Kooperation nun die neuesten Daten über die im Erdinneren erzeugten, sogenannten Geoneutrinos vor und liefert damit neue Erkenntnisse zum Aufbau der Erde.
Sie sind überall – über, unter, neben, ja sogar in uns: Neutrinos sind elektrisch neutrale Elementarteilchen mit einer sehr geringen Masse. Sie durchströmen jeden Quadratzentimeter unseres Körpers milliardenfach in einer Sekunde, ohne, dass wir je etwas davon bemerken. Aufgrund dieser Eigenschaften ist es für Neutrinoforscher schwer, diese winzig kleinen Teilchen nachzuweisen, was zu der Bezeichnung „Geisterteilchen“ führte. Ausgehend von ihrem Entstehungsort, kann man verschiedene Neutrinos, so zum Beispiel von der Sonne stammende Solarneutrinos oder aus der Erde stammende Geoneutrinos, unterscheiden.
Der Detektor des Borexino-Experiments, der gut abgeschirmt tief unter der Erdoberfläche des Gran-Sasso-Massivs in Italien gelegen ist, wurde ursprünglich für den Nachweis von solaren Neutrinos konstruiert. Schon bald nach der Inbetriebnahme im Jahr 2007, konnten die Wissenschaftler mit dem Detektor neben den solaren Neutrinos auch Geoneutrinos beobachten. Geoneutrinos entstehen im Erdinneren beim Zerfall natürlich vorkommender radioaktiver Elemente wie Uran oder Thorium. Sie liefern wichtige Hinweise über Prozesse im Erdinneren, die bis heute für viele Wissenschaftler ein Rätsel sind. Seit mehreren hundert Jahren beschäftigt Forscher auf der ganzen Welt die Frage, welche Quellen für die innere Wärme der Erde verantwortlich sind.
In der aktuellen Veröffentlichung im Fachmagazin Physical Review D stellt die Borexino-Kollaboration nun die aktuellsten Geoneutrino-Daten vor. Mit insgesamt 53 gemessenen Geoneutrinos konnte das Team den Datensatz mehr als verdoppeln und die Unsicherheit der Messungen wesentlich reduzieren. Die Ergebnisse zeigen, dass etwa die Hälfte der nachgewiesenen Partikel aus dem Erdmantel und der Rest aus der Erdkruste stammt.
Durch die Geoneutrino-Zählungen, konnten die Borexino-Wissenschaftler errechnen, dass radioaktive Zerfallsprozesse im Inneren der Erde wahrscheinlich mehr als die Hälfte der inneren Wärme der Erde erzeugen.
„Um noch präzisere Aussagen über den Aufbau unserer Erde treffen zu können, müssen wir Geoneutrinos an verschiedenen Punkten auf dem Planeten messen. Mit meiner Arbeitsgruppe bin ich auch am SNO+ Experiment in Kanada, einem großen Detektor, noch größer als Borexino, in einer alten Nickelmine zwei Kilometer unter der Erde. Dort ist es uns unter Leitung von Arthur McDonald erstmals gelungen, Neutrinooszillationen nachzuweisen, wofür Arthur als Sprecher stellvertretend für das gesamte Experiment im Jahr 2015 den Nobelpreis erhalten hat. Die Geoneutrino-Messungen in Kanada sollen noch in diesem Jahr beginnen. Auch an Detektoren in Japan und China will man demnächst Geoneutrinos nachweisen“, erläutert Prof. Zuber die anstehenden Herausforderungen der Geisterteilchenjagd.
Originalpublikation:
Comprehensive geoneutrino analysis with Borexino. M. Agostini et al. Phys. Rev. D (21 January 2020), DOI: 10.1103/PhysRevD.101.012009
Informationen für Journalisten:
Prof. Kai Zuber
Institut für Kern- und Teilchenphysik
Tel.: 0351 463-42250