08.09.2021
Ultraschnell & ultradünn: Neuer Physik-Professor der TU Dresden macht rätselhafte Quantenwelt sichtbar
Alexey Chernikov besetzt die neue W3-Professur für Ultraschnelle Mikroskopie und Photonik des Exzellenzclusters ct.qmat – Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien an der TU Dresden. Der 38-jährige Wissenschaftler geht der Frage auf den Grund, wie sich ultraschnelle quantenmechanische Quasiteilchen in atomar-dünnen Nanokristallen sichtbar machen lassen.
Quasiteilchen in ultradünnen Kristallen
Nur wenige Atome dünn sind die Quantenmaterialien, die Alexey Chernikov und sein Team untersuchen. Dabei im Fokus: die Erforschung von rätselhaften Quasiteilchen. Ein Quasiteilchen besteht aus mehreren Elektronen, die sich gemeinsam als neues, eigenständiges Objekt verhalten. Sie können die Aufnahme und Abstrahlung von Licht sowie die Leitung von Strom entscheidend mitbestimmen. In Nanostrukturen – wie zum Beispiel superdünnen Kristallen – sind Quasiteilchen besonders robust, interagieren stark miteinander und können durch elektrische und magnetische Felder sowie durch die Umgebung präzise manipuliert werden. Chernikov konzentriert sich darauf, die Zusammensetzung, Wechselwirkungen und Bewegungen von Quasiteilchen zu untersuchen und zu verstehen. Sie werden dafür mit einer besonderen Technik in „Echtzeit“ als eine Art Video aufgenommen.
Die Erforschung von Quasiteilchen wird in der modernen Festkörperphysik aktuell intensiv verfolgt. „Somit erschließt Alexey Chernikov einen wichtigen neuen Forschungsbereich im Exzellenzcluster ct.qmat“, betont der Dresdner Clustersprecher Prof. Matthias Vojta. In Zukunft könnten Materialien wie die von Chernikov untersuchten ultradünnen Schichten die Basis für neuartige Laserquellen, Lichtsensoren, Solarzellen oder auch Bausteine für Quantencomputer sein.
Licht als Werkzeug
Um das Verhalten von Quasiteilchen in atomar-dünnen Kristallen und deren Verbindungen zu komplexeren Strukturen zu zeigen, nutzen der frisch berufene Prof. Chernikov und sein Team Licht als Werkzeug. „Wir aktivieren das Material mit ultrakurzen Lichtimpulsen eines starken Lasers und nehmen dann mit superschnellen Detektoren auf, wann das Licht wo und wie ausstrahlt. So erhalten wir Einsicht in die Zusammensetzung der Quasiteilchen, lernen deren Bewegungsmuster kennen, und können Rückschlüsse auf die daraus resultierenden Materialeigenschaften ziehen“ erklärt Chernikov, der für seine Arbeiten auf dem Gebiet der zweidimensionalen Halbleiterstrukturen 2018 den Heinz Maier-Leibnitz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erhalten hat.
„Wir schauen ganz genau hin, wie die gespeicherte Energie oder Information transportiert wird und was die Bewegung der Quasiteilchen begünstigt oder verhindert“, erläutert der Wissenschaftler. „Es gibt auch klare Unterschiede, ob die Teilchen alleine oder in Gruppen unterwegs sind und wie sie auf ihre unmittelbare Umgebung reagieren. Das ist manchmal fast so wie bei uns Menschen. Diese Forschung ist superspannend für mich. Einerseits, um grundlegende Vielteilchenphysik zu verstehen. Aber ebenso, weil zukünftige Informationstechnologien neue Materialien und Prozesse brauchen, die Bauteile kompakt, schnell und flexibel machen. In den ultradünnen Kristallen steckt viel Potenzial dafür.“
„Slow Motion“ für ultraschnelle Quasiteilchen
Kleinste Teilchen – wie einzelne Elektronen oder deren Verbünde als Quasiteilchen – bewegen sich sehr schnell durch ein Kristall, auf Zeitskalen von nur wenigen Picosekunden. Eine Picosekunde ist der Millionste Teil einer Millionstel Sekunde. Alexey Chernikov und sein Team verwenden daher optische Methoden, die diese ultraschnellen Prozesse so aufzeichnen, dass die Bewegungen der Quasiteilchen sichtbar werden. Weil diese Teilchen in Nanostrukturen stark miteinander agieren, entstehen neuartige kollektive Phänomene – beispielsweise die Ausbildung leuchtender, mikrometer-großer Ringe oder ganz ungewöhnliches Verhalten von Teilchenströmen, das sich nicht klassisch erklären lässt. „Auch wenn solche Effekte zurzeit vor allem bei extrem kalten Temperaturen beobachtet werden, arbeiten wir im Exzellenzcluster ct.qmat gemeinsam daran, diese exotischen Phänomene unter Alltagsbedingungen nutzbar zu machen – als Basis für revolutionäre Quantenchips und zukünftige technische Anwendungen“, ergänzt Clustersprecher Prof. Vojta.
Dresden als bisheriger Höhepunkt einer internationalen Karriere
„Ich freue mich schon sehr auf meine Arbeit im Exzellenzcluster ct.qmat. Der Forschungsstandort Dresden mit der engen Verbindung zu vier großen außeruniversitären Partnerinstituten sowie nach Würzburg bieten meinem Team und mir ein wirklich außergewöhnliches, spannendes Umfeld “ so Alexey Chernikov, der von 2016 bis 2021 an der Universität Regensburg eine Emmy Noether-Nachwuchsgruppe leitete und seit August 2021 in Dresden ist. Im vergangenen Jahr erhielt er für die Erprobung neuartiger Wege zur Kontrolle von Quantenzuständen in Nanostrukturen zudem einen ERC Consolidator Grant vom Europäischen Forschungsrat (ERC) mit Forschungsgeldern in Höhe von rund zwei Millionen Euro. Seine ersten Arbeiten zum Verständnis optischer Anregungen in atomar-dünnen Schichten entstanden an der Columbia University (New York, USA), wo er als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung von 2013 bis 2016 forschte. Die Doktorarbeit des diplomierten Physikers wurde von der Philipps-Universität Marburg mit Summa cum laude ausgezeichnet. Alexey Chernikov wurde in St. Petersburg/Russland geboren und kam mit 14 Jahren als Kind russisch-jüdischer Emigranten nach Deutschland. Er ist verheiratet und hat zwei kleine Kinder.
Ausblick
Zurzeit laufen die Vorbereitungen in den neuen Laboren von Prof. Chernikov am Institut für Angewandte Physik der TU Dresden auf Hochtouren. Hier sollen eine Reihe neuer Forschungsansätze und Experimente durchgeführt werden, um das Verhalten von Quasiteilchen unter Einwirkung hoher elektrischer und magnetischer Felder zu untersuchen, künstliche und hybride Nanostrukturen zu realisieren sowie neuartige Strategien zur Kontrolle von Lichtemittern zu erproben. Dazu lädt das Team interessierte Promotionsstudierende sowie erfahrene Postdocs für gemeinsame Projekte ein. Im Laufe des Jahres plant der 38-jährige Wissenschaftler auch die Betreuung von Bachelor- und Masterarbeiten sowie Lehrveranstaltungen.
Exzellenzcluster ct.qmat
Das Exzellenzcluster ct.qmat – Complexity and Topology in Quantum Matter (Komplexität und Topologie in Quantenmaterialien) wird seit 2019 gemeinsam von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und der TU Dresden getragen. Mehr als 270 Wissenschaftler:innen aus 33 Ländern und vier Kontinenten erforschen topologische Quantenmaterialien, die unter extremen Bedingungen wie ultratiefen Temperaturen, hohem Druck oder starken Magnetfeldern überraschende Phänomene offenbaren. Das Exzellenzcluster wird im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert.
Informationen für Journalisten:
Prof. Alexey Chernikov
Professur für Ultraschnelle Mikroskopie und Photonik
Tel.: +49 351 463-36439
Katja Lesser
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit Exzellenzcluster ct.qmat
Tel.: +49 351 463-33496