Sep 18, 2019
Prof. Dr. Müller-Steinhagen über das Potenzial des ZIS - Interview mit dem Rektor der TU Dresden
Im Interview spricht der Rektor Herr Prof. Müller-Steinhagen mit der IB-Bachelor-Studentin Saskia Heineken über den Studiengang Internationale Beziehungen (IB) und das Potential des ZIS.
Herr Prof. Dr.-Ing. habil. DEng/Auckland Hans Müller-Steinhagen ist seit August 2010 Rektor der Technischen Universität Dresden (TUD). Nach seinem Abschluss des Maschinenbaustudiums (Dipl.-Ing.) und seiner Promotion an der Universität Karlsruhe, war er an Universitäten in Kanada, Neuseeland und England tätig. Von 2000 bis 2010 leitete er in Personalunion das Institut für Technische Thermodynamik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt sowie das Institut für Thermodynamik und Wärmetechnik an der Universität Stuttgart. Unter seiner Leitung wurde 2012 der TUD das erste Mal der Titel der Exzellenzuniversität verliehen, den sie in diesem Jahr verteidigen konnte.
SH: Herr Prof. Müller-Steinhagen, 2010 kamen Sie als Rektor nach Dresden. Wie sind Sie erstmals mit dem Zentrum für Internationale Studien (ZIS) und dem Studiengang IB in Kontakt gekommen?
Mein erster inhaltlicher Kontakt mit dem ZIS und dem Studiengang war bereits vor meinem Amtsantritt als Rektor. Bevor ich nach Dresden kam, war ich mehrere Jahre im Nachhaltigkeitsrat von Baden-Württemberg tätig. Als ich mich dort in meiner letzten Sitzung verabschiedete, erzählte mir ein damaliger Staatssekretär, dass sein Sohn in Dresden Internationale Beziehungen (IB) studiere. Zu dem Zeitpunkt sagte mir der Studiengang noch nichts, weil ich natürlich nicht alle 127 Studiengänge der TUD kannte. Der Staatssekretär erzählte mit großer Begeisterung von dem Studiengang und wie toll sein Sohn das Studium finde, was er alles lerne und wie es konzipiert sei. Dieser vollkommen unerwartete Begeisterungssturm war schon toll.
SH: 1998 wurde der Studiengang Internationale Beziehungen initiiert. Seitdem hat er viele Veränderungen durchlaufen. An vielen renommierten Universitäten, insbesondere im angelsächsischen Ausland, sind interdisziplinäre Studiengänge zum Fachgebiet "International Relations" seit vielen Jahrzehnten etabliert und verzeichnen viele Bewerbungen und Studierende aus aller Welt. Warum sind solche interdisziplinären Studiengänge, v.a. im Bachelorbereich, in denen drei Kernfächer gleichberechtigt studiert werden, in Deutschland immer noch eine Seltenheit?
Welche Stärken und Schwächen sehen Sie in der interdisziplinären Struktur, die hier ab dem 1.Semester des Studiums (Bachelor und Master) durchgeführt wird?
Ich bin der Meinung, dass der Studiengang „Internationale Beziehungen“, den wir hier an der TU Dresden haben, ein äußerst erfolgreiches Konstrukt ist und einen enormen Mehrwert hat. Wir werden ihn auf jeden Fall weiterführen und ausbauen.
Ich war selbst siebzehn Jahre an Universitäten in Kanada, Neuseeland und England tätig. Im angelsächsischen System beobachte ich die Tendenz, dass Studiengänge sehr marktnah und mit spannenden Themen für Schülerinnen und Schüler konzipiert werden, um dadurch Studiengebühren einzunehmen. Hierbei besteht die Gefahr, dass die akademische Tiefe des Studiums zum Teil sehr leidet. Bei unseren Studiengängen wollen und dürfen wir nicht den Anspruch als Universität verlieren, Themen mit einer ausreichenden akademischen Tiefe zu behandeln. Diese verleiht den Absolventinnen und Absolventen wiederum Möglichkeiten, in der Zukunft mit ihrem Grundlagenwissen neue Themen intellektuell zu erschließen, Ansätze zu entwickeln und gleichermaßen in die Breite zu denken. Der Trend, die Ausbildung auf ein ganz enges Gebiet zu beschränken, ist -auch durch das Bachelor/Master-System- in Deutschland zu beobachten: es werden zu spezielle Studiengänge entwickelt. Gerade bei den kurzen Studiengängen mit nur sechs Semestern ist Vorsicht geboten, um zu verhindern, dass durch die Verbindung von drei oder vier Bereichen am Ende kein ausreichendes Grundlagenwissen da ist. In Deutschland ist die Befürchtung sehr stark ausgeprägt, dass durch sogenannte Bindestrich-Studiengänge die einzelnen Disziplinen so weit abgespeckt werden, dass die Studierenden am Ende weder das eine noch das andere beherrschen.
Bei den „Internationalen Beziehungen“ ist es der TU Dresden jedoch gelungen, drei Themen intelligent zu verbinden. Mit dem speziellen Portfolio dieses Studiengangs wurde ein neues Kompetenzportfolio erschlossen, das wiederum viele weitere Andockpunkte ermöglicht. Es ist eine ganz große Stärke des Studiums, dass mit IB eine generische Ausbildung erzeugt wurde, bei der von drei Fachdisziplinen Teilinhalte zusammengebracht und eine Schnittmenge erzeugt wurde. Ich hätte keinerlei Bedenken gehabt, es meinem Sohn zu empfehlen.
In Deutschland gibt es nicht viele Studiengänge wie IB, u.a. auch weil die stringente und unflexible Interpretation der Bologna-Richtlinien die Konzeption erschwert. Viele Hochschulen schrecken davor zurück, wirklich neuartige Studiengänge zu entwickeln, weil dies mit vielen Hürden, auch durch die Gesetzgebung und Akkreditierungsverfahren, verbunden ist. Nichtsdestotrotz gehe ich davon aus, dass wir zukünftig auch in Deutschland solche Studiengänge häufiger sehen werden, die hoffentlich dann auch so intelligent konzipiert sind. Dies ist vor allem wichtig, weil die Grenzen zwischen den akademischen Disziplinen, die zum Teil aus den Rahmenbedingungen von vor hundert oder zweihundert Jahren entstanden sind, verschwimmen. Es entstehen neue Qualifikationen, an die man vielleicht vor zehn oder zwanzig Jahren noch gar nicht gedacht hat, die aber heute einfach gebraucht werden. Im Augenblick verändert sich vieles ziemlich rasant und gerade deswegen wird sich viel zwischen den über die Fakultäten definierten Disziplinen verschieben und es werden sich neue Schnittstellen entwickeln.
SH: Bei der erfolgreichen Bewerbung und Verteidigung des Titels der Exzellenzuniversität war ein Schwerpunkt auch die fächerübergreifende Interdisziplinarität. Welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen sowie der Stärkung der interdisziplinären Forschungskapazitäten am ZIS sehen Sie? Wie können die Universität und das ZIS mit seiner Interdisziplinären Forschung voneinander profitieren?
Als Erstes sollte natürlich festgehalten werden, dass das ZIS ein integraler Bestandteil der Universität und keine eigenständige Organisationseinheit ist. Bei den verschiedenen Wissenschaften ist es wichtig, dass wir immer ein Aufeinanderzugehen fördern, weil vieles nur gemeinsam und fächerübergreifend erarbeitet und gedacht werden kann. Das ZIS ist eine zentrale wissenschaftliche Einrichtung, die direkt dem Rektorat zugeordnet ist. Dies ist der aktuelle Stand. Überlegungen dazu, ob dies die richtige Zuordnung ist oder ob eine andere Zuordnung denkbar ist, können sicherlich geprüft werden. Die Idee hinter unseren zentralen wissenschaftlichen Einrichtungen ist, übergreifende Themen innerhalb einer Einrichtung zusammenzufassen. Ob diese dann langfristig direkt dem Rektorat zugeordnet sind, hängt auch davon ab, ob die relevanten Disziplinen nicht einem Bereich zugeordnet werden können. Dadurch können Kommunikationswege und die Governance kürzer gestaltet werden. Bei dem ZIS ist das momentan nicht der Fall, weil die Wirtschaftswissenschaften dem Bereich „Bau und Umwelt“ zugeordnet sind, während die Rechtswissenschaften und Politikwissenschaften zum Bereich „Geistes- und Sozialwissenschaften“ gehören. Die Bereiche sind jedoch immer ein flexibles Umfeld und die Verortung aller wissenschaftlicher Einrichtungen wird immer hinterfragt werden müssen. Wir können keine Struktur mit bspw. 5 Bereichen, 18 Fakultäten und einer sehr großen Anzahl an zentralen wissenschaftlichen Einrichtungen haben. Aber dass das ZIS eine Entität sein muss, daran gibt es gar keinen Zweifel.
SH: Mit der Schließung der Juristischen Fakultät 2020 könnten Interessierte von einer zukünftigen Bewerbung davon abgehalten werden, weil sie eine Einschränkung in der juristischen Ausbildung und eine Ungleichheit der bisher gleichberechtigten Disziplinen befürchten. Die verbleibenden juristischen Professuren werden zwar im Bereich GSW an der Philosophischen Fakultät zusammengefasst/integriert. Wird hier nicht trotzdem mittel- bis langfristig mit Einschränkungen hinsichtlich der Lehre am ZIS oder gar der Eigenständigkeit des ZIS, die für die Aufrechterhaltung eines qualitativ hochstehenden interdisziplinären Lehrangebots und seiner stetigen Verbesserung/Anpassung an sich verändernde Gegebenheiten notwendig ist, zu rechnen sein?
Das Wichtige ist stets die Gleichberechtigung der Inhalte. Die Integration der an der TUD verbleibenden Professuren der Juristischen Fakultät in die Philosophische Fakultät bedeutet nicht, dass sich die Inhalte oder deren Bedeutung verschieben. Auch der Anteil der Lehrenden aus den einzelnen Themengebieten verschiebt sich dadurch nicht. Die Gefahr, dass zukünftige Bewerber abgeschreckt werden, besteht jedoch, zumindest in der Übergangsphase. Ich denke, dass diese Diskussion vielleicht einmal noch zum Zeitpunkt der endgültigen Schließung der Juristischen Fakultät hochkochen könnte. Für uns ist wichtig, dass wir die Rechtswissenschaften an der TU Dresden weiterhin auch klar strukturell und institutionell verankern. Nachdem 2004 der Freistaat, die Landesregierung, das Kabinett und der Landtag beschlossen, dass an der TU Dresden keine Juristen mehr ausgebildet werden sollen, hat die TUD versucht, mit der Einführung von Law in Context und Wirtschaftsrecht die Gesetzgebung etwas zu relativieren. Vor drei Jahren kam dann der Beschluss, dass auch diese beiden Studiengänge nicht mehr fortgeführt werden sollen. Damit verbunden ist zwangsläufig die Auflösung der Juristischen Fakultät, denn eine Fakultät ohne eigene Studiengänge hat keine Daseinsberechtigung.
Wir wollen weiterhin die für uns relevanten Teilgebiete der Rechtswissenschaften an der TU Dresden behalten, auch als eine strukturelle Entität, auch wenn wir zukünftig nicht den gesamten Fächerkanon der Rechtswissenschaften abbilden werden. Mein Wunsch ist ein Juristisches Institut, integriert in die Philosophische Fakultät. An diesem Institut wären vier oder fünf Professoren und Professorinnen tätig. Dabei werden wir beachten, dass wir die Professuren mit den für das ZIS relevanten Schwerpunkten weiterhin hier vor Ort verfügbar haben. Zahlreiche Vorlesungen wurden in der Vergangenheit ebenso wie heute von Honorarprofessoren und Lehrbeauftragten aus den Rechtswissenschaften gehalten. Die benötigten Inhalt werden wir komplett abdecken und sicherstellen, dass weiterhin hervorragende Lehrkräfte tätig sind.
Mit der Profilbildung der Geistes- und Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Kultur und gesellschaftlicher Wandel sehe ich eine große Überschneidung mit dem ZIS. Mit diesen besonderen wissenschaftlichen Themen können wir auch Juristen und Juristinnen gewinnen, die dazu forschen wollen. Das Juristische Institut wäre keine typische rechtswissenschaftliche Institution, wie wir sie an jedem größeren Standort in Deutschland finden, sondern ein an der TU Dresden fest etabliertes Institut, das sich den gesellschaftsrelevanten Herausforderungen einer sich dramatisch verändernden Gesellschaft stellt. Forschungsfragen wie der Besitz von patentierten Innovationen, die von künstlicher Intelligenz erzeugt werden oder die sich mit den rechtswissenschaftlichen Aspekten der Digitalisierung befassen, bieten tolle Möglichkeit, auch mit Studierenden anderer Disziplinen zusammenzuarbeiten. Ich glaube, dass wir dadurch das ZIS noch weiter stärken werden.
SH: Wie beurteilen Sie die Entwicklungschancen des ZIS und seines Studienangebots IB an der TU Dresden? Welchen Herausforderungen werden sich die IB und das ZIS in der Zukunft stellen müssen?
Was die Weiterentwicklung betrifft, sind wir konkret mit Professorinnen und Professoren des ZIS im Gespräch, inwieweit die Möglichkeit der Erhöhung der Studierendenanzahl möglich ist. Aufgrund der enormen Nachfrage beider Studiengänge, aber insbesondere im Bachelor, wäre eine Erhöhung – die natürlich mit einer Ressourcenverschiebung innerhalb der Universität verbunden sein muss – aus Sicht des Rektorats wünschenswert. Der Studiengang verzeichnet deutschlandweit und auch international eine tolle Reputation. Vor allem in der Forschung sehe ich noch viel Potential. Aktuell sieht es so aus, dass die einzelnen beteiligten Professoren Forschung auf ihrem Gebiet durchführen und es eigentlich keinen Unterschied macht, ob sie an ihren Fakultäten sind oder eben zusätzlich an dieser zentralen wissenschaftlichen Einrichtung. Ich glaube, dass der mögliche Synergie-Gewinn noch nicht ausgeschöpft ist und dass sich das ZIS dadurch zu einer deutlich stärkeren wissenschaftlichen Einheit entwickeln könnte.
SH: Möchten Sie den Lesern, den aktuellen Studierenden und Alumni, noch etwas mit auf den Weg geben?
Sie können sich alle sicher sein, dass das ZIS vom gesamten Rektorat sehr hoch geschätzt wird und dass das Rektorat das ZIS und den Studiengang als eine Perle in der Krone der TU Dresden sieht. Das ZIS steht für etwas sehr Besonderes an dieser Universität: die Bereitschaft, über disziplinäre und institutionelle Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten, erzielt einen großen Mehrwert.
Ich wünsche mir und hoffe, dass sich unsere Absolventen und Absolventinnen gerne an ihre Zeit an der TU Dresden erinnern, und als Botschafter der Universität weiterhin verbunden bleiben. Die TU Dresden hat sich erfolgreich auf einen sehr ambitionierten Weg gemacht. Das Rektorat ist stets gesprächs- und zuhörbereit. Seien Sie sich sicher, wir wünschen uns viel Interaktion und Zusammenarbeit.
Die Alumniarbeit ist ein weiterer Aspekt, den die TU Dresden in den kommenden Jahren enorm stärken muss. Die Fakultäten und Institute behalten natürlich den Kontakt zu ihren eigenen Alumni, aber im Hinblick auf die Corporate Identity ist der Ausbau der zentralen Alumniarbeit für die Gesamtuniversität von entscheidender Bedeutung.
Ich glaube, dass unsere Studierenden und Alumni am ZIS eine Universität haben, auf die sie stolz sein können.