18.09.2015
Erfolgreicher Auftakt der Vortragsreihe 70 Jahre Vereinte Nationen – Starke UNO, bessere Welt?
Anlässlich des 70-jährigen Bestehens der Weltorganisation organisiert die Forschungsstelle „Vereinte Nationen“ der juristischen Fakultät unter der Leitung von Prof. Dr. Thilo Rensmann in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Vereinte Nationen eine Veranstaltungsreihe unter dem Generalthema „Starke UNO, bessere Welt?“. Renommierte Praktiker und Wissenschaftler nehmen in insgesamt fünf Vorträgen das Wirken der Organisation in ihren verschiedenen Arbeitsbereichen in den Blick.
UNO: unvollkommen, reformbedürftig, aber unverzichtbar
In der Auftaktveranstaltung am 24. November 2015 würdigte Prof. Dr. Johannes Varwick, Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität-Halle-Wittenberg, die Rolle der Vereinten Nationen in der internationalen Politik.
In seinem Vortrag beleuchtete Prof. Varwick die Leistungsfähigkeit der Vereinten Nationen, stellte Reformoptionen und deren Realisierungschancen vor und diskutierte die zukünftige Rolle der UN. Die Aufgaben der UNO seien vielseitig, sie umfassten die Sicherung des Weltfriedens, den Schutz der Menschenrechte, die Weiterentwicklung des Völkerrechts sowie die Förderung der Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Entwicklung und Umwelt. Dabei besitze die Organisation zwar umfangreiche Handlungsmöglichkeiten, dennoch bliebe die UNO als intergouvernementale Organisation vom Willen ihrer Mitgliedstaaten abhängig.
Prof. Varwick attestierte der Weltorganisation unverkennbaren Reformbedarf: viele Bestimmungen der UN-Charta seien überholt, die Arbeit der Generalversammlung umständlich und zeitraubend, normative Neuerungen kaum möglich und die Zusammensetzung des Sicherheitsrates sowie das Vetorecht seiner ständigen Mitglieder umstritten. Die Hürden für Reformen seien allerdings hoch, allen voran die unterschiedlichen Interessen der Mitgliedstaaten und die Änderungsvorschriften der UN-Charta selbst. Prof. Varwick zog daher ein recht nüchternes Fazit, was deren Realisierungschancen betrifft.
Ähnlich nüchtern bewertete er auch die zukünftige Rolle der Vereinten Nationen. Am wahrscheinlichsten sei, dass die UNO so blieben, wie sie heute sind: unvollkommen und reformbedürftig, aber dennoch unverzichtbar. In seinem Fazit machte Prof. Varwick deutlich: Überzogene Erwartungen seien fehl am Platz, es gelte dagegen, die politischen Realitäten stärker zu berücksichtigen. Man könne von der UNO keine Leistung verlangen, zu der sie strukturell nicht in der Lage sei. Kritisch hinterfragte er, ob man unter den derzeitigen Voraussetzungen das Eingreifen in bewaffnete Konflikte und Maßnahmen zur Friedenssicherung allein von der Beschlussfassung im Sicherheitsrat und damit von den Interessen der Veto-Mächte abhängig machen könne.
Erfolge und Enttäuschungen in der Entwicklungszusammenarbeit
Einer Bilanz der Anstrengungen der Vereinten Nationen in der Entwicklungszusammenarbeit widmete sich Gabriele Köhler am 2. Dezember 2015 im zweiten Vortrag der Reihe. Die Referentin, Senior Research Associate am UN-Forschungsinstitut für soziale Entwicklung (UNRISD), war selbst 27 Jahre in Asien und Europa als Entwicklungsökonomin für die UNO tätig und konnte damit in ihrem Vortrag aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen.
Was ist bisher erreicht worden in der UN-Entwicklungszusammenarbeit? Worüber ist man enttäuscht und wo will man eigentlich hin? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des Vortrages von Frau Köhler. Anhand eines historischen Überblicks zeigte sie auf, wie sich das entwicklungspolitische Engagement der UNO in den vergangenen 70 Jahren immer wieder an veränderte Gegebenheiten angepasst und weiterentwickelt habe. Seit den 1960er Jahren setzt die UNO mit sogenannten „Entwicklungsdekaden“ immer wieder besondere Schwerpunkte für die weltweite Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Entwicklung. Darin spiegelten sich stets auch unterschiedliche volkswirtschaftliche Theorien und Modelle von „Entwicklung“ sowie die gewandelten geopolitischen Ausgangsbedingungen. Einen wichtigen Meilenstein stellten die im September 2015 von der UN-Generalversammlung beschlossenen „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ (Sustainable Development Goals, SDGs) dar, da diese erstmals entwicklungs- und umweltpolitische Ziele zusammenführten.
Obwohl es durchaus Positives und einige Errungenschaften gäbe, sei man von der Erreichung der in der UN-Charta dargelegten Ziele noch weit entfernt: Eine Welt, in der internationale Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art gelöst und die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied möglich ist. Die Grundherausforderungen – massive und akute Armut weltweit, Ungleichheit in Einkommen und Vermögen sowie Macht, Geschlechter- und Klimaungerechtigkeit – bestünden weiter. Zudem sei das UN-System zerklüftet und drastisch unterfinanziert. Trotz des Überflusses in der Welt sei es in den vergangenen 70 Jahren nicht gelungen, alle gleichberechtigt daran teilhaben zu lassen. Ökonomischer Reichtum gleichberechtigt für alle, soziale Gerechtigkeit, Geschlechtergleichberechtigung und politische Inklusion – um dies alles zu verwirklichen, müsse sich die Welt samt UNO stärker anstrengen.
Weitere Termine der Vortragsreihe, zu der alle Interessierten herzlich eingeladen sind (jeweils 18:30 Uhr, Von-Gerber-Bau Raum 37):
16.12.2015: Die UN-Klimaverhandlungen aus der Sicht des Völkerrechts, Vortrag von Prof. Dr. Dirk Hanschel, Universität Halle
13.01.2016: Die Friedenssicherung der UN - Herausforderungen und Chancen, Vortrag von Dr. Ekkehard Griep, ehem. VN-Sekretariat (DPKO)
28.01.2016 (Achtung: Termin muss leider ausfallen): Die Ergebnisse des UN-Gipfels für nachhaltige Entwicklung, Vortrag von Stephan Contius, Ministerialrat, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Text: Marie Winter und Franziska Knur
Fotos: Ulrike Will und Constanze Zahm