22.06.2009
Interdisziplinärer Workshop: Auslandseinsätze der Bundeswehr
Auslandseinsätze der Bundeswehr
Sie operieren im Kosovo genauso wie in Kabul, sind seit der Wiedervereinigung in den unterschiedlichsten Missionen weltweit tätig: Deutsche Streitkräfte sichern u.a. den Frieden auf dem Balkan und die Wahlen im Kongo, überwachen den Seeraum vor der libanesischen Küste, unterstützen den demokratischen Staatsaufbau in Afghanistan, bekämpfen Piraten im Golf von Aden, beteiligen sich an Kampfeinsätzen im Rahmen humanitärer Interventionen und der internationalen Terrorismusbekämpfung.
Die neuen, zahlreichen Herausforderungen für die Bundeswehr im Visier, widmete sich am 22. Juni 2009 einen Tag lang ein vom Zentrum für Internationale Studien (ZIS) und der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen veranstalteter interdisziplinärer Workshop der Thematik „Auslandseinsätze der Bundeswehr“. Unter Leitung von Prof. Ulrich Fastenrath diskutierten Experten aus Wissenschaft und Praxis über die rechtlichen und politischen Voraussetzungen, militärischen Notwendigkeiten und operativen Fähigkeiten, zivil-militärischen Kooperationen und das deutsche Engagement innerhalb von UN-Friedensmissionen.
Der erste Themenkreis, eingeleitet von Sascha Lange von der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), beschäftigte sich mit den politischen und situativen Rahmenbedingungen von Einsätzen der Bundeswehr. Anhand der ESVP-Operation EU NAVFOR ATALANTA erklärte Brigadegeneral Dieter Warnecke sodann, wie im konkreten Fall die Einsatzplanung und –führung im BMVg und bei der Truppe abläuft. Diesen Beitrag ergänzte Ministerialrat Andreas Conradi, ebenfalls Mitglied des BMVg, durch eine Analyse der Rechtsgrundlagen der Anti-Piraterie Mission.
Die völker- und verfassungsrechtlichen Grundlagen wurden im zweiten Abschnitt des Workshops von Prof. Stefan Oeter (Universität Hamburg) und Dr. Tina Roeder (TU Dresden) vertieft. Schnell zeigten sich Meinungsverschiedenheiten in der Diskussion hinsichtlich des Umgangs mit festgesetzten Piraten, so dass die Spannung zwischen Erfüllung des militärischen Auftrags einerseits und der (internationalen oder deutschen) Strafverfolgung andererseits deutlich wurde. So ist fraglich, wer die festgesetzten Piraten strafrechtlich verfolgen kann und vor allem welcher Staat die Piraten seiner eigenen Gerichtsbarkeit unterwerfen will. Die entscheidende Frage lautet, wo der militärische Einsatz endet und der strafrechtliche Prozess beginnt.
Die Reichweite der strafrechtlichen Verfolgung von Verstößen eigener Soldaten bei Auslandseinsätzen bildete einen weiteren Diskussionsschwerpunkt. Begehen Soldaten bei Einsätzen im Ausland Menschenrechtsverletzungen oder andere Verstöße, liegt die strafrechtliche Verantwortung beim jeweiligen Entsendestaat, da die Soldaten im Einsatzgebiet Immunität genießen. Dr. Wolfgang Heinz vom Deutschen Institut für Menschenrechte berichtete, dass sich in einigen Fällen die Entsendestaaten uninteressiert zeigten, gegen ihre eigenen Soldaten vorzugehen und damit viele Straftaten im Kongo, in Liberia und in Sierra Leone ungeahndet blieben.
Auf der anderen Seite steht die deutsche Staatsanwaltschaft vor dem Problem, Vorfälle untersuchen zu müssen, die sich im weit entfernten Afghanistan abspielten, so dass sie wie im Fall der drei durch eine Bundeswehr-Patrouille getöteten Zivilisten nur die Mittel der Rekonstruktion statt einer eigenen Ermittlung vor Ort hat. Hier wurde schnell deutlich, dass in dieser Frage noch erheblicher nationaler und internationaler Handlungsbedarf herrscht. „Die Truppe marschiert aufgrund politischer Vorgaben vor, der Rechtsstaat muss hinterher“, so Michael Henjes, Vorsitzender des Arbeitskreises Rechtsberaterstabsoffiziere.
Der dritte und zugleich letzte Abschnitt des Workshops behandelte schließlich die militärische Unterstützung und Absicherung des staatlichen Wiederaufbaus. Über die zivil-militärische Kooperation bei Entwicklungsprojekten am Beispiel Afghanistans referierte aus wissenschaftlicher Perspektive Michael Marty von Militärakademie an der ETH Zürich und aus Sicht der Entwicklungszusammenarbeit Martin Kipping, Referent im Referat Afghanistan des Bundesministeriums für Zusammenarbeit (BMZ), der selbst bis Oktober 2008 in Kabul für das BMZ tätig war. Einig waren sich die Referenten, dass die unterschiedlichen Ziele beim zivil-militärischen Wiederaufbau zu einer Stabilisierungsproblematik führen können. Ist es einerseits das Ziel der zivilen Partner zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen, besteht daneben die Absicht des Militärs in der Force Protection.
Zusammenfassend spannte am Ende Ekkehard Griep, Vorstandsmitglied der DGVN den Bogen vom Einsatz der Bundeswehr hin zu den UN—Friedensoperationen. Griep betonte, wie wichtig es für Deutschland sei, sich bei den verschiedenen UN-Peacekeeping Missionen zu beteiligen. Auch wenn die Bundeswehr in einigen UN-Missionen nur mit geringem Personal vertreten sei, erlaubt dieses Minimum Deutschland als einem der Truppen stellenden Länder in allen Gremien mitzuwirken und somit den politischen Prozess zu beeinflussen.
Im Nachgang zu diesem Workshop lässt sich resümieren, dass das Besondere an diesem Format der offene Diskurs zwischen Experten aus der Wissenschaft und dem Militär war. Es ist sehr positiv zu bewerten ist, wie aufgeschlossen sich das BMVg einem so intensiven Gedankenaustausch zeigte. Die Fragen, die sich durch die vielfältigen Auslandseinsätze der Bundeswehr ergeben, können weder rein praktisch noch rein rechtlich gelöst werden.
Katja Weigelt, kommissarische Geschäftsführerin des ZIS