Feb 01, 2019
Zur Erinnerung an Prof. Jürgen Schieferdecker (1937–2018)
Zur Erinnerung an Prof. Jürgen Schieferdecker (1937–2018).
Gwendolin Kremer
Prof. Niels-Christian Fritsche
Jürgen Schieferdecker wurde 1937 in Meerane bei Altenburg im Chemnitzer Land geboren und studierte von 1955 bis 1962 unter anderem bei dem Maler Georg Nerlich und dem ebenfalls erst kürzlich verstorbenen Konstruktivisten Karl-Heinz Adler Architektur an der TU Dresden. Im Anschluss war er für über zehn Jahre als freier Architekt, Maler, Grafiker und Objektkünstler tätig, bis er 1975 – mit 38 Jahren – wieder an die Sektion Architektur zurückkehrte: In der Doppelposition des Sekretärs, später dann des Leiters des Künstlerischen Beirates sowie als außerplanmäßiger Professor für Bildnerische Lehre an der TU Dresden. Dort lehrte er von 1993, zwanzig Jahre lang, bis 2003.
Wir werden nicht vergessen, wie sich Jürgen Schieferdecker als Kurator, als Vorsitzender des Künstlerbundes Dresden im Bundesverband Bildender Künstler BBK und als Mitglied in stipendiengebenden Organisationen wie dem Kunstfonds des Freistaats Sachsen um Ausstellungsmöglichkeiten sowie Atelier und Aufenthaltsstipendien für (junge) Künstler einsetzte.
Seine Zeichnungen, Gemälde und dreidimensionalen Objekte befinden sich im Kunstbesitz der TU Dresden, im Kunstfonds, der Galerie Neue Meister oder der Skulpturensammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sowie in weiteren namhaften nationalen und auch internationalen Museen und Sammlungen.
Jürgen Schieferdecker war Künstler mit Architekturhintergrund. Er wanderte von den frühen, akademisch durchgemalten Ölbildern voller so genannter »Werkspur«, pastosem Auftrag und dominantem Holzrahmen weg zum symbolistischen und surrealistischen Darstellen. Jürgen Schieferdecker interessierte sich für Zeichen, Bedeutungen und Zitate. So kann er einerseits 1984 die ikonische Stahlplastik »Mast mit zwei Faltungszonen« von Hermann Glöckner an der Ecke Fritz-Förster-Platz und Bergstraße an den Campus der TU Dresden holen. Andererseits wurde Schieferdecker unter denkwürdigen Umständen zum künstlerischen Urheber des geliebt-verfluchten TU-Schrauben-Logos, »von Wolfgang Strahl und Sven Geise gestalterisch präzisiert und modifiziert« (siehe Dresdner Universitätsjournal 2/2003, Seite 3).
Jürgen Schieferdecker gelang das Kunststück der anerkannten Subversion in der DDR. Die Kunstwissenschaftlerin Reinhild Tetzlaff vermutete, dass er als eine Art »Scharlatan« geführt wurde, dem man 1977 in der zuordnungserpichten DDR die Mitgliedschaft im Verband Bildender Künstler zugestand. Das sollte sich fachlich schnell als hyperrichtig herausstellen: 1983 – da war Jürgen Schieferdecker Mitte Vierzig – erwarb das Kupferstich-Kabinett in Dresden sein druckgrafisches Gesamtwerk. Schon 1979 erhielt Jürgen Schieferdecker auf der elften Biennale in Tokyo den Preis des »National Museum of Modern Art«.
Wie das? 1978 hatte Jürgen Schieferdecker eine Überfigur der Kunst in die DDR zu transportieren versucht, den durch seine »DDR-Tüten« sowie durch die »Honigpumpe« auf der documenta 6 aus dem Jahr 1977 kanonisierten Düsseldorfer Künstler Joseph Beuys: Klar, dass den Juroren des Preises Schieferdeckers Fotolithografie »Beuys macht Licht« gefallen hat: Ein aus einer Art offener Fernseher-Rückwand sich beugender, dabei jedoch bildlich flächig dargestellter Beuys wedelt mit einem durch den Zeichengrund gestoßenen, plastisch-schattenwerfend dargestellten Kopfhörer-Walkman, ein perfekt verräumlichender Grafik und Superzeichen-Illusionismus der späten 1970erJahre. Andererseits emanzipierte sich Jürgen Schieferdecker mit Beuys von seinem ursprünglichen »Fernlehrer« Max Ernst, dem deutschen Surrealisten, der 1976 gestorben war. Dazu hatte Schieferdecker im Orwell-Jahr 1984 die »Heimkehr des Elefanten Celebes« mit dem Untertitel »für Max Ernst« vor dem Willers-Bau platziert. Erst nach 1989/90 lüftete Schieferdecker offiziell den Titel mit Bezug zu Max Ernst für seine dadaistische Installation, die bis dato als »Ulbrichtsche Kugel« bekannt war.
Eine Konstante im Werk: Die dominanten Holzrahmen. Vormals als in den Reproduktionen durchaus herausretuschierbare Accessoires Teile seiner werkspurlichen Ambitionen, werden die Rahmen erst zu Rahmenkaskaden – ein Rahmen im Nächsten und so weiter – dann später zu vollmundigen Assemblagen, die an Beuys vorbei auf Max Ernst zurückzuzielen scheinen. Alles wird auf alles geklebt, geschraubt und geknotet, bis dahin, dass auch der für Max Ernst quintessentielle Vogel immer wieder auftaucht, wahlweise als zu erhängender Hahn, als gegeißelter Adler oder als zu geißelnder Adler, oder auch als faschistoid geflügeltes Reichsbahn-Rad.
Schieferdecker fängt die rabiaten Symbolismen der 1980erJahre mit raffinierten druckgrafischen Ambitionen auf – seine zentrale künstlerische Leistung: Hier die evidente Symbolkraft, dort die druckgrafische Verführung zu Schichten, Überdruckereien, Sütterlin-Typografie und handschriftlicher Notiz als »fortgesetzte Einmischung«, wie es das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig zu einer Schieferdecker-Ausstellung 2008 benannte.
Die tiefe DDR-Lust, den politischen Schlendrian an der Nase zu kitzeln, konnte sich Jürgen Schieferdecker auf bewundernswerte Weise bis zum Schluss erhalten. Er entwarf das Gedenk-Bild für den »gemütlichen Sachsen« Jorge Gomondai, der Mitte der 1980erJahre als »Vertragsarbeiter« aus Mozambique in die DDR gekommen war und 1991 am Albertplatz in Dresden von Skinheads aus der Straßenbahn in den Tod getreten wurde. Schieferdecker collagierte seinen Hass auf den ersten Golf krieg 1991, adressierte Assemblagen an seine eigenen Stasi-Protokollanten und griff unter dem Titel »Von der Klugheit der Bilder« nur scheinbar ehrerbietend nach Gerhard Richter, der globalisierten malerischen Überfigur aus Dresden.
Jürgen Schieferdecker stellte sich immer auch selbst aus: Aus der selbstsicheren Wolf-Biermann-Physiognomie – und frei nach dessen Maxime: »Nur wer sich ändert, bleibt sich treu ...« – wurde ein sich immer noch gern selbst darstellender, jedoch auch selbst ironisierender Zeitgenosse. Seine »Physiognostischen Studien« genügen sich als Laserdruck, bekommen dabei nach dem Motto ›Passepartout macht Kunst im Nu‹ einen braunen Rand, und – dazu muss man dann recht nah an die Verglasung herantreten – ein kleines rotgüldenes Siegelchen auf diesem braunen Grund, mit – ja, was ist da zu lesen? – die »T-e-c-h-n-i-s-c-h-e U-n-i-v-e-r-s-i-t-ä-t D-r-e-s-d-e-n«.
Im Juni 2018 wurde Jürgen Schieferdecker der Kunstpreis der Landeshauptstadt Dresden verliehen. Gwendolin Kremer, Schieferdeckers Nachfolgerin im Kunstbesitz der TU Dresden, fragte den Preisträger nach der Schnittstelle von eigener künstlerischer Praxis und übergeordneten Themen der Gesellschaft: »Ungeachtet politischer Systeme, ob in der DDR oder nach der Wende 1989/90, habe ich mich mit den drängenden Fragen der jeweiligen Gegenwart auseinandergesetzt und dazu Stellung bezogen. Damit macht man sich nicht unbedingt beliebt, aber das war mir egal. (...) Ich habe nie zurückgesteckt, mein Wort hatte in der Sache Gewicht, man musste Mut und auch `nen Arsch in der Hose haben, ich hab` meine Meinung gesagt. Mir ging es einfach um die Sache, um die künstlerische Arbeit.«
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 02/2019 vom 29. Januar 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.