18.03.2019
Hochkarätige abstrakte und konstruktivistische Arbeiten
Auch die Bienert-Villa in der Würzburger Straße 46 war in den 1920er-Jahren ein Treffpunkt von Künstlern und Architekten der internationalen Avantgarde
Tanja Scheffler
In Dresden traf sich während der Ära der Weimarer Republik die Avantgarde Europas. Dabei war die damalige Villa von Erwin und Ida Bienert in der Würzburger Straße 46, heute ein Institutsgebäude der TU Dresden, ein wichtiger Anlaufpunkt der Künstler des sowjetischen Konstruktivismus, der niederländischen De Stijl-Bewegung und des Bauhauses. Dies wird im Albertinum in einer umfangreichen Ausstellung mit vielen hochkarätigen abstrakten und konstruktivistischen Arbeiten näher beleuchtet. Dabei sind auch Meisterwerke von Piet Mondrian, El Lissitzky, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Lyonel Feininger, László Moholy-Nagy und Oskar Schlemmer zu sehen.
Die in Dresden-Plauen ansässige Mühlen- und Bäckereibesitzerfamilie Bienert engagierte sich bereits seit dem späten 19. Jahrhundert im sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Bereich. Theodor Bienert, einer der Söhne des Firmengründers, stiftete der TH Dresden 1922 ein Grundstück an der Mommsenstraße zur Errichtung eines Studentenhauses, der späteren »Alten Mensa«. Dafür wurde er zum Ehrensenator der Hochschule ernannt. Ida Bienert (1870–1965), die Ehefrau seines Bruders Erwin, eignete sich als Gasthörerin an der TH ein umfassendes kunsthistorisches und –theoretisches Wissen an, knüpfte anschließend vielfältige Kontakte zur lokalen Kulturszene und begann – mit dem finanziellen Rückhalt ihres Mannes – eine der umfangreichsten Privatsammlungen moderner Kunst anzulegen, indem sie viele damals noch nicht allgemein anerkannte Künstler durch Ankäufe unterstützte. Diese Arbeiten machte sie in verschiedenen Kunstausstellungen auch der Öffentlichkeit zugänglich.
Parallel dazu unterhielt Ida Bienert in der Familienvilla in der Würzburger Straße 46, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Villen Heinrich und Lisa Arnolds sowie des Kunsthistorikers Cornelius Gurlitt (ehemaliger Professor und Rektor der TH), einen halboffenen Salon, der nach dem Ersten Weltkrieg zu einem wichtigen geistig-kulturellen Zentrum der Dresdner Gesellschaft aufstieg. Hier trafen sich neben Hochschullehrern und Professoren wie Hans Poelzig (siehe Universitätsjournal 20/2016) auch viele Architekten und Künstler des Bauhauses wie Walter Gropius, Paul Klee und Wassily Kandinsky. Die Tänzerin Gret Palucca, zeitweise Ehefrau von Ida Bienerts Sohn Friedrich (Fritz) Bienert, inspirierte Kandinsky zu völlig neuen Arbeiten.
Ende 1925 beauftragte Ida Bienert den damals in Paris lebenden niederländischen Künstler Piet Mondrian mit der Ausgestaltung eines Wohnraums der Familienvilla. Sein ganz in der Linie der De Stijl-Bewegung stehender Entwurf für ihr Damenzimmer zeigte eine völlig neue Raum- und Kunstauffassung, wurde später jedoch nicht verwirklicht. Mondrians Pläne (1926) dazu begeistern in der Ausstellung aber bereits von ihrer graphischen Darstellung her als eigenständige Kunstwerke. Im gleichen Jahr wurde auch El Lissitzky aus Moskau nach Dresden eingeladen und entwarf für die Internationale Kunstausstellung einen spektakulären, durch Fotoaufnahmen dokumentierten Demonstrationsraum für abstrakte Kunst (1926), der die traditionellen Sehgewohnheiten des Publikums auf die Probe stellte, indem er durch verschiebbare Lochbleche die Möglichkeit bot, eine wechselnde Auswahl der präsentierten Gemälde sichtbar werden zu lassen. Dieser 36 Quadratmeter große Raum wurde für die aktuelle Ausstellung nachgebaut und mit vergleichbaren abstrakt-konstruktiven, größtenteils aus dem Ausland (von der Tate in London bis zur Staatlichen Tretjakow-Galerie in Moskau) ausgeliehenen Original-Werken dieser Zeit bestückt. Denn die meisten der damals ausgestellten Arbeiten wurden später zerstört (»entartete Kunst«), gelten heute als verschollen oder aber sind zu fragil, um sie zu transportieren.
Ida Bienerts ausgelagerte Sammlung überstand weitestgehend unbeschadet den Zweiten Weltkrieg. Sie wurde von ihr später jedoch zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes nach und nach verkauft. Dadurch gelangten viele der Arbeiten in internationale Kunstmuseen oder aber den Besitz von Privatsammlern. Die Familienvilla wurde durch Bomben beschädigt, konnte später aber wieder instand gesetzt werden. Hier wird demnächst das Barkhausen Institut einziehen.
Ausstellung:
Zukunftsräume – Kandinsky, Mondrian, El Lissitzky und die abstrakt-konstruktive Avantgarde in Dresden 1919–1932; Ausstellung im Albertinum, Tzschirnerplatz 2, 01067 Dresden, bis zum 2. Juni 2019, Die.–So., 10–18 Uhr.
Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen, der im Albertinum zu einem Sonderpreis erworben werden kann: Museumsausgabe 26 Euro, Buchhandelsausgabe 48 Euro.
Einmalige Zusatzveranstaltung »Mondrian und Bauhaus in der Villa Bienert«: Am Donnerstag, 9. Mai 2019 findet um 18.30 Uhr eine Architekturführung durch die Villa in der Würzburger Straße 46 statt. Diese ist im Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen dem Barkhausen Institut, den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und der TUD-Kustodie mit einer virtuellen Darstellung des Mondrian- Zimmers gekoppelt, bei dem der Entwurf vor Ort projiziert wird. Zusätzlich wird der Dokumentarfilm »Im Atelier von Mondrian« (2010) von François Lévy-Kuetz gezeigt.
Weitere Informationen dazu: https://barkhauseninstitut.org/news/pr
Dieser Artikel ist im Dresdner Universitätsjournal 05/2019 vom 12. März 2019 erschienen. Die komplette Ausgabe ist hier im pdf-Format kostenlos downloadbar. Das UJ kann als gedruckte Zeitung oder als pdf-Datei bei doreen.liesch@tu-dresden.de bestellt werden. Mehr Informationen unter universitaetsjournal.de.