Gestaltungslehre – Versuch einer Ortsbestimmung
Gestaltungslehre – Versuch einer Ortsbestimmung
Senior Fellowship, Technische Universität Dresden, Seminar und Projekt, 2019
Prof. Dr. Henning Haupt
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Die Phänomene der historischen Gestaltungslehre basieren auf der Idee der Möglichkeit einer Objektivierung unserer Wahrnehmung. Die aktuelle Kognitionsforschung stellt diese Objektivierung in Frage. Unsere Wahrnehmungsmuster sind abhängig von den sich ändernden Informationen unserer Umwelt, einschließlich unserer Handlungsweisen. Sie sind außerdem durch das bestehende Wissen bestimmt, das nur durch die dem Menschen eigenen Fähigkeit der Wahrnehmung entstanden ist. In den umfassenden Forschungen zu Farbe in der Gestaltung ist die Entwicklung einer Ontologie der Farben bisher nicht entstanden, da die Zugehörigkeit von Farbforschung nicht auf den Bereich der physikalischen, technischen, physiologischen, psychophysischen oder ästhetischen, also auf entweder natur- oder geisteswissenschaftliche Betrachtungsweise reduziert werden kann. Um Architektonik, den künstlerischen oder geistigen Aufbau der Gestaltung von Räumen für Menschen, im Feld dieser sich verändernden Paradigmen zu unterrichten, ist eine zeitgemäße, kritische, interdisziplinäre Ortsbestimmung der Gestaltungslehre notwendig.
Unser Ansatz für die Gestaltung ist es, den Menschen als Wesen zu verstehen, das seine äußere Umwelt rational einordnen und reflektieren, aber auch physisch und leibsinnlich aktiv wahrnehmen kann. Beispiele künstlerischer Forschung zeigen, wie unterschiedliche praktische, phänomenologische und wissenschaftliche Ansätze mit ihren Methoden in experimentellen Prozessen vereint, zu Erkenntnissen führen können. Bei dieser Vorgehensweise wird der „erweiterte“ (konkrete, soziologische, theoretische) Kontext der Kunst genutzt, der durch die Bearbeitung, z. B. in Form eines Projektes, auch selber hinterfragt wird. Künstlerisch–architektonische Forschung kann beides: die leibsinnliche Wahrnehmung mit rationalem Wissen vereinen. Um sich der wissenschaftlichen Mehrdeutigkeit von Gestaltung zu nähern, braucht es Konzepte und Vorgehensweisen, die wissenschaftlich vagen oder komplexen Begriffen wie Atmosphäre und kulturelle oder persönliche Kodierungen nicht ausweichen, sondern sie semantisch hinterfragen und ggfs. auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse stützen. So können die Systematisierungen von Farben, im Grunde Verwissenschaftlichungen allgemeiner menschlicher Erfahrungen sowie Gestaltgesetze oder Konventionen in einen Kontext gestellt und für nachhaltige Ansätze genutzt werden. Gestaltung kann die Schwelle von der Bestätigung des Bekannten in zukunftsweisende Möglichkeiten überschreiten. Die Nachhaltigkeit einer solchen Gestaltung liegt in ihrem Bezug zu einem inhaltlichen Thema, der Verwendung eines Materials oder Herstellungsprozesse oder der Verortung in aktuelle soziologische und politische Zusammenhänge.