Nov 04, 2022
Von Crowd Data und digitalen Zwillingen
Die Arbeit an Modellen für die Stadt ist vielschichtig. Eine integrierte Stadtentwicklung basiert auf offenen Planungsprozessen, die Akteurinnen und Akteure aus Verwaltung, Politik, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und dem privaten Sektor gemeinsam gestalten. Ein solcher Planungs- und Beteiligungsprozess ist dabei besonders wirkungsvoll, wenn er im Kern drei Aspekte berücksichtigt: Die Beteiligung startet in einer frühen Phase der Planung, unterschiedliche Zielgruppen werden adressiert und der gesamte Prozess wird zugänglicher gestaltet. Während der Covid19-Pandemie wuchs die Bedeutung digitaler Tools und Plattformen immens, sodass trotz der Kontaktbeschränkungen weiterhin Kommunikation und Zusammenarbeit möglich blieben.
Im Zuge dessen wurden Mehrwerte und Grenzen digitaler Lösungen sichtbar. Versteht man Digitalisierung als ein unterstützendes Werkzeug, treten mehrere Fragen auf: Inwiefern können Daten, digitale Anwendungen oder Technologien zu offenen und kollaborativen Planungsprozessen beitragen? Sind digitale Lösungen dabei lediglich eine Ergänzung herkömmlicher Beteiligungsinstrumente? Oder bringt die Digitalisierung neue Praktiken der Teilhabe hervor? Im Folgenden werden digitale Praktiken und Tools umrissen, die die Beteiligungsziele der Frühzeitigkeit, der Kollaboration und der Transparenz unterstützen können.
Kollaboratives Mapping
In klassischen Entwurfsprozessen führt vorrangig die Interpretation des Ortes durch die Planenden zu den Entwurfsentscheidungen. Demgegenüber bilden in kollaborativen Prozessen die Ortskenntnisse und Perspektiven von Vielen die Ausgangslage planerischer Überlegungen. Eine beliebte digitale Methode ist dabei das Crowdsourcing von Daten. Hier sammelt eine Gruppe von Menschen für ihr Anliegen in eigener Regie relevante Daten (Crowd Data) und schafft so eine gemeinsame Wissens- und Argumentationsgrundlage.
Das Crowdsourcing zum Entwurfsgebiet kann einen tieferen Einblick in dessen gelebte Realität bieten und erzählt seine Geschichte aus erster Hand. Analoge Planungswerkzeuge wie Akteurs-Spaziergänge oder Vor-Ort-Installationen werden hier vor allem durch Mapping-Anwendungen unterstützt. Auf digitalen Karten markieren Ortskundige ihre Lieblingsplätze, für sie wertvolle Gebäude und Nutzungen, nachbarschaftliche Akteure oder problembehaftete Orte und machen so ihre Wahrnehmungen zugänglich. Für diese erste Phase der Planung entwickelte die Stadt Hamburg und das CityScienceLab der HafenCity Universität große Touchscreen-Tische und andere Eingabegeräte, die bei Veranstaltungen eine digitale Eingabe von Wissen und Ideen zu Orten auf Karten und Luftbildern ermöglichen.
Melanie Humann und Christoph Walther vom Planungsbüro Urban Catalyst GmbH in Berlin erforschen, wie die Digitalisierung zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung beitragen kann. Sie beraten Kommunen zu Smart-City-Ansätzen und koordinieren seit 2020 u. a. den Wissenstransfer der Smart-City-Modellprojekte des Bundes.
Raum gemeinsam denken
Während in der Grundlagenermittlung die Datenerfassung eine wesentliche Rolle spielt, unterstützen vor allem digitale Anwendungen und neue Visualisierungsmöglichkeiten die gemeinsame Arbeit an räumlichen Lösungen. Spielerische Ansätze setzen dabei auf bereits etablierte Software wie beispielsweise das Open-World-Spiel Minecraft. Anstelle einer fiktiven Spielwelt entwickeln Jugendliche in begleiteten Workshops Ideen und neue Räume für das eigene Quartier. Einen Schritt weiter gehen Augmented- und Virtual-Reality-Tools, die räumliche Planungen in den Stadtkontext setzen und somit ihre Anschaulichkeit erhöhen. Dies macht sie so auch für Laien einschätzbarer.
Großes Potenzial für Beteiligungsprozesse wird derzeit den sogenannten digitalen Zwillingen beigemessen. Das sind interaktive 3D-Stadtmodelle, die über Sensoren mit dem realen Kontext verbunden sind, etwa mit Straßen, Gebäuden, Bäumen oder Gewässern. Digitale Zwillinge können auf diese Weise Vorkommnisse in der Stadt in Echtzeit abbilden, sind aber auch in der Lage, zukünftige Planungen, einschließlich ihrer Auswirkungen, beispielsweise auf Verkehr oder Grünräume, in einem 3D-Modell zu simulieren.
Teilhabe durch hybride Verfahren
Die Erweiterung der räumlichen Planung um die Ebene der öffentlichen Aushandlung führt zwangsläufig zu einer höheren Komplexität des gesamten Planungsprozesses. Dies birgt nicht nur die Gefahr, dass die Verfahren langwierig, sondern auch intransparent für Außenstehende werden. Hier kann eine digitale Informationsaufarbeitung, und -bereitstellung zu mehr Transparenz im Sinne der Nachvollziehbarkeit über die Abläufe führen. Heute steht eine Vielzahl an Plattformen für den Austausch und die Zusammenarbeit zur Verfügung. So können die Prozessverantwortlichen den Ablauf der Planung und Beteiligung strukturieren, mit digitalen Komponenten gestalten und veröffentlichen.
Obgleich digitale Tools die Beteiligung und Kollaboration grundlegend verbessern können, schließt insbesondere die Handhabung und Zugänglichkeit digitaler Medien immer noch sehr viele Bevölkerungsgruppen aus. Damit Teilhabe für alle gelingt, bieten sich hybride Verfahren an, die digitale Bausteine mit Vor-Ort-Veranstaltungen verknüpfen.