03.05.2024
#FactFriday: Geschlecht jenseits der Genitalien
Die traditionelle Annahme von "männlichen" & "weiblichen" Gehirnen wird oft durch geschlechtsspezifische Unterschiede im Gehirn gestützt. Jedoch zeigt eine umfangreiche Studie an über 1.400 Gehirnen, dass diese Unterschiede nicht so klar sind, wie angenommen. Die Analyse der grauen Substanz, der weißen Substanz und der Verbindungen zeigt große Überlappungen zwischen den Geschlechtern. Zudem sind Gehirne, die eindeutig einem Geschlecht zugeordnet werden können, selten. Stattdessen bestehen die meisten Gehirne aus einer einzigartigen Mischung von Merkmalen, die bei Frauen und Männern unterschiedlich verteilt sind. Diese Ergebnisse legen nahe, dass die traditionelle Vorstellung von "männlichen" und "weiblichen" Gehirnen nicht die Vielfalt und Komplexität der menschlichen Gehirne angemessen widerspiegelt.
Ergebnisse der Studie
Die Untersuchungen aller Hirnregionen und Verbindungen zeigten eine bemerkenswerte Überlappung der Verteilungen zwischen Frauen und Männern, unabhängig von verschiedenen Variablen wie der Stichprobengestaltung, den Messmethoden oder den Analyseverfahren (einschließlich der Untersuchung absoluter Hirnvolumina). Es gab zwar Unterschiede in der Größe der Geschlechtsunterschiede in einigen Regionen, diese variierten jedoch zwischen verschiedenen Datensätzen. Die Präsenz und Richtung der Geschlechtsunterschiede waren stark von Umweltfaktoren und Entwicklungsstadien abhängig. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass selbst in Bereichen mit deutlichen Geschlechtsunterschieden im Gehirn die interne Konsistenz selten war, während Variabilität häufiger auftrat. Diese Variabilität führte dazu, dass einige Merkmale eher dem männlichen Ende des Kontinuums von "Männlichkeit/Femininität" zuzuordnen waren, während andere eher dem weiblichen Ende zugeordnet werden konnten. Interessanterweise war dieses Muster unabhängig von Faktoren wie der Größe der Stichprobe, dem Alter der Teilnehmer:innen, der Art der Bildgebung oder den spezifischen Definitionen des Kontinuums.
Beschreibung des Bildes: Verteilung Graumassevolumen Frauen (rot) & Männern (grün) in zwei der Regionen mit den größten Geschlechtsunterschieden (linker Hippocampus & linker Caudatus) untersucht. Ein bivariates Streudiagramm zeigt Anzahl Regionen am "weibl. Ende" (x-Achse) & am "männl. Ende" (y-Achse) bei Frauen (rot) & Männern (grün).
(Genaue Beschreibung siehe Quelle)
Fazit
Es ist präziser und korrekter, sich bei der Beschreibung von Gehirnmerkmalen quantitativer Maße zu bedienen, anstatt qualitative Labels wie "männlich" oder "weiblich" zu verwenden. Die Ergebnisse unserer Untersuchung stellen gängige Theorien zur geschlechtsspezifischen Differenzierung des Gehirns in Frage, wie beispielsweise die Annahme, dass das weibliche Gehirn der Norm entspricht und das männliche davon abweicht. Anstelle einer binären Einteilung des Gehirns sollten wir die vielfältigen Muster im Gehirnsmosaik anerkennen. Diese Erkenntnisse haben weitreichende Auswirkungen auf wissenschaftliche Untersuchungen und gesellschaftliche Diskussionen im Zusammenhang mit Geschlechterfragen, wie etwa geschlechtsspezifische Erziehung und die Bedeutung von Geschlecht als soziale Kategorie.
Quelle:
[1] Joel D, Berman Z, Tavor I, Wexler N, Gaber O, Stein Y, Shefi N, Pool J, Urchs S, Margulies DS, Liem F, Hänggi J, Jäncke L, Assaf Y. Sex beyond the genitalia: The human brain mosaic. Proc Natl Acad Sci U S A. 2015 Dec 15;112(50):15468-73. doi: 10.1073/pnas.1509654112. Epub 2015 Nov 30. PMID: 26621705; PMCID: PMC4687544