Oct 24, 2024
#FactFriday: #NotAllMen - Eine Problematik der Gesellschaft in einem Hashtag
Es ist der Abend des 3. März 2021: Sarah Everard verabschiedet sie sich gegen 21 Uhr von ihren Freunden und begibt sich auf den Nachhauseweg - telefoniert währenddessen noch mit ihrem Freund. Zu Hause kommt sie jedoch nicht an, wird Opfer eines Femizids. Der Mörder: Wayne Couzens, Polizist. Der Aufschrei ist groß, und die ganze Welt trauert um Sarah - und doch kursiert in den Internetforen der Hashtag #NotAllMen. Couzens ist ein Monster, doch es sind nicht ALLE Männer so, heißt es. Warum diese Herangehens weise und Aussage so hochproblematisch ist, wollen wir heute im #FactFriday betrachten.
Was bedeutet #NotAllMen? Und woher kommt diese Phrase?
Das Argument “Not All Men” wird von vielen abkürzend genutzt, um auszudrücken, dass nur, weil ein Mann etwas “Schlechtes” getan hat (meist im Bezug auf sexualisierte Gewalt an FLINTA*-Personen, Femizide o.Ä.), nicht alle Männer so etwas tun würden. Gleichzeitig wird so eine “Verallgemeinerung” von Männern kritisiert. Wahrscheinlich ist #NotAllMen gleichzeitig und unabhängig voneinander an vielen Orten im Internet entstanden. Eine inflationäre Nutzung der Phrase begann in den 2010er Jahren mit Beginn der #MeToo-Bewegung, doch das Konzept ist nicht neu. Schon 1985 schreibt Joanna Russ:
“…that not all men make more money than all women, only most; that not all men are rapists, only some;...”
Warum ist es problematisch, #NotAllMen zu verwenden?
Erzählt eine FLINTA*-Person von einer (sexuell) übergriffigen Situation von einem Mann, einem Vorfall, in dem sie Angst vor einem Mann hatte o.Ä., lenkt die Verwendung von #NotAllMen die Aufmerksamkeit des Gesprächs automatisch um. Nicht mehr die betroffene Person und ihre Erfahrung stehen im Mittelpunkt, auf sie wird gar nicht eingegangen, stattdessen die Verteidigung der zuhörenden Person. FLINTA*-Personen werden so in ihrer Sprache reguliert, statt auf die Männer zu wütend zu sein, die FLINTA*-Personen unterdrücken. So trägt man aktiv zur Unterdrückung bei.
Außerdem stimmt die Annahme “Ich bin nicht so ein Mann!” nur bedingt. In einem Patriarchat, in dem wir leben, trägt jede*r internalisierte Misogynie und sexistische Verhaltens- und Sprachmuster in sich, da wir so sozialisiert wurden. Um antisexistisch zu sein, muss man aktiv gegen diese patriarchale Sozialisierung arbeiten. Ganz nach dem Motto:
„It’s true that #NotAllMen harm women. But do all men work to make sure their fellow men do not harm women? Do they interrupt troubling language and behavior in others? Do they have conversations about women’s safety/consent with their sons? Are #AllMen interested in our safety?“
Das verstehe ich noch nicht ganz. Wie kann man es anders erklären?
Metaphorisch gesprochen: Würde man von zehn Käsekuchen, von denen zwei vergiftet sind, trotzdem einen Kuchen probieren, da ja 80 Prozent in Ordnung sind?
Wenn man als kleines Kind von einem Hund umgerannt wird, hat man oft lebenslang panische Angst vor Hunden. Das heißt nicht, dass alle Hunde böse sind. Doch die Angst bleibt, egal, wie vielen Hunden man begegnet.
Die Wahrscheinlichkeit von einem Hund gebissen zu werden, liegt bei einer von 73 Personen. Die Wahrscheinlichkeit, vergewaltigt zu werden, liegt bei einer von fünf Frauen.
Es sind nicht alle Männer, aber zu viele – FLINTA*-Personen haben keine Zeit, zu entscheiden, wer „gut“ und wer „böse“ ist. Es sind nicht alle Männer – aber fast alle Frauen*.
Der Hashtag #YesAllWomen; ein Hashtag aus FLINTA*-Perspektive
Am 23. Mai 2014 erschießt Elliot Rodger sechs Menschen in Isla Vista, Kalifornien. Der Grund? Elliot schafft es nicht, eine Freundin zu finden, ist frustriert, dass er keinen Sex hat. Und schiebt es auf Frauen, erklärt detailliert seinen Plan, bevor er ihn in die Tat umsetzt.
Als nach dem Amoklauf im Internet (neben großem Entsetzen über eine Tat getrieben von Hass auf Frauen) Stimmen laut werden, die #NotAllMen beklagen, antworten FLINTA*: #YesAllWomen ist ein Hashtag auf Twitter, unter dem tausende Situationen geschildert werden, in denen FLINTA*-Personen von Männern Sexismus, Diskriminierung, Hass, Gewalt, Übergriffe u.v.m. erfahren haben. Der Hashtag schafft es unter anderem, Aufmerksamkeit und Diskussionen um Vergewaltigungen in Indien oder sexuelle Übergriffe an amerikanischen Universitäten zu generieren.
“Don't hate the #YesAllWomen hashtag. Hate that it has to even exist. Hate the injustice of gender inequality. Hate violence against women.”
Was kann man tun, außer #NotAllMen zu sagen? Welche Alternativen gibt es?
Es ist wichtig, dass der Gedankenprozess von Männern von “Sexismus passiert, aber ich muss betonen, dass ich kein Teil davon bin” zu “Sexismus passiert, ich bin auch manchmal sexistisch, weil ich so sozialisiert wurde, und wenn ich anti-sexistisch sein will, muss ich aktiv dagegen vorgehen” wechselt.
Der erste Schritt: FLINTA* zuhören. Sie ernst nehmen und ihre Erfahrungen nicht anzweifeln. Und dann: abwertende Sprache und Handlungen anderer Männer kritisieren und unterbrechen. Söhne, Brüder, Onkel etc. zur Verantwortung ziehen. Laut und feministisch sein.
Quellen:
1. https://slate.com/technology/2014/05/not-all-men-how-discussing-womens-issues gets-derailed.html (03.10.2024)
2. https://inbreakthrough.org/six-reasons-notallmen-fails/ (03.10.2024)
3. https://www.nature.com/articles/s41599-023-02569-y (03.10.2024)
4. https://www.boredpanda.com/psychology-behind-not-all-men/ (03.10.2024)
5. https://www.jetzt.de/social-media/warum-der-hashtag-notallmen-problematisch-ist (03.10.2024)
6. https://time.com/79357/not-all-men-a-brief-history-of-every-dudes-favorite argument/ (03.10.2024)
7. https://www.gofeminin.de/aktuelles/not-all-men-der-fall-sarah-everard s4023307.html (10.10.2024)
8. https://youtu.be/VUvFXVEoBiY?si=cXkP5KJYqbgeeHsu (10.10.2024)
9. https://en.wikipedia.org/wiki/Murder_of_Sarah_Everard (10.10.2024) 10.https://edition.cnn.com/2014/05/24/us/california-rampage-timeline/index.html? hpt=hp_t1 (18.10.2024)
11. https://edition.cnn.com/2014/05/27/living/california-killer-hashtag-yesallwomen/ (18.10.2024)
12.https://www.thestar.com/news/gta/yesallwomen-hashtag-sparks-revelations-anger debate-in-wake-of-california-killing-spree/article_18f24804-aaaf-5684-823b 07d0d90cf848.html (18.10.2024) 13.https://web.archive.org/web/20160304042504/http://www.springfieldnewssun.com/n ews/news/whats-yesallwomen-and-notallmen-hashtags/nf7LF/ (18.10.2024)