23.07.2025
Einzelzell-Epigenetische Analyse liefert neue Einblicke in die Gehirnentwicklung

Ein mikroskopisches Bild eines 8 Wochen alten menschlichen kortikalen Organoids. Neuronen sind in Cyan und neuronale Stammzellen in Magenta markiert. Die graue Farbe zeigt die Auskleidung einer der inneren Hohlräume des Gehirns.
Die epigenetische Regulation spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der meisten Organe. Doch wie wichtig ist sie speziell für das menschliche Gehirn? Ein Forschungsteam um Prof. Mareike Albert am Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) hat nun menschliche Gehirnorganoide mit einer innovativen Einzelzell-Technik kombiniert. Ziel war es, eine Vielzahl epigenetischer Veränderungen im sich entwickelnden Gehirn detailliert zu charakterisieren. Dabei zeigte das Team, dass die Histonmethylierung – eine Form epigenetischer Modifikation – die Zellproliferation und die Größe der Organoide reguliert. Die neue Methode namens Epi-CyTOF steht Forschenden und Industriepartner:innen ab sofort in der Mass Cytometry Facility des CRTD zur Verfügung.
Epigenetische Modifikationen steuern die Genexpression in Zellen, ohne die DNA-Sequenz zu verändern. Dazu gehören auch posttranslationale Modifikationen an Histonen, die eine wichtige Rolle bei der Regulation der Organentwicklung spielen. Ihr spezifischer Beitrag zur menschlichen Gehirnentwicklung ist jedoch bisher nur unzureichend verstanden.
„Mutationen in epigenetischen Faktoren verursachen verschiedene neurologische Entwicklungsstörungen. Doch was sind die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen? Wie regulieren epigenetische Faktoren die Gehirnentwicklung?“, fragt Mareike Albert, Professorin an der Fakultät Biologie und Forschungsgruppenleiterin am CRTD der Technischen Universität Dresden. „Eine der größten Herausforderungen bei der Beantwortung dieser Fragen ist die Komplexität des Gehirns – es besteht aus vielen spezialisierten Zelltypen, die in unterschiedlichen Entwicklungsstadien entstehen. Hinzu kommt, dass wir nur begrentzten Zugang zu Gewebeproben des sich entwickelnden menschlichen Gehirns haben.“
Um diese Herausforderung zu meistern, kombinierte ein Team um Prof. Albert zwei hochmoderne Technologien: menschliche Gehirnorganoide – im Labor gezüchtete 3D-Strukturen, die das sich entwickelnde Gehirn nachahmen – und Epi-CyTOF, eine leistungsstarke Massenzytometrie-Methode, die über 30 epigenetische Modifikationen in Einzelzellauflösung erfassen kann.
Ein technologischer Fortschritt
„Traditionell verwendeten Forschende Western Blotting, um die Gesamtmenge verschiedener Histonmodifikationen nachzuweisen“, erklärt Ezgi Şenoğlu, eine der Autorinnen der Studie. „Diese Methode hat jedoch Einschränkungen. Sie ist schwer zu skalieren, zeitaufwendig und unterscheidet Zelltypen in komplexen Geweben nicht.“
In Zusammenarbeit mit Dr. Claudia Peitzsch von der Mass Cytometry Facility des CRTD setzte die Albert-Gruppe stattdessen Epi-CyTOF ein. Dabei nutzten sie ein maßgeschneidertes Panel von über 30 Antikörpern, die verschiedene epigenetische Modifikationen sowie 10 Marker für verschiedene neurale Zelltypen erkennen. So konnten sie wichtige neurale Zelltypen im sich entwickelnden menschlichen Gehirn untersuchen und nachvollziehen, wie sich epigenetische Modifikationen während der Differenzierung neuraler Stammzellen verändern.

Ein Überblick über den experimentellen Arbeitsablauf und ein Beispielergebnis von Epi-CyTOF.
Histonmethylierung im Fokus
Das Team entdeckte, dass sich Histonmodifikationen während der Differenzierung von Stammzellen in Neuronen anreichern. Die Histon-3-Lysin-27-Tri-Methylierung (H3K27me3) war dabei die am stärksten angereicherte Markierung. Diese Modifikation fand sich an Genen, die für die Entwicklung des Neokortex verantwortlich sind, und beeinflusste die Proliferation neuraler Stammzellen und letztlich die Größe der Organoide.
„Überraschenderweise entdeckten wir diese Modifikationen auch an Genen, die die extrazelluläre Matrix regulieren – ein komplexes Netzwerk von Proteinen, das die Zellen umgibt und zur Bildung der Stammzellnische beiträgt“, sagt Nora Ditzer, eine der Autorinnen der Studie. „Diese Veränderungen könnten darauf hinweisen, dass die epigenetische Regulation die Umgebung neuronaler Stammzellen gestaltet – eine indirekte, aber möglicherweise entscheidende Rolle für die Gehirnentwicklung.“
Es ist bekannt, dass Mutationen in Genen, die die epigenetische Regulation steuern, zu neurologischen Entwicklungsstörungen führen können, welche Struktur, Funktion und Kognition des Gehirns beeinträchtigen.
„Die zeitliche Kartierung und Identifikation der Zielgene epigenetischer Modifikationen ist entscheidend, um neurologische Entwicklungsstörungen zu verstehen und zu erfassen, wie die Genexpression während der Entwicklung präzise gesteuert wird“, sagt Prof. Albert. „Da die epigenetische Regulation sehr dynamisch und reversibel ist, erscheint das Epigenom als vielversprechender Ansatzpunkt für therapeutische Interventionen.“
Finanzierung
Die Forschung wurde vom BMFTR im Rahmen des ERA-NET NEURON MEPIcephaly Konsortiums finanziert. Eine gemeinsame Anschubfinanzierung der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZG) unterstützte den Aufbau des Epi-CyTOF-Panels für die Organoid-Forschung.
Innovative Technologie für alle verfügbar
Die Epi-CyTOF-Methode kann auch auf andere Organe oder Krankheitsmodelle angewendet werden. Das Mass Cytometry Facility des CRTD bietet sowohl Forschenden als auch Industriepartner:innen Unterstützung beim experimentellen Design, der Markierung und der Datenanalyse. Wer Interesse an Epi-CyTOF oder anderen Massenzytometrie-Technologien hat, kann sich an die Facility wenden unter:
Originalveröffentlichung:
Nora Ditzer, Ezgi Senoglu, Theresa M. Schütze, Aikaterina Nikolaidi, Annika Kolodziejczyk,Katrin Sameith, Sevina Dietz, Razvan P. Derihaci, Cahit Birdir, Anne Eugster, Mike O. Karl, Andreas Dahl, Pauline Wimberge, Franziska Baenke, Claudia Peitzsch, Mareike Albert: Epigenome profiling identifies H3K27me3 regulation of extra-cellular matrix composition in human corticogenesis. Neuron (Juli 2025)
Link: https://doi.org/10.1016/j.neuron.2025.06.016