27.01.2022
Forschende simulieren das Verhalten einer lebenden "Minimalzelle" in drei Dimensionen
Forschende bauten eine lebende „Minimalzelle“ mit einem auf das Wesentliche reduzierten Genom und ein Computermodell, das ihr Verhalten widerspiegelt. Durch die Verfeinerung und Erprobung ihres Modells wollen die Wissenschaftler:innen ein System entwickeln, mit dem sie vorhersagen können, wie sich Veränderungen des Genoms, der Lebensbedingungen oder der physikalischen Eigenschaften lebender Zellen auf deren Funktion auswirken. Die Studie war eine Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftler:innen aus Illinois, Dresden und Kalifornien. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift Cell veröffentlicht.
Minimalzellen haben reduzierte Genome, die nur aus Genen besteht, die für die Replikation der DNA, das Wachstum, die Teilung und die meisten anderen Lebensfunktionen erforderlich sind. Wissenschaftler:innen haben nun ein dreidimensionales, volldynamisches kinetisches Modell einer lebenden Minimalzelle entwickelt, das die Vorgänge in der tatsächlichen Zelle nachahmt.
Die Simulation zeigt die genaue Lage und die chemischen Eigenschaften von Tausenden von Zellkomponenten im 3D-Raum auf atomarer Ebene. Sie verfolgt, wie lange diese Moleküle brauchen, um durch die Zelle zu diffundieren und aufeinander zu treffen, welche Arten von chemischen Reaktionen dabei ablaufen und wie viel Energie für jeden Schritt erforderlich ist.
Um die Minimalzelle zu bauen, wandten sich die Forschenden des J. Craig Venter Institute (JCVI) in La Jolla, Kalifornien, den Mykoplasmen zu. Diese Bakteriengattung lebt als Parasit und ist als die einfachste lebende Zelle bekannt. In früheren Studien baute das JCVI-Team ein synthetisches Genom, in dem so viele unwichtige Gene wie möglich fehlten, und züchtete die Zelle in einer Umgebung, die mit allen Nährstoffen und Faktoren angereichert war, die sie zum Überleben brauchte. Für die neue Studie fügte das Team einige Gene wieder hinzu, um die Lebensfähigkeit der Zelle zu verbessern. Diese Zelle ist einfacher als jede natürlich vorkommende Zelle und lässt sich daher leichter am Computer modellieren.
Um das Computermodell zu erstellen, mussten die Wissenschaftler:innen die physikalischen und chemischen Eigenschaften der DNA, der Lipide, der Aminosäuren, der Gentranskription, der Translation und der Proteinsynthese-Maschinerie der Zelle berücksichtigen. Außerdem mussten sie modellieren, wie jede Komponente durch die Zelle diffundiert, und dabei den Energiebedarf für jeden Schritt im Lebenszyklus der Zelle im Auge behalten. Die Simulationen der Minimalzelle gaben den Forschenden Aufschluss darüber, wie die tatsächliche Zelle die Anforderungen ihres Stoffwechsels, ihrer genetischen Prozesse und ihres Wachstums ausgleicht.
„Die Minimalzelle ist eine perfekte experimentelle Plattform, um die Konstruktionsprinzipien von lebenden Membranen zu verstehen“, sagt James Sáenz, Forschungsgruppenleiter am B CUBE – Center for Molecular Engineering an der TU Dresden, der zusammen mit seiner Doktorandin Nataliya Safronova an dieser Arbeit beteiligt war. Die Gruppe aus Dresden lieferte die Lipidzusammensetzung für die Minimalzelle. Dies war der Schlüssel zur Modellierung, wie sich die Zelloberfläche vergrößert, wenn die Zelle größer wird.
Die Wissenschaftler:innen simulierten alle chemischen Reaktionen innerhalb einer Minimalzelle - von ihrer Entstehung bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie sich zwei Stunden später teilt. Auf diese Weise erhielten sie ein Modell, das zeigt, wie sich die Zelle verhält und wie die Komplexität erhöht werden kann, um das Zellverhalten zu verändern.
„Wir sind bereits dabei, diese Arbeit weiterzuverfolgen. Wir möchten herausfinden, welche Rolle die Lipide für das Wachstum und die Funktion der Minimalzelle spielen“, erklärt Sáenz.
„Unser Modell zeigt das Innenleben der Zelle und wie alle Komponenten interagieren und sich als Reaktion auf innere und äußere Reize verändern. Dieses Modell - und andere, noch ausgefeiltere Modelle - werden uns helfen, die grundlegenden Prinzipien des Lebens besser zu verstehen", erklärt Zaida Luthey-Schulten, Chemieprofessorin an der University of Illinois Urbana-Champaign, die die Arbeit geleitet hat.
Originalveröffentlichung
Zane R. Thornburg, David M. Bianchi, Troy A. Brier, Benjamin R. Gilbert, Tyler M. Earnest, Marcelo C.R. Melo, Nataliya Safronova, James P. Sáenz, Andra ́s T. Cook, Kim S. Wise, Clyde A. Hutchison III, Hamilton O. Smith, John I. Glass, and Zaida Luthey-Schulten: Fundamental behaviors emerge from simulations of a living minimal cell. Cell (January 2022)
Link: https://doi.org/10.1016/j.cell.2021.12.025
Über das B CUBE
Das B CUBE – Center for Molecular Bioengineering wurde 2008 als Zentrum für Innovationskompetenz (ZIK) durch die Initiative „Unternehmen Region“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gegründet. Es ist Teil des Center for Molecular and Cellular Bioengineering (CMCB). Die Forschungstätigkeit des B CUBE konzentriert sich auf die Untersuchung lebender Strukturen auf molekularer Ebene und die Übersetzung der daraus resultierenden Erkenntnisse in innovative Methoden, Materialien und Technologien.
Web: www.tu-dresden.de/bcube
Weitere Informationen für Journalisten
Dr. James Sáenz
Research Group Leader
B CUBE – Center for Molecular Bioengineering
Tel. +49 351 463 43066
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